»Fried, du verbirgst mir irgend etwas! Meinst du, ich hätte es dir nicht sofort angesehen, wie ich aus dem Zuge stieg? Dieser Mensch hat sich hier eingeschlichen, hat Rosmarie kompromittiert, unmöglich gemacht – du kannst nicht mehr anders!«
»Strenge deine Phantasie nicht gar zu sehr an, auf das Richtige kommst du in Ewigkeit nicht. Und jetzt bitte ich dich, mich zu entschuldigen, ich habe mit Harro zu sprechen.«
Und dabei ging er so ruhig hinaus, als ob ihr Gespräch aufs liebenswürdigste geschlossen hätte.
Die Fürstin sah ihm nach, sprachlos, dann sank sie auf einen Stuhl. »Der Harro Thorstein – von allen Menschen! Der soll Rosmarie gehören. Nun, man wird sie ihm auf dem Präsentierteller angeboten haben, und er wird es sich haben gefallen lassen.« –
Es zuckt durch ihre Seele wie ein wildes brennendes Weh. Als ob ihr das Leben alles, alles versagt und es jener andern gegeben habe. »Alles, alles hat sie!« stöhnt sie, und es kam ihr nicht zum Bewußtsein, wie sinnlos das war. Sie ging in ihr Schlafzimmer, schickte ihre Kammerfrau mit ärgerlichen Worten hinaus und warf sich auf ihr Bett. Ein Bild steht ihr vor Augen: Der lange Thorsteiner, wie er mit dem schönsten Lächeln, das seine Elfenbeinzähne aufblitzen macht, zu der kleinen Rosmarie aufsieht, die über ihm auf einer Mauer steht und sich einen Blütenzweig über den Kopf zieht. Sie muß es immer wieder sehen. Wenn er das Lächeln für jemand anders gehabt hätte ... ja ...
Und in immer neuer Bitterkeit dreht und wendet sie ihr jetziges Leben herum, ein müßiges Genußleben mit auf das allergeringste Maß beschränkten Pflichten. Daß das keine Befriedigung gewähren kann, weiß sie nicht. Denn leben nicht andere noch rauschender, noch glänzender und amüsieren sich offenbar trefflich dabei?
Ihrem verlorenen Kinde hatte sie nicht nachgeweint. O nein, als die schlimmsten Tage vorüber waren und die lockende Freiheit sich zeigte, da hatte sie in der Tiefe ihres Herzens nur aufgejubelt. Es mochte wohl nicht ganz unbegründet gewesen sein, daß sie ihren Zustand als werdende Mutter so quälend und beängstigend empfand, vielleicht hätte sie einmal die Geburt eines lebensfähigen Kindes mit ihrem eigenen Leben bezahlen müssen. Das war aber nun vergessen.
Jetzt warf sie sich weinend und wimmernd herum: »Mein Sohn, mein Kind! Wenn ich es hätte, müßte ich mir dann eine solche Nichtachtung gefallen lassen? Daß man über mich hinwegsieht, als wäre ich gar nicht da, die wichtigsten Dinge beschließt und mir nachher allergnädigst mitteilt, daß ich mich damit abzufinden habe. Aber das ist Rosmaries Einfluß. Sie ist wieder Herr geworden über den schwachen Vater. Die Heuchlerin! Wie wird sie jetzt triumphieren. Von ihrer Untat ist wohl gar keine Rede mehr. Sie hat sich hinausgelogen, und mit solchem Erfolg, daß es nun wohl heißen wird, sie, die unglückliche und beraubte Mutter habe das alles erfunden!«
Mit unsäglicher Bitterkeit wühlen ihre Gedanken darin.
Und schön soll Rosmarie geworden sein! Die arme Fürstin muß sich schon die glänzenden Siege vorstellen, die Rosmarie erleben wird. Sie kennt ja die Welt. Wenn der Thorsteiner Prinzgemahl geworden ist und auf einem der Braunecker Schlösser lebt, so wird seine Ruinenvergangenheit nur mehr ein Gesprächsthema für Stiftsdamen und männliche und weibliche Klatschbasen werden. Die »Welt« wird sich nicht daran kehren. Wird auf seine Feste gehen, seines Schwiegervaters köstliche Weine trinken, ein wenig medisieren und im übrigen der schönen Frau den Hof machen.
Alles, was sie selbst besitzt, ist plötzlich wertlos geworden, wie ein armes Stückchen Glas neben einem Diamanten.
Und das allerbitterste ist: Rosmarie hat den Diamanten. Ach, der unerträgliche Triumph, den sie jetzt verstehen wird, auszustrahlen!
Die Fürstin hat sich im Leben nicht so todunglücklich gefühlt.
Und ja – sie hat wohl Grund dazu.
Der Fürst war in Harros Zimmer gegangen.
