Es gab einen klein-häßlichen Klatsch, der bei der Baronin eine gewisse Mißstimmung gegen mich hinterließ, die ich hätte beseitigen können, wenn ich meinerseits wieder einen klein-häßlichen Klatsch entrollt hätte.
Die meisten Kurgäste waren bereits abgereist. Man hatte den alten Lord erschossen, weil er sich nicht mehr bewegen konnte. Scheckige Kastanien lagen auf der Allee. »Als Kinder haben wir damit Kühe gespielt«, sagte Ingeborg. Auf den schwarzen Dachschindeln lag gelbes Laub, in der Sonne: Als hätte es Goldstücke geregnet. Ingeborg schenkte mir ein Zigarettenetui aus Kirschbaumholz. Auf den Deckel hatte sie ihr Wappen mit den drei Nelken gemalt.
Das Hochzeitsgut wurde in vier geschmückten Wagen nach Römershof geführt. Meine Mischka war am schönsten aufgeputzt.
Ich ging mit Mathison nachts zum Fischen. Auf Lachsforellen war es abgesehen. Vorm Bug des Bootes brannte auf einer Eisengabel ein Holzfeuer, bei dessen Schein man die schlafenden Fische erkennen und dann mit einem grausamen Fünfzack spießen konnte. Wie fingen ein großes Tier, das an zwanzig Pfund wog.
Die Düna schwoll. Es war Ende Oktober. Seebach kam zurück. Zum Polterabend führte ich ein selbsterdachtes, lang vorbereitetes Theaterstück auf, bei dem außer mir nur eine künstliche Tipsi und ein künstlicher, ausgestopfter Seebach mitspielten. Ort der Handlung war Biegemanns neue Ehewohnung. Die Lampe, der Tisch, die Stühle, Vasen, das ganze Mobiliar ging zum Schluß in Trümmer, Splitter und Scherben, wie es zum Polterabend gehört. Ich hatte mir schon wochenlang vorher aus Speichern und Kellern zerbrochene Gegenstände gesammelt. Mit der Aufstellung und der geheimen Einstudierung hatte ich viel Mühe gehabt. Nur Fräulein Dieckhoff hatte mich unterstützt.
Der Baron fand die Idee taktlos. Er hatte immer häufiger etwas an mir auszusetzen. Ich kam mir sehr gedemütigt vor und verbohrte mich tief und heimlich in diese Stimmung. Die andern aber hatten vor Arbeit keine Zeit, das zu bemerken.
Zur Hochzeit war der Hauptsaal mit Girlanden aus Immergrün geschmückt. An hundert Kerzen brannten. Um zwölf Uhr erschien der Pastor und las eine Predigt ab.
Seebachs »Ja« vor dem improvisierten Altar klang in ein heiseres, verkatertes Räuspern aus. Dann Choral, Ringewechseln, Segen und Gebet.
Der Pastor hatte seine schlitzäugige Frau mitgebracht, die wir heimlich »die fidele Robbe« tauften. Außerdem waren Gäste aus Riga erschienen, unter anderem der Baron Kampenhausen, der so hübsch auf dem Parkett Schlittschuh laufen und einen Eisenbahnzug nachmachen konnte. Ich hatte drei Nelken ins Knopfloch gesteckt, das Wappenzeichen derer von Nolcken.
Fräulein N. weinte am Klavier. Die junge Ingeborg in silbrigweißem Kleide mit langer Schleppe und behängt mit einem myrtengeschmückten Schleier sah bezaubernd aus. Hilja hatte ihr ganz früh schon auf den Pantoffel gespuckt und zehn Kopeken hineingelegt. Überhaupt wurde zahllosen abergläubischen Bräuchen Rechnung getragen. Die Tafel war phantastisch beladen und verziert. Es gab die raffiniertesten Speisen und Getränke. In scheinbar endloser Folge. Gleich zu Anfang wurde ausgemacht, daß keine Toaste ausgebracht werden sollten, damit kein offizieller Ton aufkäme. Worauf Tante Mary die Baronin, die Baronin die Gäste, die Braut Biegemanns Verwandte und der Pastor alle Freunde und Bekannten hochleben ließen. Nachdem zuletzt die Telegramme verlesen waren, wurde die Tafel aufgehoben und Kaffee und Zigaretten serviert. Selbstverständlich war für die Dienerschaft und das Gesinde mit gleicher Freigebigkeit gesorgt.
Um sechs Uhr nahm das Brautpaar an der Düna Abschied. Die Fähre und die Equipage darauf waren über und über mit Rosen geschmückt. Die lettischen Leute fidelteten und sangen. Alles winkte den Neuvermählten noch lange nach, und viele hatten Tränen der Rührung in den Augen.
