Harro legt seinen Arm um die zarte Gestalt, und seine Hand drückt das goldene Köpfchen sanft an sich.
»Warum streckt das Seelchen so flehend die Hände mit dem Kleinod aus?«
»Wenn ihm niemand hilft, so muß es den Becher ja fallen lassen, Harro: darum sucht es mit seinem roten Licht, und geht auf nackten Füßen und sucht.«
»Es wird ihn nicht fallen lassen, solang es lebt!«
»Meinst du, Harro? Aber wenn es tot ist? Dann zerschellt's, und alles ist dunkel. Die Tiere schlafen ein und wachen nicht mehr auf, und es kann alles herein, was will.« Harro beugt sich herab und küßt wie ein Hauch den goldenen Scheitel.
»Ich dank dir, Seelchen. Nun ist das Bild geweiht.«
Sechstes Kapitel.
Der Lilientag
Nun hat das Seelchen schon manchen wunderbaren Fischzug getan. Harro hat das Kind richtig eingeschätzt, es hat die Springfedern in sich, die nötig sind, um Überraschungen recht genießen zu können. Es ist das Fest der Schlehenblüten gewesen, das Maiblumenfest, und jedes hat seine eigenen Feinheiten mitgebracht. Der lange Thorsteiner geht wie auf Federn und reckt seinen braunlockigen Kopf unter dem alten Filzhütchen, daß die Holzarbeiter und Bauern, die ihm begegnen, anfangen, ihre Kappen vor ihm herunter zu ziehen; früher hatten sie ruhig auf seinen Gruß gewartet. Er erzählt dem aufhorchenden Seelchen:
»Wenn du einen angehenden Kapitalisten sehen willst, schau mich an. Wenn wir wollten, könnten Kaliban und ich jeden Tag Hühnerkoteletten mit Schlagsahne verzehren; oder im Heuwagen durchs Land spazieren fahren, wie das Mazzenbacher Büblein getan hätte, wenn es König geworden wäre. Ein schlaues Büblein, das wußte, was schön ist.«
Harro hat sein Bild verkauft. Nicht das Original, eine Kopie davon. Von dem Original sich zu trennen, wäre ihm als eine Profanation erschienen. Daß er den Kauf verweigerte, hat, ohne daß er es ahnte, den Preis hinaufgeschnellt. Denn der Amerikanermillionär muß den Ehrensaal haben, und da er Schweine schlachtet, paßt das Gemälde jedenfalls ausgezeichnet dazu, in seinem Hause in Chicago aufgehängt zu werden. Mrs. und Miß Vandouten werden sich ganz feudal vorkommen, wenn sie es ihren Besuchern weisen. Harro hat das Bild für den Amerikaner kopiert und mehr für die Kopie bekommen, als er für das Original ihm angeboten hatte. Auf der Kopie sind die Wappenschilder, die die goldenen Greifen und Pelikane halten, leer, und der Besitzer kann ja später, wenn seine Tochter ihren gestrandeten Grafen oder italienischen Principe geheiratet hat, eines hineinmalen lassen.
Aber der Thorsteiner strahlt nicht so sehr wegen der Scheine, die er auf die Bank getragen, er feiert eben auch die Feste mit, und Frau von Hartenstein entdeckt, daß es ein neues Talent gibt, von dem sie bisher nichts wußte, das, Feste zu feiern. Und das muß gänzlich verschüttet in dem Thorsteiner geschlummert haben, sie hat es wenigstens nie an ihm bemerkt. Sie selbst ist gar so viel vom Leben hin und her geworfen worden. Von ihrer Verheiratung an ist sie kreuz und quer durchs deutsche Vaterland gezogen. Sie hat ein kleines Grab in Dieuze und eins in Thorn. Sie weiß nicht mehr auswendig, wie oft der Möbelwagen vor der Türe stand und die Packer sich auf ihre Sachen stürzten.
»Ich söhne mich mit den Säulen aus, Harro,« sagt sie, »sie sind so anständig standfest und können nicht gerückt werden. Manche würde das sehr angreifen, mich beruhigt es. Ich habe schon gar zu viel hin und her gerückt, bis allemal meine Sachen wieder gestellt waren.
Wie das Kind gedeiht! Schon drei Wochen hat sie kein Wörtchen mehr von dem Schönsten gesagt. – Wer weiß, ob wir nicht doch das Kind durchbringen.«
Aber Harro empört sich sehr über diese Worte. – Wer denn noch daran zweifelte?
