Dem Süden zu, antwortete Raimund. Ich würde Dich dahin führen, wo Du das rechte Leben, die eigentliche Poesie wahrnähmst, und wie Beide sich innig durchdringen. Wir haben eine Colonie errichtet, wenn Du's so nehmen willst, von Leuten die nur der Kunst leben, und ihren lieblichen Träumen, wohlbegreifend, daß in ihnen die höchste Wahrheit liegt. Du wärst ein taugliches Mitglied.
Beinah glaub' ich es selbst, sagte Alwin. Des Hoflebens Heiterkeit, des Krieges Gewitternacht ist mir nur eben vorübergezogen wie ein Gegenstand, draus man hübsche Romanzen machen könnte. Ja, die Lieder, welche hin und her dazwischen klangen, blieben von beiden immer das Beste. So lang' ich denken kann, find ich meine beste Freude an Mährchen und Gesängen, selbst hab' ich deren gedichtet, und hätt' es mehr gethan, wenn nicht so feindseelige Reden über meine Blumensaat hingefahren wären. Und dann wußt' ich nicht, wie ich mir meiner eignen Kraft dran war. Ach, wolltest Du mein Meister sein, nun wäre mir ein zwiefacher Frühling, ein zwiefach neues Leben erwacht.
Raimund schloß ihn liebevoll in die Arme. Sei mir willkommen, sagte er, mein wackrer Jünger. Ich will aus Dir was ziehn, dran die Welt Freude haben soll, und ich Ehre.
Alwin schrieb nach Braunschweig von seiner Krankheit und Reise. Zugleich bestimmte er den Ort, wo ihn Briefe treffen könnten, und wenige Tage darauf traten die beiden Gefährten ihre Wandrung an.
Sage mir nur, lieber Meister, fing Alwin auf einer der ersten Tagereisen an, was Dich eigentlich so lange bei mir zurückgehalten hat. Die bloße Pflege eines wahnsinnigen, fast unbekannten Jünglings konnte es unmöglich sein.
Und doch; antwortete Raimund; wenigstens großen Theils. Eigentlich aber bin ich bei Euch Nordländern eingeschneit. Es lebt nämlich ein wunderlicher, viel verkannter Mann in Euerm Sachsenlande. der den Schlüssel zur Natur in Händen hat, weil er die rechte Liebe zu ihr in der Brust trägt. Zu dem trieb's mich hin. Unsre schönen südlichen Thäler ließ ich im Rücken, zog durch schlechte Heerstraßen, unpoetische Menschen, ungastliche Wirthshäuser nach dem Räthselhaften hin, und genoß aus der Quelle seiner Weisheit, so viel ich des köstlichen Schatzes empfänglich war. Nachher ward ich mit einigen Großen aus Deiner Gegend bekannt, und folgte ihren Einladungen, um zu sehn, wie es mit Dir würde, denn Du warst mir sehr lieb. Zuletzt, wie gesagt, schneite ich ein, und mußte nun schon den Winter im Norden aushalten. Dich soll der Süden mit andern Banden fesseln: unser sollst Du bleiben, und Dich nimmer beklagen, daß Du solch ein Theil erwählt hast.
Zweites Kapitel
Noch ehe die Bäume in voller Blüthe standen, hatten die Reisenden den Rhein erreicht. Raimund ließ sich jeden Umweg gefallen, um den Helden unter allen deutschen Strömen früher zu treffen, und dort seines Freundes und Jüngers Gemüth zu heilen im Wiederschein der mächtigen Wogen, unter ihrer Ufer labendem Schatten. Es schien auch Alles auf Alwin eine recht gute Wirkung zu thun. Er war lustig, fast ausgelassen bei den Mahlen und Tänzen der heitern Rheinländer; nur wenn der Abend von den Bergen herunter schwebte, bewegte sich sein Herz in der heissesten Sehnsucht nach allem was er verloren hatte, und er schlief oftmals unter seinen bittern Thränen ein. Raimund ahnte davon nichts. Er nahm die fröhlichen Stunden des Jünglings zum Maßstab für sein ganzes Leben, und meinte der Kummer habe sein Recht über ihn verloren.
Sie saßen mit einander in Mainz an einer geselligen Tafel. Der edle Wein strömte reichlich in die Becher, hübsche, freundliche Mädchen warteten auf, so daß jede neue Flasche durch einen versagten, oder gewährten Kuß Bedeutung und Würze gewann. Viele lustige Lieder wurden gesungen; die beiden Dichter erfanden welche, und lernten zum Dank dafür wieder andre; Volkslieder, wie sie an dem edlen Strom, zwischen Trümmern der Vergangenheit und lustigen Weingärten in unendlicher Fülle aufsprießen. Da trat ein reichgekleideter Diener in's Zimmer, und lud den Meister Raimund nebst seinem Gefährten zu einer edlen Gräfin, die große Freude an der Poeterei finde, und deren edle Söhne zu ehren wünsche. Raimund besann sich einige Augenblicke lang. Um Gotteswillen, sagte ihm Alwin in's Ohr, schlag' es ab, oder laß sie wenigstens warten. Wir sind hier so froh und jugendlich beisammen; die Zeit kehrt nicht wieder, und was hilft es, daß die langweilige Staatsdame irgend wo sagen kann: ich habe auch in Mainz den berühmten Meister Raimund gesprochen!
