Alwin lehnte sein Gesicht an die eisernen Stäbe. Ein dumpfer Todtengeruch drang ihm entgegen; aus dem tiefen Dunkel leuchteten die messingnen Zierrathen der beiden Särge herauf. Er stand lange still und betäubt. Endlich sagte er: sie haben es so herzlich gut mit mir gemeint; sie haben sich so innig auf mein Wiederkommen gefreut. Die Mutter wird mir nun kein Licht mehr in die Kammer reichen können, wenn ich wieder abreise. Damit brach er in helle Thränen aus, und sagte immer wie in jener Nacht vor seiner Abreise: o Mutter! O liebe, liebe Mutter!
Etwas gefaßter stellte er zuletzt sein Pannier an die Thüre des Gewölbes. Sie sollen's Dir auf den Sarg legen, mein tapfrer Vater, sagte er, und hob sich empor, um nicht von dem Castellan in seinem Jammer betroffen zu werden. Indem er um sich blickte, gewahrte er eines Rasenhügels unter einer alten, wohlbekannten Buche. Hier muß doch auch schon einer gern geweilt haben, sprach er zu sich selbst, und ließ seine ermatteten Glieder darauf niedersinken. Es ruhte sich hier so behaglich, die Gräser kühlten ihm die glühende Wange, von der Ebne herauf kamen Lüfte gezogen, die ihn, wie einen alten Spielgesellen, begrüßten. Da sagte plötzlich dicht neben ihn Jemand: ich glaube am Ende, daß Du der junge Kunrath bist.
Alwin fuhr entsetzt in die Höhe. Ein bleicher Jüngling hatte sich an seine Seite gesetzt, der mit wahnsinnigen Lächeln auf ihn herabblickte, und durch eine tiefe, häßliche Stirnwunde entstellt war. Ja, wahrhaftig, fuhr er fort, indem er starr in Alwin's Augen sah, ich glaub', Du bist's, oder sonst bin ich's. Einer von uns ist es außer allem Zweifel. Oder sind wir's vielleicht Beide? Das wär' ein Spaß.
Er sprang hierauf einigemal mit gräßlichen Geberden im Kreise herum, und fragte nachher wieder: kennt Ihr die Geschichte vom jungen Kunrath?
Alwin bejahte es zitternd, und indem trat der Castellan zwischen sie. Marsch! rief er dem Wahnsinnigen zu! In's Bett!
Nicht noch ein Bischen hier bleiben? fragte dieser weinend und schmeichelnd wie ein Kind. Alwin bat für ihn, und der Castellan erlaubte es, indem er sich zwischen ihn und seinen Gast setzte.
Er ist manchmal ganz klug, sagte er, aber die Nebel thun ihm Schaden, wenn sie so feucht und wunderlich vom Harzgebirge herunter ziehn. Da liest er dann den ganzen Tag lang in einer alten Handschrift, die wohlverwahrt in einem Wandschrank der großen Halle gefunden ward, als wir das Schloß übernahmen. Er ist ein Verwandter meines Herrn, und heißt Friedebert. Eine Stirnwunde, die er bei einem Zweikampf in Braunschweig empfing, versetzt ihn öfters in diesen Zustand.
Ach Gott! seufzte Alwin, und sah schaudernd vor sich nieder.
Hier soll er sich nun ausheilen, fuhr der Castellan unbefangen fort. Ja! Es heilt sich nicht so schnell. Das sollte auch mit meiner Gräfin geschehn, der zu Liebe eigentlich dies Schloß gekauft ward, weil es ihr besonders wohl gefiel. Sie kam mit der Schwindsucht hierher, und zehrte hier noch ein paar Monate lang an ihrem schwächlichen Leben. Dann starb sie, wohl etwas früher, weil sie sich um den Tod ihres Vaters so sehr abhärmte, der ein tapfrer Kriegsoberster war, und in der letzten Hauptschlacht unter Herzog Christian blieb. Wir sitzen eben auf dem Grabe der schönen Frau. Mit dem Vornamen heißt sie Aline.
Alwin sank ohnmächtig zurück. Wenn er sich manchmal wieder erhohlte, stand das fremde Gesicht des Castellans über ihn, der ihm Riechwasser vorhielt. Um sich her sah er den tollen Friedebert tanzen, und schloß willig die Augen, das Gesicht in die Gräser drängend, die auf Alinens Grabe wuchsen.
Erstes Kapitel
Ihr Fieberträume am Lager des Kranken, die Ihr bald seinen Blick mit wunderlicher Helle verblendet, bald mit tiefen Schatten umdunkelt, immer furchtbar neu an wechselnder Gestaltung, das Unerhörteste mit dem Gewöhnlichsten zusammenstellend, daß die widrigsten Ungeheuer sich draus erheben, und dann wieder zwischen den Larven hindurch, der Garten all' unsrer Lust sich erschließt, das Bild des Paradieses, welches wir in uns tragen, – Ihr seid es, die uns das Ringen von Leben und Tod offenbaren, wie es unendlichen Fortgang hat um die verfallende Bildung, drinnen wir Menschen auf der Erde wohnen. Da treten die alten Urgestaltungen heraus in ihrer schauerlichen, ewig dauernden Jugend, in jeder Wiege neu gebohren, an jedem Todtenbette zerschellend, um in neuen Schöpfungen denselben Lauf von neuem zu beginnen. Wir fühlen es, welchen Mächtigen wir hingegeben sind, und der Wahnsinn steckt triumphirend seine bunte Fahne auf.