»Ich muß dich um etwas bitten. Du mußt womöglich heute noch abreisen.«
»Heute – Vater?«
»Rosmarie muß sich auch darein finden. Ja, ich hätte euch gerne noch ein paar schöne Tage gegönnt, aber so ist das Leben, – es macht jeden Tag ein anderes Gesicht. Ich habe eine nicht gerade angenehme Szene mit der Fürstin gehabt, und ich halte es für besser für das zukünftige Verhältnis, daß sie dich erst begrüßt, wenn sie in anderer Stimmung ist. Ich denke dabei an dich, Harro. Und wäre es nicht am besten, du gingest nach Thorstein und beschleunigtest den Bau?«
»Du wolltest mir Rosmarie schon bald geben?«
»Ich habe nicht an eine lange Wartezeit gedacht.«
»Du vertraust sie mir an – ich weiß ja, wie sie geschont werden muß – ich verspreche dir.«
»Nicht so stürmisch, es ist noch nicht alles spruchreif. Ich will, daß das Kind in die Ruhe kommt. Und ich meine, im Hinblick darauf sollte auch Rosmarie es verstehen, daß du gehst.
Ich habe mir gedacht, du gehst jetzt in die Villa Riposa, frühstückst mit Rosmarie und bleibst bei ihr, ich will sagen bis elf Uhr, und verabschiedest dich dann gleich von ihr. Glaube mir, es ist alles wohl überlegt.«
»Lieber Vater, wenn du mich doch dir danken ließest!«
»Harro, du weißt, wie du allein mir danken kannst. Und wohin gehst du?«
»Nach Rom, um dort abzubrechen, und dann sofort nach dem Thorstein. Ich wünsche mir sechs Arme, zwei Köpfe, – ich kenne ja Rosmaries Wünsche, und nun ich für sie arbeite!«
»Harro, mach deine Sache gut bei Rosmarie.« –
Harro trägt seinen Blütenzweig, und ehe er fortgeht, muß er noch einen Blick in den Spiegel werfen, wobei er rot wird. Die paar Silberhaare an den Schläfen machen ihm wenig. Alt fühlt er sich nicht, und wie er die Treppe hinunterspringt mit seinem Blütenzweig, ist's ihm, als sei er seit seinem zweiundzwanzigsten Jahre, wo er zugleich Vater und Heimat verlor, nicht mehr so jung gewesen.
Rosmarie kommt ihm entgegen bis zu dem Palmengang, welch eine liebliche Röte liegt auf ihrem Angesicht.
»Und du bist allein – ohne Vater und Mama?«
»Die Fürstin habe ich noch nicht gesehen, sie muß wohl erst mit mir versöhnt werden, das heißt mit meiner neuen Würde. Und ich darf mit dir frühstücken.«
Nicht einmal ihre Lippen berührt er, die schönen feingeschwungenen Lippen, die sich so gleich geblieben sind. Und nun kann Rosmarie Hausfrau spielen und ihm wieder wie in früheren Tagen Tee bereiten und seinem Blütenzweig ihre Wartung zukommen lassen. Eine verklärte Feierlichkeit liegt auf ihnen, und kaum wagt eines das andere anzusehen, als fürchteten sie sich vor dem Überschwang der Gefühle. Und die feinen Formen, in denen sie sich beide ihr Lebtag bewegt haben, geben ihrem Beisammensein eine vornehme Würde und Ruhe. Sie sprechen auch nur von Vergangenem. Auf der Gegenwart liegt ja noch ein morgenweicher Flaum, und die Zukunft ist ein so wunderbares Goldland. Darf man es denn glauben!
Ist es denn möglich, daß ihre kühnsten Traume wahr werden könnten! Ach, alles ist noch so unwahrscheinlich, so unmöglich selig für ihr leidgewohntes Herz!
Und nun stehen sie auf der kleinen Loggia und sehen in den blauen Morgen hinaus. Ein leiser Morgenwind rauscht in den Palmen, und fern liegt ein so unsäglich blauer Schein dazwischen, ein Stück auf den Boden gefallener Himmel, – das Meer. Wie die Rosen duften und dort die Veilchenbänke.
»Nun kommt der Frühling, Rosmarie.«
Es sind ja nur so kurze arme Worte, aber welch ein tiefer Sinn liegt jetzt in allem, an diesem Morgen, wo die Welt so neu ist, als wäre heut ein Schöpfungstag. War der Himmel je so blau, und kann das ein irdisches Meer sein?
Da nimmt er sanft ihre Hand, und leise, schüchtern legt sie den Kopf an seine Schulter, beinahe, wie sie es als Kind getan. Und ein seliges Schweigen.
Als flögen kleine Engel im holden Reigen um sie, als sängen Nachtigallen von allen Zweigen, als wäre zum ersten Male in diese Welt die holde