Es mochte wohl schon früh sein, denn die Sichel des späten Mondes stand gerade dem kleinen Kammerfenster gegenüber, und der Raum schien von tanzenden Schneestäubchen erfüllt. Die Hähne krähten überall. Von der Schenke herauf erklangen undeutlich die Schlußfanfaren des Tanzes. Sie dachte: Morgen werde ich's erfahren, drehte sich von dem erleuchteten Fenster ab, zog noch die Decke über den Kopf und hatte nach einem jähen Aufschrecken die Empfindung, als gleite sie wiegend immer tiefer in ein weiches Dämmern hinab, zwischen dessen Gewölk die Bilderflucht des Schlafes aufzuschimmern begann.
Da war es ihr, als sähe sie den Mond ganz nahe. Er hatte seinen fernen Stand in der Nachtluft verlassen und kam mit Riesenschritten zu ihr herüber, die leise knarrten, als gingen sie behutsam über alten Schnee. Erst klang dies Geräusch aus weiter, weiter Ferne, ganz schwach, so, daß es nur mit der horchenden Haut vernommen werden konnte. Dann ward es deutlicher, aber ein langsames, vorsichtiges Schleifen, und nun zwängte der Mond seinen glänzenden, mageren Leib zu der Brettertür hinein, die er sich nur eine Spalte geöffnet hatte. Sie wußte, daß er sich nur vergewissern wollte, ob sie schlafe, denn er blieb zur Hälfte auf dem Gange stehen, der draußen an den Türen der übrigen Gesindekammern vorüberführte, und nur sein papierweißes Gesicht an dem dünnen Halse hatte er ganz in den Raum gebogen und suchte sie mit dem hämischen Schatten seiner Augen. Nun fühlte sie an einem Unbehagen, das sie wie ein leises Netz einschloß, daß er sie gesehen habe und aufmerksam beobachte. Einen Augenblick ist es ihr, als sei die Gestalt Scholz Joseph, der zweite Knecht des Freirichtergutes, dann aber erkennt sie, daß eine Täuschung nicht möglich sei: es ist der Mond. Eben steigt ein neuer Zweifel in ihr auf, warum der Mond nicht durch das Fenster zu ihr hereingeschlichen sei, als ein Knacken des Türschlosses die schummerigen Bilder ganz vertreibt. Sie schlägt, wach geworden, das Deckbett von ihrem Kopfe nieder und wendet ihr Gesicht der Tür zu, die geschlossen ist wie immer. Mit einem verwunderten Lächeln dreht sie ihr Gesicht wieder der Bretterwand zu, die ihren Verschlag von der Kammer einer anderen Magd trennt. Durch einen Spalt zwischen den schlecht gefügten Brettern sieht sie in das tiefe Dunkel des Nachbarraumes und bemerkt zwei Schatten, die sich einigemal fast geräuschlos an ihr vorüberbewegen. Dann sind beide verschwunden, sie müssen rechts und links von dem schmalen Sehfelde ihres lauernden Auges stehen.
»Die schlaft hart und feste«, setzte eine rauhe Männerstimme die Unterhaltung fort.
»Nee, geh heem. Was willste denn auch? Ich bin mide, und der Morgen is nich weit«, antwortet eine flüsternde Mädchenstimme abweisend. Darauf taumeln die zwei irgendwohin. Schmatzende Küsse, das Rauschen von Röcken, ein unterdrückter Notruf des Weibes, schwer stoßender Männeratem. Dann ist nichts zu vernehmen als das Keuchen zweier ringenden Menschen. Das nachtlaute Gepolter irgendeines umgestoßenen Gegenstandes verwandelt den heimlichen Kampf der beiden in Stille. Marie hört vor Scham ihr Blut picken.
»Geh!« beginnt das Mädchen wieder, ihre Stimme ist erschöpft. »Macht die's denn? Ha, und morgen früh, da sieht se een wieder an, als ob se sagen wollte: Ich kenn dich, du bist mir de rechte.«
»Ach Paule, du bist reen un gar kendsch«, antwortete der Knecht, »du und de schlesche, die hat's hinterm Ohre, aber knippeldicke! Ha! ich war uf'm Lande unten, da geht drs erst zu, du mein! Da hat's manche Nacht mehr Beene im Heue wie Schindeln auf'm Dache. Was is n das fir eene! Tut, als ob se tot war, spielt Komedje und läßt sich vom Klumpen vor allen im hellerlichten Saale kissen. Was drnach geworn is, das wird se, das heeßt alle beede, das wern se am besten wissen. Sonst wäre se nie daliejen wie ein Sack. Was meenstn, ob der Klumpen a so leichte ufheert! Hehehe!«
Dann lachen beide unterdrückt in boshafter Lustigkeit. Mit Marie dreht es, hebt sie auf und wirft sie nieder. Es umfaßt sie innerlich mit schraubender Gewalt, daß ihr Herz und Atem stocken. Sie muß sich aufrichten, um nicht zu ersticken.