Alwin verharrte lange Zeit in diesem seltsamen Kampfe. Die Wogen des innern, empörten Meeres trieben ihn hinab und hinauf, schleuderten ihn in die tiefsten Abgründe des Schrecken's, wirbelten ihn empor zu den Sternen, wo Aline wohnte und seine Eltern, und Friedebert des Wahnsinns lachte, der ihn verwirrt hatte, und den Kranken jetzt verwirrte. Es trat einmal eine leichte Stunde dazwischen. Der Jüngling richtete sich von seinem Lager auf; es sah Alles umher gar freundlich und friedlich aus. Die Mittagssonne strahlte durch die Fenster herein auf sein Bett, auf den buntgewirkten Teppich des Tisches, der in Mitten des kleinen reinlichen Zimmers stand. Wie komm' ich denn nun hierher? fragte er. Ich habe diese Stube ganz, ganz von weitem gesehn, durch Himmel und Hölle durch, und kenne sie daher recht wohl. Aber daß ich nun mit einem Male mitten drein liege, das ist mir das Unbegreifliche. Er sah immer klarer umher, und erblickte endlich Raimunden, der zu den Häupten seines Lagers saß. Ach, sagte er, nun begreif' ich. Das alte Spiel geht wieder an, Du, Dichter warst immer dabei, und hast mich auf all' den kreuzenden Wandrungen geführt. Wie's wieder schwindelt! Wie sich's wieder dreht!
Er fiel in den vorigen Zustand zurück, aber doch von nun an, mit immer längern Zwischenräumen. Endlich verschwanden die Träume fast ganz; das innre Licht schwebte wieder bildend über den Wasser; er ward still, und seiner Umgebungen bewußter. Den Meister Raimund erkannte er nun als einen wirklichen Menschen, der außer ihm zu seiner Pflege da sei, und versöhnte sich nach und nach mit der trüben Vergangenheit, so daß er sein Auge wohlgefällig darauf richtete, und sie gern mit stillen Thränen feierte.
Eines Abends blickte er sehnsuchtsvoll durch die kleinen Fenster. Ich dächte, sagte er, es müßte hübsch draussen sein, und setzte mich gern ein wenig vor die Thür. Aber es kommt mir wohl nur so vor. Wir müssen jetzt etwa im November leben, und da darf ich Kranker ja nicht hinaus.
Komm getrost mit, lieber Freund, sagte Raimund. Wir haben herrliches Frühlingswetter und der Mai lacht aus allen seinen Blüthen hervor.
Der Mai? fragte Alwin. Und sinnend fuhr er fort: es war doch Herbst, als ich krank ward, wie sollten wir denn schon Frühjahr haben?
Und dennoch ist es so, antwortete Raimund. Du hast wie ein gescheuter Sangvogel den Winter verschlafen und verträumt. Komm mit, und frage die Erde selber, ob sie nicht ihr Brautkleid angezogen hat.
Sie traten in den kleinen Garten hinter dem Hause. Freudig duftete es vom jungen Grase auf, die Schmetterlinge flatterten lustig ihre Bahnen auf und ab, durch das reine Luftblau, milde Abendwinde hauchten dem Jüngling entgegen, der seine heimathliche Gegend an den Harzgebirgen erkannte, welche über die beschränkenden Zäune hervor ragten. Nun flossen seine Thränen erst recht freud- und wehmüthig. Raimund störte ihn mit keinem Worte, und sie gingen mit der einbrechenden Nacht schweigend zur Ruhe.
Nach einigen Tagen sagte Raimund: Du bist ein gutes freundliches Kind, und ich habe Dich recht von ganzem Herzen lieb. Wenn Du mit mir kommen wolltest und mit mir leben thätest Du vielleicht am klügsten. Oder willst Du lieber nach Braunschweig zurück? Alwin schüttelte verneinend den Kopf und Raimund fuhr fort: mit Deiner kriegrischen Laufbahn ist es ohnehin am Ende, Adalbert hat seinen Zug schon längst nach andern Gegenden genommen, und Deine Soldaten sind theils auseinander gelaufen, theils haben sie sich an jenen angeschlossen. Ich wüßte Dir wohl etwas Beßres zu sagen. Wenn mich nicht alle Sterne trügen, bist Du eigentlich in unsrer Zunft, ich meine in der dichtrischen geboren, und es haben nur andre Gewalten eine Zeitlang ihr Spiel mit Dir getrieben, wie denn alle Mächte der Erde gern nach dem Dichter greifen. Ich