Zunächst hörte ich nichts weiter von der mir so wichtigen Angelegenheit, hütete mich aber auch, allzu große Neugier an den Tag zu legen. Der neue Matrose unterhielt uns jetzt immer während der Mahlzeiten und abends nach Ausscheiden mit seinen interessanten Reiseerzählungen. Er hatte ganz Yukatan durchquert, auf Plantagen gearbeitet, Walfischjagden mitgemacht und überhaupt sehr viel erlebt. Wir saßen beim Abendbrot mäuschenstill, wenn er uns eine Kronwaljagd beschrieb und uns erklärte, daß die Chinesen die Barten dieses Fisches haarfein zerschnitten und in die Seide verwebten, die daher, wenn man sie in der Hand zusammenballe, nach dem Öffnen der Hand wieder elastisch auseinanderspränge. Ebenso lauschten wir, wenn er uns zum Beispiel mit hochgelehrter Miene die Tatsache auftischte, daß aus Walfischexkrementen die herrlichsten Parfüme bereitet würden. Er erzählte auch von einem Eskimoweib, das, auf einer Eisscholle fortgetrieben und dem Hungertode preisgegeben, den eigenen Mann, das Kind und zuletzt den Hund aufgefressen habe. – Willy und Gustav berichteten eines Nachts, von Urlaub kommend, daß sie den Bootsmann an Land getroffen hätten, der mit einem russischen Matrosen herumbummelte und, wie er sich ausgedrückt hatte, »bei sich selbst« schlief. Er ließ mir sagen, ich möchte doch ja nicht auf das russische Schiff gehen.
Wieder kam ein schöner Sonntag. Der Steuermann hatte mit Hermann, Paul und Gustav eine Bootsfahrt unternommen, auf der sie zwanzig große Seesterne erbeuteten. Der Kapitän vom »Russen« hatte unseren Alten besucht. Ich erfuhr aber zu meiner Enttäuschung nicht ein Wörtchen über meine Abmusterung.
Ein Fischer, der gegen Abend in einem Ruderboot längsseit kam, verkaufte uns für einen Dollar zirka 20 Stück Hummer, die der Kapitän unter die Besatzung verteilen ließ, während er für die Kajüte einige Fische und für sich selbst sehr schöne Korallen erwarb. Ich hätte jetzt, wenn ich die Wahl gehabt hätte, eine deutsche Semmel entschieden dem Hummer vorgezogen, besonders, wenn ich die schlimmen Folgen desselben geahnt hätte. Ein Klosett war auf der »Elli«, wenigstens für die Mannschaft, nicht vorhanden. Der Klüverbaum und der darunter rauschende Ozean dienten uns als entsprechende Anlage. Dieser Platz, dessen Betreten mit einiger Lebensgefahr verbunden war, wurde am folgenden Montag auffallend viel in Anspruch genommen. Wir waren alle den ganzen Tag über merkwürdig still. Dann und wann hörte man den einen oder anderen kläglich stöhnen. Am Dienstag waren wir jedoch wieder hergestellt und erzählten uns nun, während wir das Deck teerten, unsere gestrigen Erfahrungen. Von dieser Unterhaltung wurden wir durch einen kleinen, aber eindrucksvollen Zwischenfall abgelenkt. Ein norwegischer Dampfer, der mit auf der Belizer Reede gelegen, lichtete die Anker. Als er an uns vorüberfuhr, erkannten wir den Bootsmann, der hinten am Heck stand und, seine Mütze schwenkend, zu uns herübergrüßte. Auch wir winkten ihm alle zu. Merkwürdig, wie schnell veränderlich unsere Gefühle sind. Der Abschied dieses Mannes, den ich so gehaßt hatte, stimmte mich jetzt wehmütig, und ich wünschte mir in Gedanken, diesen energischen Menschen zum Freund zu haben und ihn auf abenteuerlichen Fahrten begleiten zu dürfen.
Wenn ich annehme, daß der Kapitän gleichgültig über ihn dachte, dann war nur einer auf der »Elli«, der ihm einen grimmigen Blick nachsandte und hinterher erleichtert aufatmete, das war Steuermann. Regungslos hatte er an Deck gestanden und sich sichtlich darüber geärgert, daß wir seinen Feind durch Pfeifen und Mützeschwenken ehrten.
Die Reede von Belize bot manchmal ein buntes Bild. Es lief beispielsweise ein Frachtdampfer ein. Kaum, daß man seinen Anker fallen hörte, sah man auch schon eine Menge Leichterboote vom Land abfahren. Jedes wollte das erste sein, und wie sie nun in toller Wettfahrt über das Wasser hinschossen, glichen sie mit ihren großen Segeln einem Schwarm von Schmetterlingen. Eins der Fahrzeuge rannte dabei so heftig an unseren Klüverbaum, daß sein Mast wie ein Streichholz knickte.
7. Kapitel: Flucht
Es war am 20. Juni. Ich erhielt doch einmal vom Steuermann Erlaubnis, mit Hermann an Land zu fahren. Nachdem ich nochmals zwischen Fliehen und Bleiben geschwankt hatte, entschied ich mich schließlich für Flucht. Jetzt oder nie! Die Freiheit winkte.
