Nur das nimm mir nicht, rief Alwin in Thränen ausbrechend, nur nicht mein eignes schmerzhaftes Gefühl!
Gar Thränen! sagte Mathilde. Wer sollte daran den braven Kriegsmann erkennen?
Wer sich kein Puppenbild von einem braven Kriegsmann gemacht hat, fuhr Alwin ungeduldig auf. In Eurer Welt mag es so Mode sein, daß ein Soldat nur marschiren und kommandiren darf. Ich schäme mich meiner Thränen nicht, des Perlenschmucks aus meiner Kinderzeit, der die männliche Rüstung nicht entstellt.
In Deinen Mährchen vielleicht nicht, antwortete Mathilde. Im Leben müssen wir es doch anders anfangen, wenn wir ein leidliches Dasein führen wollen. Du bist heut sehr erhitzt. Schlaf wohl. Morgen wirst Du klüger sein.
Alwin ging schweigend nach Haus. Dort ließ er Alles zum schleunigen Aufbruch ordnen. Es waren nicht gleich Pferde bereit, und er ging allein mit seiner Zither voraus. Er wollte den Morgen in diesen Mauern nicht mehr anbrechen sehn.
Sechstes Kapitel
Der einsame Wandrer schritt immer fort in die tiefre Dunkelheit hinein, halb getröstet durch ihren schwarzen Mantel, der ihn vor allen Menschen verbarg, und seine Thränen vor ihm selbst. Diese wird nun Keiner tadeln, sagte er, denn die Nacht ist an Thau und Regen gewöhnt. Bald kam es ihm vor, als gingen Beatrix und Aline zu beiden Seiten neben ihm her. Die Eine sagte unaufhörlich zu ihm: warum bist Du auch von mir gegangen, lieber Alwin! Ich meinte es doch so herzlich gut mit Dir. Die Andre dagegen sprach zu den Sternen auf, ohne ihn nur anzusehn, und er hörte beständig diese Worte:
Von meinem ew'gen Lieben abgeschieden,
Was sucht das Erdenkind so irr' nach Frieden?
Die Geleitschaft der Beiden kam ihm gar nicht wunderbar vor. Es war, als müsse es eben so und nicht anders sein. Wenn er sich bisweilen unter die Waldbäume niedersetzte, saßen seine Begleiterinnen neben ihm und hielten ihm helle Spiegel vor's Auge, worin er bald sein vergangnes Leben sah, und bald das Paradies: das letztre beinah so, wie er es als Kind auf hübschen Bildern erblickt hatte, mit saftgrünen Kräutern und Bäumen, mit freundlichen, bunten Thieren, und einem Himmel fast ganz von Morgenroth.
Wie es aber wirklich lichter um ihn her ward, verbleichten nach und nach die beiden Gestalten, und als die Sonne über's östliche Gebirge heraufstieg, saß er ganz allein auf einer dürren Heide. Die Morgenkühle wehte schneidend, unbehaglich durch sein Gewand.
Da ward es ihm erst klar, was eigentlich mit ihm vorgegangen sei, und was ihn aus Mathilden's Nähe fortgetrieben habe. Sie schläft noch, dachte er bei sich selbst, aber wenn diese Strahlen höher steigen, dringen sie auch zu ihr durch den seidnen Vorhang auf's Lager, und die wunderschönen, erquicklichen Augen schließen sich auf, in all ihrer Herrlichkeit. Sie macht dann wohl Entwürfe zu diesem, oder jenen Fest, und der Freund, für den sie sich putzt, wie sie ja selbst sagte, der Freund ist schon so weit von ihr. Wenn sie nun Deine Abreise erfährt, beunruhigt Boten auf allen Straßen hinaus sendet, wirst Du, Thörichter, dann nicht den süßen Lockungen auf's Neue folgen? Und es erwartet Dich ja doch nichts Bessres, als die halberloschne Liebe, der trübe feindseelige Weltlauf.
Er sah indeß seine Pferde mit dem Gepäck herankommen, und war besorgt vor dem, was man ihm berichten werde, und vor einem Brief Mathilden's, denn er fühlte nicht mehr die Kraft zum Widerstande. Aber seine Besorgniß war übertrieben. Mathilde hatte nicht nach seinem Hause gesandt. Auch während er einige Tagereisen lang, fast zögernd weiter zog, erfuhr er Nichts von jener Gegend her, und begann von nun an seine Fahrt mit wilder Eile, zu Anfang achtlos, wohin es gehe, daher er auch fast instinktmäßig nach dem Harz getrieben wurde, der theuern, langentbehrten Heimath. Aber kaum traten die wohlbekannten Berge deutlicher am Horizont hervor, so empfand er eine bange Scheu davor, und lenkte wieder ab. Was hatte er auch dort zu suchen?
