Fauntleroy stand zwischen dem Großvater und dem Besucher und war ganz Ohr. Er »'tressierte« sich natürlich sofort für Higgins und die Kinder und hätte gar zu gern gewußt, wie viele es ihrer seien, und ob sie sehr krank gewesen.
»Higgins ist ein wohlgesinnter Mann,« bemerkte der Geistliche, bemüht, sein Gesuch zu unterstützen.
»Und ein schlechter Pächter, der immer im Rückstande ist,« erwiderte Seine Herrlichkeit. »Ich weiß das von Newick.«
»Augenblicklich ist die Not groß. Der Mann hängt sehr an seiner Familie, und wenn ihm die Pacht gekündigt wird, so können sie alle miteinander verhungern. Zudem verordnet der Arzt Wein und kräftige Kost für die Kinder, und Higgins weiß nicht, woher das nehmen.«
»So war's gerade bei Michael,« warf Lord Fauntleroy, näher tretend, ein.
Der Graf blickte überrascht auf. »Dich hatte ich ganz vergessen,« sagte er. »Dachte gar nicht mehr daran, daß wir einen Philanthropen im Zimmer haben. Nun, wer war denn Michael?« Und das belustigte Lächeln flog wieder über des alten Herrn Gesicht.
»Bridgets Mann, der das Fieber gehabt hat,« erklärte Fauntleroy eifrig. »Du weißt ja doch, Großvater! Der hat auch die Miete nicht zahlen und keinen Wein und solche Sachen kaufen können. Dann hast du mir das Geld für ihn gegeben, damit ich ihm helfen konnte.«
Der Graf warf Mr. Mordaunt einen raschen Blick zu.
»Ich weiß nicht, was für eine Sorte von Gutsherren der Junge abgeben wird,« bemerkte er. »Ich hatte Havisham gesagt, der Knirps solle haben, was ihm Spaß macht – und was ihm Spaß gemacht, war offenbar, Bettelleuten Geld zu geben.«
»O nein, Bettelleute waren es gar nicht!« rief Cedrik. »Michael war – Michael ist ein sehr ausgezeichneter Maurer. Sie haben alle gearbeitet.«
»Aha,« beruhigte ihn der Graf. »Bettelleute waren es also nicht, sondern sehr ausgezeichnete Maurer, Stiefelputzer und Apfelfrauen.« Plötzlich schien ihm ein Einfall zu kommen und er sah den Jungen ein paar Sekunden scharf an. »Komm 'mal her,« sagte er dann.
Fauntleroy trat so nahe zu ihm, als es irgend anging, ohne an das kranke Bein zu stoßen.
»Was würdest du in diesem Falle thun?« fragte der alte Edelmann.
Eine seltsame Empfindung bemächtigte sich Mr. Mordaunts bei dieser unvorhergesehenen Frage. Er war seit Jahren in der Gemeinde angestellt, kannte die Armen und Reichen, die Ehrlichen und die Schlimmen, und wußte, welch ungeheure Macht zum Bösen oder Guten dereinst diesem kleinen Jungen gegeben sein werde, der mit weit offnen Augen, die Hände in den Taschen vor ihm stand, und dabei durchzuckte ihn der Gedanke, daß, wenn der herrische, eigensinnige alte Mann die Laune haben sollte, diese Macht schon jetzt in diese kleine Hand zu legen und diese Kindesnatur keine großmütige und wahre wäre, der Schaden für den Knaben selbst, wie für die von ihm Abhängigen, ein unabsehbarer sein würde.
»Was würdest du in diesem Falle thun?« fragte der Graf.
Fauntleroy legte die Hand zutraulich auf des Großvaters Knie.
»Wenn ich sehr reich wäre, und nicht nur ein kleiner Junge, dann würde ich ihn ruhig in seinem Hause wohnen lassen und würde ihm alles geben, was die Kinder brauchen, aber ich, ich bin ja nur ein Kind!« Aufleuchtend setzte er gleich darauf hinzu: »Du kannst das alles thun, nicht wahr?«
»Hm, da hätten wir also deine Meinung,« sagte der Graf.
»Nicht wahr, du kannst allen Leuten geben, was du willst?« fragte Fauntleroy noch einmal. »Was ist denn Newick?«
»Mein Intendant, für den meine Pächter eben keine sonderliche Zuneigung hegen.«
»Willst du ihm jetzt gleich schreiben?« drängte Cedrik. »Soll ich dir Feder und Tinte bringen? Ich kann ja das Spiel hier wegnehmen.« Die Möglichkeit, daß man diesen Herrn Newick seine Drohung ausführen lassen könnte, kam ihm offenbar gar nicht in den Sinn.
