»Och, du lamscher Labander, hat er dich nich auch gerannt, he? und du hast drsch eingesteckt, da höhner du andre«, gab giftig der Gelbe zurück. Der Schuster fuhr schlichtend dazwischen: »Laßt das Gezanke! Was hat's denn? Wer stößt denn?«
Und nun erzählte man ihm von dem Grauen, wie er sich frech benommen, daß er beim Tanzen jeden anrenne, »lappsches Zeug« rede und in einem fort mit Marie tanze, als habe er sie gepachtet. Kein andrer komme an das Mädchen, und sie gehöre doch nun mal nach Steindorf. Es sei eine Schande für alle, sich von einem Fremden so etwas bieten zu lassen.
Aber da trat Scholz Joseph, ein Knecht des Freirichters, auf die Seite des Grauen: »Was geht uns die Schlesche an, die herrsche Prise, wegen dem Mensche rihr ich keen Finger.«
»Hiels Maul«, fiel ihm Klenner ins Wort, »das verstehste nich, weil du kee Ehrgefühl hast. Ein Affe biste.«
Schuster-Guste nahm die allgemeine Erregung in seine Hand.
»Seid ihr alle einverstanden, da laßt mich machen. Ich hab nich umsonst in Berlin uf dr Chausseestraße jearbeet, ick weeß, wat een Panoptikus is. Laßt mich machen, ich weer'm den Kohl versalzen ohne Prigel, daß er abzieht wie een begoßner Pudel.«
»Ich bin der Meinung, daß man dem Zappelmann einfach die Ohren runterreißt.« Damit mischte sich der Lahme in den Disput.
Allein die meisten waren der Ansicht, den Schuster machen zu lassen, und sollte es schlimm gehen, so sei draußen vor der Tür noch immer Zeit zum Hauen.
Übermütig lachend, in der angenehmen Erwartung eines tollen Streiches, standen alle auf und traten zum Tanz an.
Die beiden blieben allein am Tisch zurück, der Lahme und der Schuster. »Und ich?« fragte der Klumpen, als der Tanz in vollem Gange war. »Du?« antwortete der Schuster, »verlaß dich of mich, nie lange dauert's, und die Marie sitzt zwischen mir und dir.«
Der Lahme erbleichte in frohem Schreck, bewegte aber ungläubig den großen Kopf. »Aber Trinken muß ma, da derf ma eene Mark nich ansehn. Knausern geht da nich.« »Hab' ich nich ...?« »Ja, ja, freilich haste bezahlt, aso meen ich's ja och nich. Aber jetze fängt's erscht orndtlich an. Und dann wirstes sehen, daß ein Glücke fir dich war, daß mr heute sein hergegangen. Das hab' ich mir freilich nich träumen lassen, daß de Marie wird selber da sein.«
Beide blickten wie auf ein Zeichen nach dem kleinen Tische vor dem Chor der Melitten hin und sahen, wie der Fremde Marie an der Hand dahinführte, weil eben eine Tour beendet war.
»Paß uff, so machen s'es in Berlin.« Der Schuster ergriff heftig das Glas, leerte es, atmete schwer aus, stieß die andern beiseite und schritt quer durch den Saal direkt auf den kleinen Tisch zu.
Der Klumpen fluchte voll Bewunderung. Die andern Burschen verfolgten gespannt den ganzen Vorgang. Der verteufelte Schuster redet mit dem alten Förster, sogar mit dem Grauen, und dann beugt er sich zu Marie nieder und spricht lachend an ihrem Gesicht hin, wobei er abwechselnd elegant die Füße nach hinten bewegt. Das Mädchen nickt endlich. Da wirft er sich in die Höhe und klatscht in die Hände.
Der Obermelitt stößt anführend in die Trompete, und die andern Instrumente folgen. Ein Galopp prasselt durch den Saal. Keiner der Burschen rührt sich, um ja nichts von dem Folgenden zu verlieren. Der Schuster ergreift Marie und schießt wie ein Pfeil dahin.
Das muß man sagen, er kann's wie keiner! Jetzt jagt er links um den Saal, dann wieder rechts wie ein Roß, mit scharf klappernden Hackschritten; nun wirbelt er in der Mitte auf einem Fleck; dann gängelt er mit wiegendem Oberleib das Mädchen vorwärts, darauf zurück, jetzt eilt er wippend umher; bald sprengt er wie ein Reiter; bald dreht er mit ausgebreiteten Armen wie eine Windmühle; er trippelt wie eine Bachstelze, kollert hin wie ein Puter und scharrt tänzelnd wie ein Hahn. Die Melitten schielen über die Notenblätter auf ihn hin und erregen sich an seinem Feuer. Der Takt wird schneller, wilder. Endlich wütet jedes Instrument in wilder Leidenschaft. Im Taumel der Raserei bricht das Stück jäh ab.