Hermann durfte ich getrost von meinen Absichten verständigen. Ihm selbst redete ich aber alle Fluchtgedanken aus. Ich malte ihm aus, in welches Unglück er sich stürzen würde, wenn er jetzt desertierte, und führte ihm vor Augen, daß er dadurch seine Papiere verlieren würde.
Mit äußerlich größter Ruhe, aber um so stärkerer innerer Aufregung traf ich nun meine Vorbereitungen. Nach dem Ausscheiden abends um sechs Uhr zog ich mir zwei neue Hemden, zwei Paar Strümpfe, einen leinenen Arbeitsanzug und einen blauen Landanzug übereinander sowie meine besten Schuhe an. Dann steckte ich Uhr, Taschenmesser, Tabakspfeife, einige Photographien, die mir lieb waren, ferner einen kleinen leinenen Sack, in dem ein Neger mir einmal Bananen gebracht hatte, und last not least mein Tagebuch zu mir. In dieser mehr arktischen als tropischen Ausrüstung begab ich mich in die Kajüte, um Kapitän Pommer um einen Vorschuß zu bitten. Er gab Hermann und mir zusammen zwei Dollar und sagte dabei zu meinem großen Schrecken: »Na, Seppl, du siehst ja ordentlich groß und breit aus!« Er hatte aber glücklicherweise nichts gemerkt. Dann stiegen wir – Hermann, Willy, Koch und ich – ins Boot. Vorher hatte ich noch, in der Erwägung, daß meine Sachen nach meinem Verschwinden wohl sehr bald von Jahn und Konsorten mit Beschlag belegt werden würden, meine Bücher und einige andere wertvollere Stücke meines Nachlasses in Hermanns Koje gesteckt und den guten Menschen gebeten, sie für mich aufzubewahren, beziehungsweise sie in Europa meinen Eltern zuzusenden. Unser Urlaub war sehr knapp bemessen. Wir sollten um neun Uhr, bevor die starke Strömung einsetzte, schon wieder zurück sein. An Land angekommen, gingen wir zunächst dahin, wo sich die deutschen Seeleute immer ihre Kenntnisse fremder Länder aneignen, d.h. in ein deutsches Wirtshaus. Wir bestellten uns Limonade und Zigarren und waren sehr fidel, besonders ich. Ich drückte Hermann mehrmals unterm Tisch die Hand, und er lächelte mir dann verständnisinnig zu. Nachdem der Reihe nach jeder von uns etwas zum besten gegeben hatte, so daß keiner im Vorteil geblieben war, unternahmen wir noch einen Straßenbummel, bei dem ich mir ein halbmeterlanges, breites Messer kaufte. Um acht Uhr erklärte ich meinen Gefährten, daß ich noch etwas besorgen wolle, aber gleich nachkommen würde. Sie waren damit einverstanden, schärften mir aber dringend ein, pünktlich um neun Uhr am Boot zu sein. Dann drückte ich Hermann nochmals flüchtig die Hand und marschierte mit großen Schritten davon. Ich ging immer geradeaus, da mir ja vor allen Dingen daran lag, möglichst weit von der »Elli« fortzukommen. Als ich jedoch die letzten Häuser im Rücken hatte, stellte sich heraus, das mein Weg in einen Wassertümpel mündete. Eine andere Straße, die ich nun einschlug, war gleichfalls durch eine Wassergrenze gesperrt. Es schien, als sei Belize festungsartig mit Wassergräben umgeben. Wieder eine andere Richtung einschlagend, kam ich über den Marktplatz, wo ich Pferde und Kühe herrenlos und ungefesselt umhertraben sah. Ein paar Neger, die ich nach dem nächsten Weg aus der Stadt fragte, rieten mir dringend ab, bei Nacht durch den Wald zu gehen. Ich ließ mich aber nicht beirren, sondern schritt tüchtig aus und fand diesmal auch den richtigen Ausweg. Bald lagen die letzten, vereinzelten Häuser hinter mir und vor mir ein Weg, oder besser eine Lichtung, die in den großartigen, rauschenden Urwald führte. Als ich mich soweit in Sicherheit glaubte, daß mir die Matrosen nicht mehr folgen würden, zog ich meinen guten Anzug aus, tat diesen und die sonstigen Gegen stände in den leinenen Bananensack und eilte dann weiter. Mein Weg ging über Schlingpflanzen und durch tiefe Pfützen. Die Dämmerung war schnell hereingebrochen, und ich muß gestehen, daß ich in der einsamen Stille, die nur durch ein gleichmäßiges, aus dem Walde kommendes Brausen und Summen von Insekten unterbrochen wurde, bald sehr viel von meinem bisherigen Mut verlor. Je tiefer ich in den Wald kam, desto ängstlicher wurde ich, zumal ich jeden Augenblick auf einen Jaguar oder auf eine giftige Schlange zu stoßen fürchtete. Mehrmals hörte ich in dem Geäst ein lautes Krachen, das vielleicht von Affen herrührte. Dann verdoppelte ich meine Eile. Ganz besonders aber erschrak ich, als ich bei einer Biegung des Waldes plötzlich ein großes Tier vor mir stehen sah. Ob es ein Hirsch oder ein Elch gewesen, kann ich nicht sagen. Gewiß ist nur, daß sich das Tier ganz ruhig verhielt, und daß