Der Graf schwieg eine Weile, den Knaben immer fest ins Auge fassend.
»Kannst du schreiben?« fragte er.
»Ja,« erwiderte Cedrik kleinlaut, »aber nicht sehr gut.«
»Nimm die Sachen hier weg und bring Feder und Tinte und ein Blatt Papier von meinem Pulte.«
Mr. Mordaunt folgte der Verhandlung mit wachsendem Interesse. Fauntleroy führte den erhaltenen Befehl rasch und geschickt aus; nach wenig Augenblicken war alles bereit.
»Hier,« sagte er fröhlich, »nun kannst du schreiben.«
»Du sollst schreiben,« versetzte der Graf.
»Ich?« rief Fauntleroy bis unter die Locken errötend. »Nutzt denn das etwas, wenn ich schreibe? Und wenn ich kein Wörterbuch habe, dann mache ich viele Fehler!«
»Einerlei! Higgins wird's mit der Orthographie nicht so streng nehmen. Ich bin nicht der Menschenfreund, sondern du – vorwärts, tauch deine Feder ein!«
Fauntleroy setzte sich feierlich und etwas mühsam zurecht.
»Nun,« fragte er, »was soll ich schreiben?«
»Schreibe: Gegen Higgins soll vorderhand nicht eingeschritten werden, und das unterzeichnest du mit ›Fauntleroy‹, dann ist's gut.«
Die Sache ging nicht gerade rasch vor sich, so ernstlichen Eifer Cedrik auch an den Tag legte, schließlich überreichte er jedoch, freilich mit etwas besorgter Miene, dem Großvater sein Manuskript, das dieser überflog und lächelnd Mr. Mordaunt reichte.
Das Schriftstück lautete:
»Lieber Mr. Newick wollen sie bitte so gutt sein und forterhand gegen Mr. Higgins nicht einschreitten, woführ ich Ihnen dankbahr bin.
Achdungsfol der ihrige
Fauntleroy.«
»Mr. Hobbs hat seine Briefe immer so unterschrieben,« bemerkte Cedrik, »und ich dachte, es sei besser, wenn ich sage ›bitte‹. Ist ›einschreiten‹ richtig geschrieben?«
»Im Wörterbuch steht es etwas anders,« bemerkte der Graf.
»Das dacht' ich mir doch,« sagte Fauntleroy bekümmert, »ich hätte dich fragen sollen. Wenn die Wörter mehr als eine Silbe haben, muß ich immer noch fragen. Ich will es noch einmal schreiben.«
Er machte sich sofort ans Werk und fertigte eine sehr sorgfältige Kopie, wobei er so vorsichtig war, den Grafen mehrmals zu Rate zu ziehen.
»O'thographie ist eine kuriose Sache,« bemerkte er, »so oft ist es ganz anders, als man denkt. Ich habe immer gedacht, lieb schreibe man lihb, und dann war's doch nicht so – 's ist oft recht schwierig.«
Nachdem Mr. Mordaunt sich im glücklichen Besitz der eigentümlichen Kabinettsorder entfernt hatte, kehrte Fauntleroy, der ihm das Geleit gegeben, eilends zum Grafen zurück.
»Darf ich jetzt zu Herzlieb gehen?« fragte er. »Sie wartet gewiß auf mich.«
»Im Stalle ist etwas, das du dir noch besehen mußt. Drücke einmal auf die Klingel!«
»Bitte, bitte,« sagte Cedrik eifrig, »ich danke dir schön, aber ich glaube, es wird besser sein, wenn ich's erst morgen sehe. Herzlieb wartet schon so lange.«
»Wie du willst. Dann wollen wir den Wagen bestellen. – Es ist auch nur ein Pony,« setzte er trocken hinzu.
Fauntleroy hielt den Atem an.
»Ein Pony,« rief er. »Wem gehört der Pony?«
»Dir,« versetzte der Graf.
»Mir?« rief der kleine Bursche außer sich. »Mir – gerade wie das Spielzeug oben?«
»Gewiß! Willst du ihn sehen? Soll ich ihn vorführen lassen?«
Fauntleroys Wanden waren dunkelrot.
»Daran