Der Schuster stampft auf und bleibt eine Weile erschöpft stehen. Die Burschen brechen in einen Jubel aus: »Hoch, Schuster! He, Musik, hoch! Hoch de Marie!« Die Melitten blasen einen Tusch.
In diesem Lärm führt Klose das Mädchen zurück. Seine Augen schimmern, er drückt ihr heiß die Hand, und in Verzückung flüstert er ihr zu: »Mariela, Mariela, ach Gott, Mariela!« Das Mädchen verstand seine Worte nicht, aber den Druck seiner fiebernden Hände, riß sich los und lief die paar Schritte zu ihrem Sitz, allein und schnell.
Der Schuster folgte ihr mit einem langen Schritt und hatte schon die Rechte erhoben, sie sich neckend wieder einzufangen, als der alte Förster sich nach ihm umwandte und mißbilligend sprach: »Schuster-Guste, wissen Se, so was is nich Tanz, das is Mord.«
Das riß den Schuster aus seinem Rausch; er fuhr mit seiner rechten Hand weiter in die Höhe und kraute sich in den Haaren seiner Schlafe, während er aus Verlegenheit eine tiefe Verbeugung machte und ging. Der Graue lächelte geringschätzig, dann beugte er sich zu Marie und fragte sie laut: »Aber den nächsten Tanz tanz' mir wieder. Solche alte Schuhe kann man nich lange riechen.«
Im Wegschreiten hörte der Schuster diesen Spott, und mit dem Zorn des Rivalen trat er zum Tisch des Klumpen, wo man ihn froh umringte. »Laßt och sein! Aber 's is noch nich alle, nu fängt's erscht an«, sagte er, sich zum Klumpen durcharbeitend.
Es folgte eine lange Auseinandersetzung, in der der Schuster mit Aufbietung aller Redegewandtheit und seinem Vorrat an krausen Gesten den Klumpen endlich überzeugte. Der Lahme zog in einem Moment, da die Aufmerksamkeit der meisten Burschen sich woanders hin richtete, den Geldbeutel aus der Tasche, grub unentschlossen darin umher und reichte dem Schuster etwas, das dieser aber nach einem prüfenden Blick abwies. Schmerzbewegt legte der Lahme noch etwas hinzu, und der Schuster stand auf und bestieg triumphierend das Chor der Melitten. Nach einer kurzen Verhandlung mit deren Oberhaupte erdröhnte ein Trompetenstoß, und der Obermelitt verkündigte: »Eine halbe Stunde Freitanz für de Steindorfer!« Dann trat eine lange Pause ein.
Diese Außergewöhnlichkeit versetzte selbst die Männer an den Tischen in hohe Aufregung, die jungen Burschen aber waren glücklich in ihrem Übermut. Der Klumpen erschien ihnen wie ein Heros. Der achtete aber auf kein Lob, auf keinen staunenden Ausruf, sondern saß steif da, mit aufgestemmten Ellenbogen, und starrte stumm mit grimmig verkniffenem Gesichte in den Lärm. Der Schimmer seiner kleinen Augen war böse, wie Verachtung.
Der Graue stierte ab und zu düster ins Leere und zwang sich dann zu krampfhafter Lustigkeit mit Marie.
Als die Melitten endlich ihre Instrumente wieder erfaßten und der Schuster entschlossen auf Marie zuschritt, schrie der rote Klenner: »Geh und hol' dir den Besen!« Die Musik verschlang das wiehernde Gelächter des ganzen Saales. Der Graue ward bleich vor Wut, biß die Zähne zusammen, rauchte, daß die Funken flogen, und trank hastig und viel.
Bei jedem Tanz wiederholte sich der gleiche Spott. Endlich konnte sich der Graue nicht mehr halten und schrie in den verstummten Saal: »Hoch lebe das Paschen, Holzstehlen und Raubschützen! Das brengt noch was ei!«
Die Sache nahm eine Wendung, wie sie dem Schuster nicht paßte. Er überlegte, was zu tun sei, um alles zu dem Ende zu führen, das er seinem Freunde versprochen hatte. Aber da brach der Wortkampf noch erbitterter los. Aus der Ecke erschallte es: »Ei Tannerau geht alles fechten bis of a Scholzen. Der bleit drheeme und flickt de Bettelsäcke.«
Der Fremde fragte schreiend den Förster: »He, Sie missen's am besten wissen, dahier melkt alles de grine Kuhe!« Der Förster, der die Worte ganz genau gehört hatte, gab sich den Anschein, als habe er die Anrede nicht auf sich bezogen, nahm einen tiefen Schluck aus dem Glase, unterbrach sein Trinken plötzlich und fragte ihn dann, wie belustigt: »Meinten Sie mich, junger Mann?«
»Nu freilich, 's hat doch weiter keen Förster nie hier ei'm Saale.« Das sagte er patzig; aber nur weil er sich durch eine freundliche Antwort lächerlich zu machen glaubte.
»Wo haben Sie Ihr Taschentuch?«