Ich war den ganzen Tag über schweigsam und traurig. Das Benehmen des Barons war so kränkend gewesen, daß ich darüber nicht hinwegkam. Und ich konnte doch nicht mit einer Klage die allgemeine festliche Stimmung trüben. Andererseits hatte in dem Trubel wirklich niemand die Zeit, sich um mich zu kümmern. Nun ging ich bald zu Bett. Am anderen Morgen sandte ich das Gedicht »Freundschaft« an die »Woche«. Gleichzeitig fragte ich an, ob mich die Redaktion gegen ein monatliches Fixum von 200 Mark nach China schicken wollte.
Bilderlingshof
Ich wollte, ich mußte fort aus Halswigshof. Fanjka hatte mir ihr zweistöckiges Sommerhaus in Bilderlingshof zur Verfügung gestellt, das im Herbst und Winter sowieso leer stand. Sie wie Wanjka rieten mir zwar dringend davon ab, dort zu wohnen. Ich würde vor Kälte umkommen. Aber ich hatte darauf bestanden und führte nun schon die Schlüssel in der Tasche.
Der Abschied von Halswigshof war so, wie er ohne Seebach sein mußte. Das Gesinde hatte keine Gelegenheit, mir Zuneigung auszudrücken. Mit der Baronin speiste ich noch einmal an der Bahnstation. Sie war aufrichtig gütig bis zum letzten Moment. Sie war die Perle der Baronei und der Idee Halswigshof.
Auf der Fahrt nach Riga und von dort nach Bilderlingshof sprach ich ein Mädchen an und nahm es mit mir. Austria, eine komische, beschränkte Jüdin. Wir logen uns gegenseitig an, aber spürten dabei eine unraffinierte Sympathie füreinander.
In Bilderlingshof trug mir ein dunkler Mann meinen schweren Rohrplattenkoffer durch Dunkelheit und Dünensand nach dem Holzhaus. Ich fand alles von Fanjka mit liebevoller Fürsorge vorbereitet, packte aber vorläufig nur Frack und Waschutensilien aus, weil ich mich Austria widmen und sie andererseits überwachen wollte. So, wie sie sich nach Laune mit umherliegenden Sachen kostümierte, sah sie reizend aus. Doch sie war märchenhaft dumm. Sie hatte falsches Haar. Ich bestand darauf, daß sie das in eine Tüte verpackte.
Am nächsten Morgen entließ ich Austria mit Geschenken, indem ich eine eifersüchtige Ehefrau vorschützte. Als sie fort war, genoß ich zum erstenmal voll und innig, daß ich allein ein ganzes Haus bewohnte, sozusagen besaß. Ich überheizte den Ofen mit schönen Klötzen von Buchenholz und lief hinaus auf die Straße, die aus Dünensand mit einem Trottoir aus Holzbrettern bestand, um mir »den Rauch meiner Hütte« anzusehen. Und wieder einmal genoß ich zutiefst das Robinsonglück einsamer Freiheit.
Ich packte meine Sachen aus und richtete mich ein. Von den letzten Rubeln kaufte ich mir Leberwurst, Brot und Feuerholz. Einige türkische Zigaretten besaß ich noch. Dann durchforstete ich mein neues Reich, fand eine Spieluhr, die den Faustwalzer spielte. In der Veranda, wo es so kalt war, daß ich meinen Hauch sah, schrieb ich an Biegemann und teilte ihm meine Adresse mit. Draußen regnete es. Ich hörte das Meer brausen und kämpfte vergeblich gegen eine wachsende Melancholie an.
Mitunter fuhr ich nach Riga, meistens um zunächst mal meinen Chapeau claque oder Kleidungsstücke zu versetzen, oder auch wieder einzulösen. Hinterher verlebte ich mit Fanjka und Wanjka frohe Stunden, einmal auch ein Fest in der »Kunstecke«. Das »Fest im Hut« hieß es. Eine Dame, à la directoire gekleidet, tat mir's an. Auf diesem Fest sah ich auch Peter von Osten-Sacken wieder.
Manchmal besuchten mich Fanjka und Wanjka in Bilderlingshof. Ich erwartete sie immer sehnsüchtig. Denn die Einsamkeit ertrug ich nicht lange. Es wohnten ja nur ungebildete und unfreundlich gesinnte Letten um mich, kein einziger Mensch, mit dem ich einmal ein Wort austauschen konnte.
Der Briefträger kam einmal am Tag von weither. Ich erwartete ihn, wie ein Tier im Zoo den fütternden Wärter erwartet. Es gelang mir nicht, mich zum Schreiben zu zwingen. Nur Briefe schrieb ich. Nach München und nach Leipzig und lange, herzliche Briefe an Ingeborg und Biegemann. Dann wartete ich wieder auf Antwort, auf Nachricht, auf Menschen. Ich ging in der Glasveranda wie ein gefangenes Tier auf und ab. Ich ließ die Spieluhr tönen, preßte meine Stirn an die kalte Fensterscheibe und spähte auf die Straße, ob jemand käme.
So verging der November. Von Seebachs kam kein Brief. Ich kam mir oft ganz fern und verlassen vor. Und die Geldsorgen nahmen mir alle Ruhe.
Dezembertage