»Ich bin Eurer Herrlichkeit vielen Dank schuldig,« begann er, »vielen Dank.«
»O nein,« sagte Fauntleroy, »ich habe ja nur den Brief geschrieben, gethan hat der Großvater alles, Sie wissen ja, wie gut er gegen alle Menschen ist. Ist Mrs. Higgins jetzt wieder gesund?«
Higgins sah einigermaßen verblüfft aus. Von seinem Gutsherrn als von einem Wohlthäter der Menschheit sprechen zu hören, war ihm allzu neu.
»Ich – ja – wohl, Euer Herrlichkeit,« stotterte er, »der Frau geht's schon besser, seit sie sich nicht mehr so absorgt; 's hat ihr schier das Herz abgedrückt.«
»Das freut mich, daß es besser geht,« sagte Fauntleroy. »Meinem Großvater hat's so leid gethan, daß Ihre Kinder das Scharlachfieber gehabt haben. Er hat ja selber auch Kinder gehabt; ich bin seines Sohnes kleiner Junge.«
Higgins war einigermaßen in Gefahr, vom Schlage gerührt zu werden, und hielt es für alle Fälle für geraten, den Grafen nicht anzusehen, dessen väterliche Zärtlichkeit sich, wie jedermann wußte, damit begnügt hatte, seine Söhne ein- oder zweimal im Jahre zu sehen, und der, sobald eins von der Familie erkrankte, sofort nach London abgereist war, um »dem Volk von Aerzten und Krankenpflegerinnen« aus dem Wege zu gehen. So eisern Mylords Nerven auch waren, ganz leicht war es nicht für ihn, mitanhören zu müssen, wie sein warmer Anteil an dem Scharlachfieber der Higginsschen Kinder gerühmt wurde.
»Ihr seht, Higgins,« fiel er mit seinem grimmigen Lachen plötzlich ein, »wie gründlich ihr Leute euch in mir getäuscht habt. Steig rasch ein, Fauntleroy.«
Achtes Kapitel.
Reiten lernen
Das grimmige Lächeln wurde in der nächsten Zeit fast ein stehender Zug auf des Grafen Gesicht, und je mehr er sich daran gewöhnte, desto weniger grimmig wurde es, und sah schließlich einem richtigen Lächeln zum Verwechseln ähnlich. Der alte Herr war der Gicht, Einsamkeit und seiner siebzig Jahre etwas überdrüssig gewesen; nach einem langen Leben voll rauschender Vergnügungen und Zerstreuungen war die Existenz in einem noch so bequemen Fauteuil, mit dem einen Beine auf dem Gichtstuhle und als einzige Abwechslung Zornesausbrüche gegen die Dienerschaft etwas eintönig. Der Graf wußte sehr genau, daß seine Untergebenen ihn verabscheuten und daß auch die seltenen Besucher nicht gerade aus reiner Neigung sich einfanden – einzelne ausgenommen, die an seinen scharfen, keinen Menschen verschonenden Sarkasmen Geschmack fanden. Lesen konnte er auch nicht immer, und so waren ihm allmählich die langen Nächte und die Tage zuwider geworden und seine Reizbarkeit und üble Laune hatten sich mehr und mehr gesteigert. Da war Fauntleroy erschienen, und zum Glück für den Knaben hatte schon seine äußere Erscheinung den großväterlichen Stolz befriedigt, der in seiner Schönheit und seinem furchtlosen Auftreten das Blut der Dorincourts zu erkennen glaubte. Dann hatte er sein kindliches Geplauder begonnen, das den Grafen erst überrascht und dann belustigt hatte, und das er bald angenehm und unterhaltend fand. Dem armen Higgins durch diese kindliche Hand helfen zu lassen, war nichts als eine Laune gewesen. Mylord nahm nicht den geringsten Anteil an Higgins' Schicksalen, aber daß nun die ganze Gegend von seinem Enkel sprach, und daß dieser dadurch jetzt schon eine gewisse Popularität erwarb, befriedigte ihn, wie ihn die Neugierde und das Interesse der Leute am Sonntag befriedigt hatte. Mylord von Dorincourt war ein hochfahrender alter Herr, stolz auf seinen Namen und Rang und deshalb stolz, der Welt zu guter Letzt noch einen Erben vorweisen zu können, der würdig war, dereinst beides zu tragen.
Der Morgen, an dem der Pony vorgeführt wurde, war für den Grafen so erfreulich gewesen, daß er beinahe seine Gicht vergessen hätte. Er saß am offnen Fenster der Bibliothek und sah zu, wie der Reitknecht das hübsche Tier am Zügel herführte und wie Fauntleroy seine ersten Reitstudien machte. Ob der Junge sich fürchten werde, darauf war er sehr gespannt; der Pony gehörte nicht zu den kleinen, und er hatte des öftern Kinder den Mut verlieren sehen, wenn es sich nun wirklich ums Aufsteigen handelte.