Todt der wackre Vater sein,
Todt sein sorgsam Mütterlein;
Ach, er unter den fremden Leuten
So allein!
Wie er seine Tagreisen immer verlängerte, die Ruhezeiten verkürzte, wurden es die zwei oder drei Begleiter überdrüßig; Einer nach dem Andern blieb zurück, ohne, daß Alwin sich darum bekümmert hätte. Wenn sie sich entschuldigen wollten, sagte er: es ist in der Ordnung, und zog hastiger weiter.
Ganz allein kam er eines Abends vor einem abgelegnen Jägerhause an. Es stand auf einer lichten Stelle im Forst, und blickte recht gastlich zwischen dem Herbstlaub der Eichen und Buchen hervor. Durch die offne Thür sah man das Feuer auf dem Heerde brennen; ein Paar Kinder spielten ämsig auf dem Rasen, während Vater und Mutter schon zum Abendbrod riefen. Alwin empfand eine tiefe Rührung; er meldete sich als Gast, und ward aufs freundlichste gespeist und beherbergt.
Er blieb einige Tage dort, ohne daß ihm das Weiterreisen eingefallen wäre, und endlich sagte der Förster zu ihm: Ihr scheint eben keine große Eile auf Euerm Wege zu haben; dabei seid Ihr ein stiller, freundlicher Mensch. Was wollt Ihr so im Winter herumziehn? Gebt Euch bei uns in die Kost. Ihr habt Geld, und wir ein Stübchen übrig. Ihr eßt oben, oder mit uns, wie Ihr wollt, und wir bleiben beisammen, so lange es Euch gefällt.
Recht gern, antwortete Alwin. Das wird auch wohl das Beste für mich sein. Es ist hier recht heimlich und still: ich habe mir schon lange einen solchen Wohnort gewünscht.
Ihre einfachen Bedingungen waren bald abgeschlossen, und man lebte zufrieden mit einander durch Herbst und Winter fort.
Siebentes Kapitel
So lange die Blätter noch an den Bäumen blieben, wanderte Alwin oft Tagelang durch den Forst, am liebsten, wenn die Abendwolken heraufzogen, das Wild mit dreistern Sprüngen an ihm vorbeisetzte, und ein erquickender Duft von den Waldkräutern emporstieg. Was sich ihm dort im eignen Geiste geregt hatte, brachte er in mancherlei Weisen und Reime, wovon er auch nicht abließ, als der Winter die Zweige mit Reif und Schnee bezog, und ihn in sein kleines Stübchen bannte, aus dem er einen eingehegten Gartenfleck übersah, dahinter die winterliche Waldung. Der Förster hatte einige alte, wunderliche Waidmannsbücher, voll von mysteriösen Regeln für das Jagdwesen, und von Geschichten, welche den Jägern in Nacht und Einsamkeit begegnet waren. Diese las Alwin mit heimlichen, behaglichen Schauer; in seiner Kindheit kam es ihm immer vor, als müsse es alte Bücher geben, die noch viel schönere und seltsamere Geschichten enthielten, wie er je gehört hätte, ja als müsse er schon ein solches gesehn haben, und es sei nur verloren gegangen. Jetzt glaubte er oft, das ersehnte Buch liege vor ihm, wenn er von den Nachtgeistern las, und die alten Schriftzüge und Bilder anblickte. Gegen Abend kam er dann wohl manchmal zu der Försterfamilie herunter, und hörte was dem rüstigen Hausvater begegnet sei, der sich eben den Schnee von den Stiefeln schüttelte, und sich freute, an dem Fremden einen so aufmerksamen Zuhörer zu finden. Da wurden auch die Geschichten in den alten Büchern durch mündlichen Vortrag belebt: des heiligen Gangolfs Leben, oder Hubertus Vision, und Julian's schwer gebüßter Kampf mit der wilden Jagd, wanderten durch den vertraulichen Kreis, während die Winterstürme draussen im Forst heulten, und wie bestätigend und mahnend an den Fenstern rasselten.
Größtentheils aber blieb Alwin in seinem Zimmer allein und wenn er dann zu der Zither sang, und etwa ein Bauer, den Fußsteig durch den Wald gehend, stehn blieb, und nach der Musik einen Augenblick hinauf sah, um gleich darauf gleichgültig seines Weges fortzuziehn, kam er sich höchst verlassen und schon beinah gestorben vor. Er pflegte alsdann wohl folgendes Lied zu singen:
Wie