Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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und nich aus 'm Buche. Man steht ehrlich auf seinen zwei rechtschaffenen Beinen und zuckt nich mit der Wimper, und mag's auch lange anders aussehen.«

      »Und da läßt er dich stehen, bis du umfällst. Ja, ja, Faberlein! Hi, hi, hi.« Rinke hatte mit unnatürlich hoher Stimme gesprochen und lachte dann leise in sich hinein. Darauf fuhr er fort: »So is' und nicht anders! Wer hat gewart' wie ich und is nie so ganz verzweifelt. Aber es hat mich gepreßt Jahr um Jahr, ohne Absetzen. Und nu seh' mich einer an! Bin ich noch ein Mensch? Nee, nee, Robert! Wenn's da droben eenen Meister hat...«

      »Rinke, reden Sie nich so was!« rief meine Mutter erschreckt.

      »Nee, nee,« begütigte der Tischler. »Frau Faber, ich sage ja nich, es hat keenen, ich spreche bloß, Wenn's eenen hat, dann seien wir alle zusammen Pack, um das er sich nischt kümmert. Nischt. Und da ist ihm doch wohl auch egal, ob wir gut sein oder böse.«

      Gepeinigt und leise, wie er gesprochen, setzte er jetzt aus. Mein Vater hatte, auf dem Sofa sitzend, mit geneigtem Kopfe zugehört und verharrte noch eine Weile schweigend. Dann erhob er sich umständlich, schüttelte den Kopf und sagte mit erhobener Stimme:

      »Nein, Rinke, das glaubst du selber nich.« Aber da wurde der Tischler plötzlich leidenschaftlich. Seine Worte klangen fauchend, als presse ihm eine Hand den Hals zusammen:

      »Ich glaube das nicht bloß, nein, ich wer' von jetz' an danach handeln! Ich hab's satt, mich von dem Wahl-Mensche – damit meinte er seine Frau – erhalten zu lassen. Jawoll, und ich hab' schon damit angefangen.«

      Wein Vater tat einen überlegenen Schritt vom Tisch weg und vor sich niederlächelnd, fragte er mit gütigem Hohne: »Na, na! Und wie hast du denn das eigentlich eingefädelt?« Dann schob er sich einen Gebetstuhl an die hintere Wand ganz ins Dämmern und setzte sich mit allen Zeichen heiterer Spannung zurecht, um zu hören, wie sein guter Wandergenosse auf seine alten Tage »partuh schrecklich böse sein wollte«. Rinke druckste und klaubte anfangs verlegen in den Worten umher. Mein Vater schlug aufs Knie und rief lustig: »Was, gick und gack, schieß endlich los! Denn ein richtiger Lump muß vor allem frech sein, sonst bringt er's zu nichts.« Danach lachte er übermütig. Aber wie dann der Tischler, ärgerlich darüber, als Gockel behandelt zu werden, anfing zu erzählen, und nach einigen Sätzen sich zu seiner trocken-zynischen Weise wieder erholt hatte, hob sich mein Vater in die Höhe, und die Heiterkeit seiner Mienen machte tiefem Ernst Platz. Die Kirchenverwaltung der Stadt, das war der Inhalt der Erzählung, wollte auf das Bauernchor neue Bänke anschaffen und hatte für die Arbeit eine Submission ausgeschrieben. Rinke war mit unter den Bewerbern und kam mit einem andern Tischler in die engere Wahl. Um in das Geschäft zu rücken, ging nun der Krumme, der sein Lebtag freiester Gesinnung angehangen, nicht nur fleißig zur Kirche, sondern ließ eine Menge Sakramente über sich ergehen, und der Pfarrer hatte ihn schon durch den Glöckner Kinzel wissen lassen, er werde wohl der Erwählte sein. Dies alles gab Rinke mit vielen Verzierungen seiner Spottlust zum besten, und je herberen Ernst er auf dem Gesichte meines Vaters gewittern sah, desto boshafter und schonungsloser wurden seine Worte. Am Ende rieb er sich die Hände und rief: »Siehst du, da wär'n wir, Faber!«

      »Das is natürlich alles Blech, was du hier erzählt hast«, sagte mein Vater nach einer Pause.

      »Wie denn Blech?« lautete des betroffenen Tischlers Gegenfrage.

      »Also, du hast alles so gemacht, wie du gesagt hast?« fragte untersuchend mein Vater weiter, seltsam ruhig und tonlos und erhob sich.

      »Natürlich!« antwortete Rinke und sah unsicher auf.

      Mein Vater stand nun am Tisch und bohrte sein Auge auf den Krummen ein. »So«, sagte er dann. »Das ist aber noch nicht alles. Wie ich dich kenne, kommt das Beste noch. Du erhältst den Zuschlag und gibst ihn mit Hohnlachen zurück. Nicht wahr, das ist doch deine Absicht bei der ganzen Sache?«

      »Fällt mir nicht im Traume ein«, platzte der Tischler hin, der die ganze Situation noch nicht übersah.