»Aber das kommt von eurer liebevollen und dankbaren Ansicht vom Jammertal. Als ob diese schöne Erde ein Strafplatz sei und alles Liebliche, Schöne und Gute, sobald es sich entfaltet, gleich daraus verpflanzt werden müsse auf eure Halleluja-Wiesen. Wenn ihr so nah bekannt seid mit der Gottheit, daß ihr derselben eine Ansicht vortragen dürft, so käme mir die anständigste die vor, daß man dankbar anerkennt, was für einen schönen Tummelplatz wir bekommen haben. Wo wir uns allerdings oft schlecht genug aufführen, wofür aber das Gelände nichts kann.«
»Seien Sie nicht frivol, Harro, und Sie tragen auch die Lilienstengel schief, von denen Sie mir doch gesagt haben, daß sie durchaus gerade getragen werden müßten.«
Harro ist mit Frau von Hardenstein im Empfangszimmer, es ist spät abends, das Seelchen schläft schon lange, und Harro erklärt seiner Freundin, wie Lilien behandelt werden müssen, wenn sie ihre volle Pracht entfalten sollen! Und Frau von Hardenstein schüttelt ziemlich bedenklich den Kopf über seine Vorbereitungen. –
Am zwanzigsten Juli scheint die Sonne so golden, wie es sich für den Tag gehört, und der Himmel ist schon am Morgen tiefblau. Das Seelchen hat schon am frühen Morgen auf ihrem Toilettentisch ihr schönstes weißes Kleid gefunden. Das bedeutet etwas. Ist heute vielleicht Lilientag? Als sie fertig ist, schlüpft sie hinaus auf den Lindenstamm, eine ehemalige Bastei, auf welche ihr Zimmer sich mit einer Flügeltür öffnet, und von der man in zwei grüne Täler sieht, denn sie bildet den vorspringendsten Punkt der Bergkuppe, um deren Fuß der Fluß sich legt. Grüne Waldberge begleiten den Wasserlauf, und gerade gegenüber dem Lindenstamm ist das heimliche Plätzchen, wo die alten Buchen bis zum Uferrand herabsteigen und liebende Arme über das grüngoldene Wasser breiten. Das Flüßchen selbst hält hier in seinem Laufe ein wenig an, als ob es nicht weiter möchte, hohe Schilfstauden umgeben das andere Ufer. Der Platz heißt das Grafenbad, und es steigen jetzt noch alte Steinstufen hinein in die lockende Tiefe.
Und heute blüht die Linde, die sich mit ihrem mächtigen Stamm an das Mauerwerk der Bastei lehnt und ihre Wurzeln in einem kleinen Erdvorsprung hat, ihre Krone aber über dem Lindenstamm ausbreitet. So wohnt man da oben in Wipfeln, denn auch von der Nordseite umgeben die Bastei zwölf riesige Tannen, auch sie schauen nur mit den Wipfeln herein, und die Zweige der zwölften berühren schon den roten Turm, der als ehrenfester Wächter herabsieht auf die Steinplatten des Lindenstamms. Dieser selbst ist so groß, daß ein Berliner Mietshaus mit sechs Zimmern sehr bequem darauf Platz hätte, und man kann auf ihm in Sonne und Schatten wohnen. Der Efeu treibt überall um die Bekrönung seine Ranken und streckt Zweige durch die winzigsten Mauerluken.
Seelchen, festlich angetan, eilt nach ihrer Schnur, deren Ende hinabreicht an den Fuß der Bastei, tief unter die Wurzeln der Linde in einen heimlichen Winkel des Parks.
»Oh, die Schnur ist schwer! Es hängt etwas daran, – ja, es guckt schon über die Mauer.«
Ein weißes Kästchen, an dem hängt ein Rosenkranz. »Frau von Hardenstein, kommen Sie! So sehen Sie doch!« Nun zuerst den Kranz lösen und ihn aufsetzen. In den Spiegel braucht man dabei nicht zu sehen, denn die Kränze sitzen in den offenen Goldhaaren immer, wie sie sollen.
Und nun das Kästchen auf! Auf weißem Seidenpolster ein paar goldene Schuhe! Und was für eine Form haben sie! Wie angegossen sitzen sie an den feinen Füßen, und auf den Zehen stehen kann man darin, als ob man barfuß wäre. Seelchen tanzt mit ihren goldenen Schuhen und ihrem Rosenkranz auf den alten Steinplatten unter der Linde.
»Das sind meine Freudenschuhe! Immer will ich sie anziehen, wenn ich froh bin. Und wenn ich sie anziehe, ist ein Fest!«
»Und es ist auch heute ein Fest, es ist Ihr Geburtstag, Prinzeßchen, und Sie müssen sich gratulieren lassen, und es gibt noch viel zu sehen ...«
»Horst du, alte Linde, was heute ist? Mein Geburtstag und ein Festtag. Und du bist auch am allerschönsten heut.«
Denn die Linde blüht auf ihrer Nordseite.
»Sieh