»Nun, also um zehn Uhr soll der Bräutigam kommen, und um halb zwölf ist der Empfang. Gott, wie langweilig werden die Leute sein in ihrem Bestreben, immer dasselbe mit ein bißchen andern Worten zu sagen.«
Der nörgelnde Ton verstimmt den Fürsten. Er steht sehr schnell auf: »Ich habe mit dem Herrn Domänenrat zu sprechen. Nun, Rosmarie, ist das schon der ganze Toilettenzauber, oder kommt noch etwas Schöneres?«
»Das ist nur mein Morgenkleid, Vater, es kommt noch etwas Schöneres.«
Die Fürstin sagt: »Es hängt ja doch alles an dir herunter, da ist schwer unterscheiden. Dein Vater ist in Toilettendingen sonst nicht so kindlich. Nun, jetzt habe ich ja nicht mehr nötig, mich so darum ansehen zu lassen, wie du mit dir umgehst.«
Der Fürst verschwindet eiligst. Wie er diesen Ton haßt! Kann sie das Kind denn nicht heute in Ruhe lassen!
Rosmarie ist rot geworden, sie weiß nur zu gut, wie sie ihre Stiefmutter mit ihrer Hartnäckigkeit geärgert hat, die das ja doch nicht einsehen kann, was sie all die Jahre im tiefsten Herzen bewahrt hatte.
»Mama, ich kann dir doch nicht dankbar genug sein, daß du mich gewähren ließest! Ich habe erst so recht begriffen, wie unangenehm das dir sein mußte. Und ich möchte jetzt nicht anders sein.«
Die Fürstin zuckte die Achseln: »Nun, meine Aufgabe ist ja jetzt zu Ende.«
Es ist sehr still in dem hohen kühlen Raum, nur ein großer Nachtfalter, den die Sonne aufgestöbert hat, schlägt mit seinen Flügeln gegen die Vorhänge.
Rosmarie zerbricht sich den Kopf, was sie Mama Versöhnendes sagen könnte. Sie ist ja heute die Goldmarie, und wie undankbar wäre es, wenn sie nicht versuchen würde, von ihrem Glücksreichtum andern mitzuteilen. Und Mama sieht heute so seltsam aus, ganz fahl, mit roten Flecken unter den Augen. –
Rosmarie denkt an den Empfang, der Harro wohl bevorsteht, wenn Mama so ungnädig bleiben wird. Da klopft es, ein Lakai bringt einen großen in Seidenpapier eingeschlagenen Gegenstand. »Für Ihre Durchlaucht Prinzessin Rosmarie abgegeben worden.« Rosmarie entfernt die Hüllen. Es ist ein großer taufrischer Strauß. Es entfährt ihr ein leiser Freudenschrei. Es sind nur rosa Federnelken und zarte, bräunliche und grünliche Gräser, von einem alten, blauseidenen Band umwunden.
Sie kennt die Stelle, wo die Blumen standen, die lichten Eichen, wo sie am vergrasten Wege stehen, das Haarband, das das Seelchen verlor und Harro irgend wann einmal gefunden haben mußte, denn es war abgeblaßt und mit Tauflecken bedeckt. – Und jene Stunde des Lilientages, als sie ihm ihre kindliche Liebeserklärung auf Erdbeeren aufgespießt hatte.
So muß er denn am frühen Morgen dort gegangen sein und hat sie gesammelt, die Kinderfreuden, von dem ersten, großen Festtage ihres Lebens. Rosmaries graue Augen werden feucht. Die ganze Welt hat sie vergessen, vergessen, daß neben ihr der lauernde Haß sitzt und der blasse, quälende Neid. Sie hält ihre Blumen in der Hand und neigt sich darüber, die Federkronen mit ihren Lippen zu berühren, und über ihre Wangen fliegt der süßeste Rosenhauch. So schön, so selig still ist sie, wie sie den Gruß aus dem Kinderland in ihren bräutlichen Händen hält.
Plötzlich schreckt sie zusammen, die Fürstin hat der Teemaschine, unter der immer noch das bläuliche Flämmchen steht, einen Ruck gegeben und beugt sich darüber, das Wasser herauszulassen. Sie selbst trinkt ja immer viele Tassen Tee stärkster Sorte, dessen Bereitung sie niemand anvertraut: »Du hast ja noch gar keinen Tee gehabt, Rosmarie.«
Die Prinzessin legt ihren Strauß vorsichtig auf den Tisch: »Wenn du so freundlich sein willst, Mama, aber nicht so stark, gib mir Wasser hinein.« Und dabei lächelt sie noch einmal und errötet, es mag sie irgend ein Gedanke gestreift haben, und hält ihre Tasse hin. – Die Fürstin beugt sich vor, und in der nächsten Sekunde schießt ein siedender Wasserstrahl auf ihre beiden nackten Arme, über die sofort ein dunkelrotes breites Band läuft. Sie stößt einen Schrei aus. Die Fürstin hebt ein aschfahles Gesicht, in dem zwei Augen in rötlicher Glut funkeln:
»Ach, es ist die Maschine umgekippt.«
Rosmarie ist weiß geworden, nur ihre Augen sind dunkel, sie muß die Zähne zusammenbeißen vor Schmerz und bringt kein Wort hervor, nur einen Blick der stolzesten Verachtung. Die Brauneckerin, die stolze, königliche ist plötzlich aus der sanften, träumend seligen Jungfrau erwacht. Sie ergreift mit zitternden Händen ihre Blumen mit einem letzten Blick, als wollte sie sagen, ich vertraue dir nicht einmal die armen Blumen an, – dann geht sie hinaus.
