»Lieber Harro, Sie finden ja immer die Bedrängten heraus. Diesmal ist's aber recht wunderlich, daß es kein buckliger Musiker, keine vor Jammer halbverrückte Mutter ist, sondern ein verwunschenes Prinzeßchen.«
Harro ruft ungestüm: »Sie haben das rechte Wort gefunden, verwunschen ist die Kleine! Nur was meinen Freund Hans Friedrich den Musiker betrifft, so irren Sie sich. Ich bin nicht ihm, er ist mir beigesprungen!«
»Harro, haben Sie ihn nicht auf der Friedenauer Heide mit Lebensgefahr von den vier Rowdies errettet?«
Harro lacht hell auf. »Lebensgefahr! – Schwächliches, dekadentes Berliner Lumpenpack, bläst man sie an, so fallen sie um.«
»Konnten die nicht Revolver haben?« »Revolver, die treffen nur in Romanen, man schüttelt sie denen aus der Hand. Nein, mein Freund hat mich in meiner allerschlimmsten Zeit mit seiner wundervollen Musik über Wasser gehalten; erst als er fort war, brach es so recht über mich herein. Aber Sie haben ein wundervolles Wort gesagt – von der verwunschenen Prinzessin. Wie wenn über des Kindes eigentlichem Wesen ein buntes, trauriges Narrenkleid hinge, wie über Allerleirauh im Märchen. Auf einmal streift es das ab, und es steht etwas so holdseliges da, daß Sonne und Mond sich verwundern.«
»Ei, Harro, und Sie wollen erlösen?«
»Wenn ich könnte! Wie die das arme Seelchen gequält und mißverstanden haben, es ist kein Wunder, daß der Vater vor dem Dolch im Gewande zittert.«
»Und später, Harro.«
»Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.«
»Da können Sie sicher sein, totsicher, daß man das eines Tages Ihnen zu verstehen gibt. Je besser Ihnen die Entzauberung gelingt, desto sicherer.«
»Frau Mutter, glauben Sie, daß ich darauf warten werde, bis man mir das zu verstehen geben wird? Und es ist doch so schön, solange es geht. Wenn man so leer läuft wie ich, ein Höhlendachs, ein Erheiterungsgegenstand für die ganze Umgegend, und man findet an seinem Weg ein solches Blümlein Wunderhold, und noch dazu in Not! Mein Kopf ist ganz voll von der Kleinen. Ich male sie ja. Haben Sie schon die Füßchen gesehen! Ach sorgen Sie doch, daß die Form nicht durch schlechtes Schuhwerk verdorben wird. Sonderbar, daß die sich bis jetzt erhalten.«
»Ist das nun wirklich das Malerinteresse,« denkt Frau Mutter.
»Ist sie nicht schön?« drängt er.
»Lieber Harro, das müssen Sie wissen. Die Haare sind sehr schön, und die Augen hat sie von jemand anderem her im Kopf. Sie verändern sich sehr stark, und wenn sie ganz dunkel werden, sieht sie direkt unheimlich aus. Sie glauben ja, daß alles Sonderbare an ihr nur von ihrer poetischen Anschauung und äußerst lebendigen Phantasie komme.«
»Gewiß, und dann hat man sie gekränkt und ihre Phantasiegebilde Lügen genannt und so den Gegensatz erst künstlich erzeugt.«
»Nun, wir wollen sehen; und nun erzählen Sie mir aber von sich, Harro. Was machen die grimmen alten Tanten, zürnen sie immer noch?« Harro lächelt. »Oh, Tante Marga strickt mir schon wieder Strümpfe. Und weil ich doch immer lange Strümpfe und kurze Beinkleider trage und meine Beine ohnedies eine respektable Länge haben, Tante Marga auch die Idee mit sich herumtragen muß, ich wüchse noch, ist sie genötigt, das Strumpfwerk, wahrend sie daran strickt, in ein Leinwandsäckchen einzunähen, um es so dem Hohn der andern Stiftsdamen zu entziehen! Lieb, nicht? Tante Ulrike ist bereits wieder soweit erweicht, daß sie den Briefen ihrer Schwester hie und da ein Fragezeichen oder einen Unterstrich beifügt, und unten am Rand des Briefes ein imponierendes U. hinstellt.«
Harro hat nun von dem Fürsten den Auftrag bekommen, die Prinzessin zu malen, und ist sehr beglückt darüber. Zu seinem großen Bild kann er gar nicht genug Studien bekommen. Nun steht schon eine verhüllte Staffelei im Lernzimmer, und das Seelchen betrachtet alles mit Weihnachtsaugen. Die Pinsel, die Fläschchen, den langen Leinenkittel, wie komisch wird er darin aussehen! Frau von Hardenstein hat sich einen großen Knäuel silbergrauer Wolle gerichtet, den sie bei den Sitzungen verstricken will. Der Knäuel ist dick, so kann die Sache am Ende schön lange dauern, ein beseligender Gedanke. In des Seelchens Schlafzimmer liegen die schönen Kleidchen ausgebreitet, daß der Künstler darunter auswähle. Das Seelchen klettert auf die Kommode, wo der große Spiegel hängt, und betrachtet sich kritisch. Aber was da heraussieht, hat sie schon oft gesehen. Sie hört ihren Freund schon kommen und steigt etwas beschämt herunter. »Und nun, Seelchen, soll ich deine bunten Flügel sehen. Bunte Flügel meine Freude.«
Das Seelchen hängt sich an seine Hand und küßt den Rockärmel, so sehr er abwehrt. Aber Harro ist der Pracht gegenüber recht ratlos.