Fauntleroy war vor Entzücken ganz außer sich und stieg seelenvergnügt auf – er hatte noch nie auf einem Pferde gesessen und sein Glück war grenzenlos. Wilkins, der Reitknecht, führte den Pony vor dem Bibliothekzimmer auf und ab.
»Der Jungherr hat höllisch Courage,« äußerte sich Wilkins später im Stalle, »den rauf zu kriegen, hat keine Mühe gekostet und sitzen that er kerzengrad', trotz seinem Alter. ›Wilkins,‹ sagt' er zu mir, ›sitz ich gerad'? Im Cirkus sitzen sie sehr gerade.‹ ›Als ob Sie einen Ladstock verschluckt hätten, Mylord,‹ sag' ich; da lacht' er ganz vergnügt und sagt: ›Wilkins, Sie müssen mir's sogleich sagen, wenn ich nicht gerad' sitze, nicht wahr, Wilkins,‹ sagt er.«
Aber gerade sitzen auf einem Pony, der am Zügel geführt wird, war noch nicht der Höhepunkt der erträumten Glückseligkeit. Nach einigen Minuten fragte Fauntleroy zum Fenster herein: »Darf ich nicht allein reiten? Darf ich nicht schneller reiten? Der Junge aus der Fifth Avenue konnte traben und galoppieren.«
»Meinst du, daß du traben und galoppieren könntest?« erwiderte der Graf.
»Versuchen möcht' ich's gern,« rief Fauntleroy bittend.
Mylord machte dem Groom ein Zeichen, worauf dieser auf sein Pferd aufsaß und den Pony am Trensenzügel führte.
»Nun,« befahl der Graf, »lassen Sie ihn Trab gehen.«
Das war nun für den jungen Reitkünstler sehr aufregend und nicht gerade behaglich, denn daß Traben etwas anders wirkt als Schritt, erfuhr er gründlich.
»D–das w–wirft einen tü–tüchtig – gelt?« sagte er zu Wilkins. »Stö–stößt es S–Sie auch so?«
»Nein, Mylord,« erwiderte dieser. »Das verliert sich mit der Zeit. Heben Sie sich nur in den Bügeln.«
»I–ich h–hebe mich d–die ga–ganze–Zeit,« keuchte Fauntleroy.
Er flog auf und ab und hatte manch derben Stoß auszuhalten, sein Gesicht war dunkelrot und er kam kaum mehr zu Atem, aber er hielt stand und saß so gerade als möglich. Ein paar Minuten lang waren die Reiter dem Blicke des Grafen durch die Bäume entzogen, dann kamen sie wieder in Sicht, Cedrik ohne Hut, mit blutroten Wangen und fest aufeinandergepreßten Lippen, aber noch immer mannhaft trabend.
»Halt einen Augenblick!« rief der Graf. »Wo ist dein Hut?«
Wilkins griff an den seinigen. »Fortgeflogen, Mylord,« berichtete er mit sichtlicher Freude. »Der junge Herr ließ mich nicht halten, Mylord.«
»Angst hat er nicht viel?« fragte der Graf trocken.
»Der und Angst, Euer Herrlichkeit?« rief Wilkins begeistert aus. »Glaube, daß er das Ding nicht vom Hörensagen kennt. Hab' schon manchen jungen Herrn reiten gelehrt, aber so couragiert ist noch keiner droben gesessen.«
»Müde?« fragte der Graf Cedrik. »Willst du absteigen?«
»Es schüttelt einen mehr, als ich mir gedacht habe,« gab Seine kleine Herrlichkeit ehrlich zu. »Und müde wird man auch ein wenig, aber absteigen will ich nicht. Ich will's lernen, und wenn ich ein bißchen ausgeschnauft habe, möchte ich meinen Hut holen.«
Der feinste Diplomat hätte Cedrik keine bessere Anleitung geben können, des Großvaters Herz zu erobern. Als der Pony abermals davon trabte, lag ein Ausdruck von Freude in den lebhaften Augen des alten Herrn, den er sich selbst nicht mehr zugetraut hatte, und er saß und wartete mit wahrer Spannung, bis der Hufschlag wieder näher kam. Erst nach längerer Zeit erschienen die Reiter wieder, diesmal in rascherer Gangart. Wilkins hielt Cedriks Hut in der Hand, die Wangen des Knaben glühten noch mehr als zuvor und seine Haare flogen im Winde, aber es war ein richtiger, flotter Galopp, in dem er dahersauste.
»Hier!« stieß er hervor. »Ich – ich hab' galoppiert. So gut ging's noch nicht, wie bei dem Jungen in der Fifth Avenue, aber im Sattel bin ich doch!«
Von da ab war die Freundschaft mit Wilkins und dem Pony