Ei, junger Ritter, antwortete dieser, bist Du so spröde, wenn schöne Damen winken? Denn schön ist sie, das sagt mir mein guter Dämon; ich weiß es, weil ich's weiß, und will zu ihr gehn. Ich stehe gleich zu Eurer Herrschaft Befehl, sagte er, indem er sich zu dem Diener wandte, und als dieser das Zimmer verlassen hatte, und Raimund aufbrach, sagte Alwin lachend: wenn Du nun einer alten, gichtbrüchigen Frau gegenüber zu stehn kommst, Meister! Es gäb ein hübsches Mährchen! Versprich mir, daß Du mir's alsdann nicht verhehlen willst. Ich thue mehr, erwiederte Raimund; ich verspreche Dir, wenn sie artig ist und hübsch, Dein Nichterscheinen mit einer höflichen Ausflucht zu bemänteln, und Dich durch meinen Knaben auf irgend eine deutungsvolle Weise nachrufen zu lassen. Ist sie aber häßlich, alt, fatal, so bin ich gleich wieder hier, und Ihr Alle sollt mich den ganzen Abend lang auslachen. Es gilt, sagte der Jüngling freudig. Raimund verließ das Zimmer, und Alwin setzte sein vertrauliches Geplauder mit den Gästen fort.
Nach einiger Zeit jedoch zupfte es an seinem Kleide; es war der artige Knabe in seines Meisters Diensten: mein Herr sprach er läßt Euch sagen, oben sei das ganze Firmament zu schauen, und ein Blumenflor sonder Gleichen. Ich weiß zwar nicht, wie er das versteht. An der Thür kam ihm eine vornehme, wunderschöne Dame entgegen, die gar nicht so aussah, als ziehe sie etwa mit solcherlei künstlichen Schauspielen herum; aber er hat mir's so bestellt, von Wort zu Wort, das könnt Ihr glauben.
Schon gut, freundliches Kind, sagte Alwin, trinke hier meinen Wein aus; und damit ging er voll seltsamer Ahnungen nach den Zimmern der fremden Dame hinauf. Der Diener, welcher ihn und Raimund vorhin eingeladen hatte, stand mit vielen Andern im Vorzimmer, und öffnete ihn sogleich die Thür zum Cabinet der Gräfin, wo er sie mit Raimund auf einem Sopha sitzen sah.
Sie stand bei seinem Eintritt auf, und kam ihm freundlich entgegen; wie hätte er nur augenblicklich diese herrliche Gestalt verkennen mögen? Diesen reizenden Lockenwurf? Diese Lieblichkeit und Hoheit in jeder Geberde? Es war Mathilde.
Willkommen, sagte sie, willkommen, mein lieber Alwin; ich freue mich unendlich, daß Ihr es seid, von dem Meister Raimund eben so ehrende Worte gesprochen hat. O, unsre schönen Zeiten in Braunschweig! Und Ihr zögertet, mich zu besuchen.
Alwin stand in ihrem Anschauen verloren; es fehlte wenig, daß er eben so ungeschickt geantwortet hätte, als an jenem ersten Abende. Doch nahm er sich zusammen, und sagte, was in der That die Wahrheit war: er habe nicht hoffen können, sie hier zu treffen, und wär er auch von ihrer Nähe unterrichtet gewesen, wer wisse ob ihn eine gewisse Blödigkeit nicht zurückgehalten hätte? Denn blöde sei er einmal in ihrer Gegenwart, und gewohnt, sie als eine erhabne Gottheit aus der Ferne zu verehren.
Zeiten ändern Sitten; antwortete Mathilde. Was dem jungen Edelmann bei seinem ersten Ausfluge ganz leidlich wohl stand, würde sich für den versuchten Kriegshelden übel schicken, noch übler für den begeisterten Dichter. Setzt Euch zu uns, oder was besser ist, singt gleich etwas zu der Cither dort, so kommen wir in den rechten Ton zusammen.
Ihr erzeigt mir in der That eine Wohlthat, sagte Alwin, indem er die Cither ergriff, und einige Accorde darauf angab. Hier fühle ich mich zu Hause, und weiß besser zu sagen was ich meine, als irgend sonst.
Er sang:
Durch die Thäler ging ein Knabe,
Durch die Wälder schwarz und dicht;
Suchte was sein Herz erlabe,
Suchte stets und fand es nicht.
Ob auch von der Burg ein Funkeln,
Ein ergötzlich Leuchten kam,
Blieb der Blöde doch im Dunkeln,
Blieb allein mit seinem Gram.
Oben wohnen schöne Damen,