Die Fürstin, die aufgesprungen war, sank wieder in ihren Stuhl zurück und starrte mit zuckenden Lippen vor sich hin. Einen Augenblick brannte noch ein wilder Hohn auf ihrem Antlitz, dann verzuckte die Glut, und sie schlug die Hände vors Gesicht in einem plötzlichen Erwachen.
Die alte Brauneckerin schien sich in ihrem ganzen Körper nach ihr herumzuwerfen, mit samt ihrem silbernen Buch. Ein seltsam fremder Hauch war in das vorher so morgenfreundliche Gemach gekommen. Auf ihrem Rücken fühlte die Fürstin noch die gemalten Augen ihr folgen, als sie mit wilden Schritten das Zimmer verließ.
Rosmarie war zu ihrer getreuen Lisa geeilt, die eben ihr weißes Seidenkleid über den Arm hängen hatte: »Lisa, kannst du mir helfen, – ein Ungeschick – ich leide sehr... den Herrn Hofrat dürfen wir nicht holen, sonst merken sie es alle... Nimm mir die Blumen ab, o Gott, weißt du, was man tun könnte?«
Die Lisa entsinnt sich zum Glück, daß sie die Schwester Eva hat ins Schloß hineingehen sehen, die Lene hat sich ja gestern in der Küche gebrannt, und sie eilt schreckensbleich davon.
Rosmarie hat sich auf ihr Bett geworfen und ihr Gesicht in die Kissen gedrückt. Da kommt schon die junge, schüchterne Diakonissin, die Gemeindeschwester, die in ihrer blauen Schürze alles Nötige trägt.
»Schwester, hat Sie gewiß niemand gesehen? Sind Sie die hintere Treppe gekommen?«
Nun ist Rosmarie nicht mehr blaß, ihre Wangen sind dunkelrot, ihre Lippen zucken fortwährend, und in einer Stunde soll der Bräutigam kommen.
Schwester Eva macht mit geschickten energischen Händen den Verband.
»Aber den Herrn Hofrat muß man es doch sehen lassen, Durchlaucht, ich wäre sonst nicht ruhig.« »Heute abend, ja.«
Und so geht denn die Schwester.
»Solch ein hilfreicher Engel,« flüstert Rosmarie. »Das muß das zweitschönste sein, was man werden könnte. Lisa, wenn die Menschen so nach einem verlangten und die Hände nach einem ausstreckten und auf die Schritte horchten! Die Schwester Eva kam wie ein Himmelsbild herein. Und nun ist's doch ein wenig besser.«
»Ach, Durchlaucht, nun gerade heute,« schluchzt die Lisa.
»Wir haben noch Zeit, angezogen bin ich im Augenblick, sieh nach meinem Kleid, das hat ja kurze Ärmel, und wenn jemand klopft, so sage, daß ich bei der Toilette sei. – Es darf es niemand wissen – niemand.«
Und nun liegt sie ganz still auf ihrem Bett und hält ihre verbundenen Arme über den Kopf, weil so der Schmerz leichter zu ertragen ist, und über ihre Wangen fließen große Tränenperlen.
Und Lisa muß sich eilen, und ihre Nadel fliegt durch Seide und Spitzen. Und ihre junge Herrin tut ihr so leid, die nun an ihrem schönsten Tag jeden Atemzug erkaufen muß mit Leiden. Aber in Rosmaries Herzen ist ein wilder Zorn und eine Empörung: zu gut hat sie den Blick der Fürstin gesehen. Dann steigt etwas anderes auf, ein ungeheures Erbarmen mit ihrem Vater, der an diese Frau gefesselt ist.
Der arme Vater! Was muß er wohl schon in der Stille gelitten haben! Und jene Sturmnacht taucht wieder vor ihr auf. Wenn jetzt ein Kind da wäre, von dieser grausamen Frau ein Sohn! Und Rosmarie fragt sich, ob sie das Vorgefallene verschweigen soll? Aber nur einen ganz kurzen Augenblick, und dann weiß sie, daß sie es sich selbst schuldig ist, zu schweigen. Und eine eisige Verachtung für ihre Stiefmutter fällt auf sie.
Ausgelöscht ist für den Augenblick alles, was sie in Monaten erkämpft hat an Mitleid, an Versuchen zu verstehen und zu vergeben.
Wie leicht und einfach war ihr