      »So? Auch nicht, wenn ich als Freund darum bitte?« fragte mein Vater eisig. Rinkes Gesicht wurde fahl und warf trotzig ein »nein« über den Tisch. «Auch nicht, wenn ich als Mann von Ehre es von dir verlange?« Die Stimme meines Vaters bebte wie ein Seil vor dem Reißen.

      Rinke schüttelte nur heiser lachend den Kopf.

      Da brauste mein Vater los: »Hier ist deine Mütze, Mensch, und dort ist die Tür. Noch geb' ich dich nicht verloren. Verstehst du? Aber wenn du die Jauche nicht ausspeist, die dir in der Gurgel sitzt, überschreitest du meine Schwelle nie mehr.«

      Ich sah noch, wie Rinke hinter dem Tisch hervorkroch. Dann aber fiel ein roter Nebel in die Stube. Mein Vater wurde lang und wuchs bis an die Decke. Mich warf der Frost. Eine Tür schlug wie Kanonendonner. In Angst sprang ich von meinem Korbe auf und lief die Treppen hinauf. Mein Kopf schrumpfte zur Größe einer Nuß ein. Zähneklappernd zog ich die Decke über mich. Dann hörte ich die Stadtuhr schlagen. Sie wieherte wie ein Pferd. Ich zählte und zählte und verlor die Besinnung.

      – – – – – – –

      Am Morgen fand mich meine Mutter in Fieberphantasien im Bett. Nie habe ich sicher erfahren, ob meine Eltern dahintergekommen sind, daß ich Zeuge dieses folgenschweren Ereignisses gewesen bin. Aus Aussicht auf die Hand des Vaters hütete ich mich, danach zu fragen. Der aber war lieber zu mir, nachdem ich das Krankenbett verlassen hatte. Nicht, daß er einen Kuß von mir angenommen hätte, nein, ich fühlte es nur instinktiv, es war mir wohler in seiner Nähe. Ich umgab ihn mit Aufmerksamkeit, holte ihm unbefohlen Streichhölzer herbei, brachte den Stiefelknecht und las die Federchen von seinem Sonntagsgewand, wenn er ausgehen wollte. Dafür sah er mich oft so eigen an mit ruhenden, still glänzenden Augen, so wie ein mildes Feuer in unendlicher Ebene brennt. Ich war glücklich darüber, und meine Kindheit sonnte sich in diesem einsamen Lichte seines stolzen Auges.

      – – – – – – –

      In uns ruht die ganze Skala des Daseins, alle Geister des Himmels und alle Ausgeburten des Schattens schlafen in der Brust des Menschen und harren ihres Erweckens. Hätte das Auge meines Vaters nicht so auf mir geruht, es stünde besser um mich... Vielleicht, wer weiß es?

      Allein es ist doch nun so gekommen. Aus seiner breiten Brust, hinter seiner hohen, kühnen Stirn hervor stürzte sich jenes Anstemmen gegen alles Bestehende in mein zehnjähriges Leben, das mich seitdem nie verlassen hat.

      Die Natur gab mir, wohl schon im Werden, einen großen Teil des väterlichen Wesens. Aber das Kecke, das toll Wagende, hatte bisher im Banne der mütterlichen Seele in mir gelegen und in der Gewalt der blauen Augen, die damals – und seitdem für lange – zu dem Lichte geworden waren, das von Wundern zitterte, die hinter der Menschenfinsternis blühen.« Der Erzähler hielt inne und saß ganz unbeweglich da in der Luft jener unwiederbringlichen Zeit, die er über sich heraufbeschworen hatte. Seine Augen, über denen eine dumpfe Schicht lag, waren weit geöffnet und doch wie spürend zurückgewandt mit all ihrer Sehkraft. Die Linien seines Gesichts schienen verwischt. Nur die bitteren Falten von den leicht beweglichen Nasenflügeln zu den Mundwinkeln hin waren geblieben. Wie im Schlafwachen lehnte er in der Ecke des Sofas, und tonlos, wie im Traume, sprach er noch die Worte über sich: »Und doch bin ich es nicht gewesen, was nun aufklingt, aufschreit. Nicht mein eigentliches »Ich«, nur eine Nuance von mir.« Dann versank er in völliges Schweigen. Sein Gesicht ward blaß und fiel wie leidend ein.

      Der Wind draußen war leichter geworden. In gestrecktem Flug eilte er an dem Hause hin. Seine Schwingen sangen durch die Nacht wie die Messer riesiger Sensen. Nur dann und wann verfing sich seine Wucht an den Wänden, daß ein Knistern und Knacken von den Sparren bis in den Grund durch das Gebälk fuhr. Nach einer solchen Erschütterung erhob sich Faber wie auf einen dringenden Anruf aus der Versunkenheit, sammelte mit eingedrückten Augen seine inneren Bilder und begann weiter zu erzählen, aber mit jener unwirschen Stimme, die ich bei unserm ersten Zusammentreffen an ihm kennengelernt hatte.

      »Wir Menschen unserer Zeit sind Wesen der Zusammenbrüche. Kaum einer unter den Tausenden, die überhaupt bewußt leben, wächst ungestört aus den Notwendigkeiten des einen Lebensalters in den freier beschränkenden Zwang des nächsten hinein. Unsere Entwicklung gleicht mehr dem