»Psst!« macht in der andern Kammer der Knecht, der das Geräusch gehört hat.
Marie wendet ihren Kopf, dann aber richtet sich ihr Auge wieder auf ihre Lage. Es ist, als sähe sie in das Rädergewirr einer erbarmungslosen Maschine, die alles zermahlt und zerreißt: ihr Glück, ihren Stolz, ihren guten Namen, Freude und Frieden. »Aha, deswegen sagte der Hund: du mußt; deswegen – deswegen – also –«, sann sie und lächelte kalt, daß sie schwindelig wurde und sich mit beiden Händen an den Bettpfosten anhalten mußte, um nicht herauszufallen. »Hörscht's nich schaben?« fragte der wachsame Mann, der das Graben ihrer Fingernägel im Holze gehört hatte, die Magd. –
»Na, da mach och jetzte und tu nich erst lange!« mahnte er dann ungeduldig. Darauf leises Wühlen, behutsames Schleichen, als schöben sich entblößte Leiber durch weichende Falten, und dann eine sinnbetörende Schwüle. Dann erhoben sich die Laute der Wollust. Und all dies Stöhnen der Brunst, dies heiße, verhauchende Lispeln drang auf Marie ein wie eine unabwendbare Beschuldigung. Sie biß in Verzweiflung die Zähne aufeinander, faßte mit beiden Händen in die Haare ihrer Schläfe und zog den Kopf auf das Deckbett nieder.
Sie verlor das Bewußtsein, und nach langer Zeit ging die Ohnmacht in Schlaf über.
–
Die kurzen Stunden ihres Schlafes waren eine dauernde Bedrängnis gewesen, hatten aus den Ereignissen des gestrigen Abends und den Bildern ihrer aufgeregten Seele auf geheimnisvolle Weise eine Klärung geschaffen, und als sie, jäh abreißend, Marie im ersten Morgengrau aus dem Bett trieben, fand sich das arme Mädchen in der Gewißheit wieder, dem Klumpen nicht entrinnen zu können.
Plötzlich wich dies Betäubtsein einer jagenden Angst.
»Was lauf' ich nicht auf und davon; es ist Nacht, und alles schläft noch«, sann sie, zog sich eilig und geräuschlos bessere Kleider an, band ein wollenes Umschlagetuch um ihren Kopf bis tief in die Stirn, nahm die Schuhe in die Hand und schlich auf den Zehen hinab in die Gesindestube, um sich dort zu waschen und zu kämmen. Als sie an der Wohnung ihres Brotherrn vorüberging, hörte sie drinnen seine knarrende, mißvergnügte Stimme. Eiliger und leiser griff sie sich die Treppe hinunter.
Wende bereitete sich zu seinem ersten Rundgang durch Stall und Hof vor. Wenn Marie sich mit ihren letzten Vorbereitungen beeilte, so war sie schon auf der Straße, wenn die schweren Filzpotschen des Freirichters über die Treppe schlürften. Leise und schnell eilte sie mit dem kleinen Lichte in der gewölbten rußigen Stube ab und zu. Indessen ward die Stimme Wendes über ihr immer lauter und ärgerlicher. Sein Weib redete hin und wieder auf ihn begütigend ein; aber diese frohen, ungetrübten Laute brachten jedesmal ein stärkeres Gepolter seiner Stimme. Wende hatte aus seiner langen Junggesellenzeit die Gepflogenheit beibehalten, des Nachts in Abständen von drei bis vier Stunden alles in seinem Hofe, besonders aber Pferde- und Kuhställe, zu inspizieren, und verlangte nun von seinem Weibe, daß sie ihn jedesmal dabei begleite. Diese wehrte sich dagegen, weil es genug sei, wenn er allein sich um den Schlaf bringe, führte jede Nacht eine Reihe praktischer Gründe gegen diese Marotte ins Feld und mußte seit zehn Jahren einen Teil des Schlafes dem Kampfe mit diesem Starrsinn ihres Mannes opfern.
»Warum is se nich gegangen, a so weit se de Beene trugen?« sprach Marie vor sich hin, indem sie auf den Zank über sich lauschte. »War's nich besser, se hatte den Jungen und war zufriede als ein Mensch, wie setzte, da se den alten Krippensetzer hat?«
Das alles sann sie mit dem mechanischen Verstande, der uns immer zu Gebote sieht und nichts mit unserm Innern zu tun hat.
Der Streit im Schlafzimmer Wendes war inzwischen immer lauter geworden. Es hatte