»Was gefällt dir denn selbst am besten, Seelchen?«
»Mein altes graues, Harro, es ist gar nicht dabei, weil es schon zum Verschenken beiseite gelegt ist. Röschen soll es bringen.« Ein ganz einfaches graues Hängerchen erscheint, von wundervollem Samt, einer von denen, die immer schöner werden, mit weichen Reflexen, das Seelchen läßt zur Probe eine Goldsträhne darüber fallen.
»Herrlich,« ruft er begeistert, »schnell zieh es an und komm herein.«
»Höre, Seelchen,« fragt er, als sie nun vor ihm sitzt in einem weißlackierten Stühlchen mit verblichenem grünseidenen Polster, »wie kommst du nun gerade auf dieses Kleid?«
»Ich kann auch nicht sagen, daß ich es billige,« meint Frau von Hardenstein, »Kinder sind immer am hübschesten in frischen weißen Kleidchen mit farbigen Schleifen. Nehmen Sie das weiße mit dem roten Samt, Juliane.«
Harro sieht ganz erstaunt auf: »Ja heißt du denn so, Seelchen?«
»Nein, ich heiße Juliane Charlotte Rosalie Marie, und keiner ist der rechte, und Miß Whart hat mich Juliet genannt und Mademoiselle July, wie ich doch niemals heiße.«
»Der Fürst nennt sie immer die Kleine.«
»Die arme Kleine,« verbessert das Kind.
»Die Namen passen freilich nicht für dich. Warum gaben sie dir nicht einen schönen altdeutschen Namen, einen Hohenstaufennamen, von denen stammst du ja ab, und dein Goldhaar ist eine Erinnerung daran. Es ist so lang her, aber nicht unmöglich. Mir erzählte ein Freund, in den Küstenstädten im Heiligen Land bei Akkon, wo die Kreuzfahrer waren, würden immer wieder Araberkinder mit blonden Haaren geboren. Das ist noch viel wunderbarer. Sie hätten dich Griseldis oder Gerhildis oder Windemut oder Gisela nennen müssen. Was hast du denn, Seelchen?«
»Es ist mir durchs Herz gefahren, wie du Gisela gesagt hast.«
»Wunderliches, du bist ganz blaß.«
»Du sollst auch den Namen nie wieder sagen,« befiehlt sie. Frau von Hardenstein steht von ihrem behaglichen grauen Knäuel auf und wirft dem Thorsteiner einen warnenden Blick zu.
»Seelchen, setze dich so recht gemütlich hin, und dann hältst du ein klein wenig still, wenn ich sage: jetzt. Und du brauchst gar nicht zu schweigen, erzähle mir etwas. Von deinem Lindenstamm. Was ist noch Schönes dort?«
Das Seelchen ist sehr bereit und beginnt mit ihrem hohen feierlichen Stimmchen zu erzählen: »Auf dem Lindenstamm, den man so nennt, weil früher eine Bastei dort war, lang ehe die Linde stand.«
Harro lachte: »Was für ein schöner Satz.« »Oh, den Anfang macht immer der Herr Kantor, denn anfangen kann iÿch die Aufsätze nicht. Und ich soll dir doch einen Aufsatz erzählen, mein Brief war doch auch ein Aufsatz.«
»Also der Anfang wäre gemacht, und nun kann's weitergehen.« Das Seelchen faßte nach ihrem Knie, das sie ein wenig hochzog, neigte ihr Köpfchen leicht nach der Seite und sah zu dem Freunde hinauf. Harro wollte schon »jetzt« rufen, aber er bezwang sich – nur einmal machen lassen, bis sie sich ganz vergessen hatte. Seine Künstleraugen leuchteten.
»Auf dem Lindenstamm is auch ein dicker Turm, weißt du von dem etwas, Seelchen?«
Sie beginnt zögernd. »Er ist rot, der Turm. Es sind alle Gastbetten darin auf langen Holzfächern. Wenn