»Haben Sie Ihre Stellung in so schnöder Weise mißbraucht und der Prinzessin ein Ehrenwort abgenommen?«
Das Fräulein schluchzt, sie wisse von nichts. Die Prinzessin wisse gar nicht, was sie sage; wenn man ihr alles glauben wolle! Sie sei ja nicht normal.
»Normaler als Sie, Sie verbrecherische Person,« knirscht Harro. »Ist die Prinzessin verletzt worden oder nicht?«
»Das hat sie selbst getan und will's jetzt auf andere schieben. Lassen Sie mich doch gehen, Herr Graf, ich bin so ein armes, schutzloses – –. So können der Herr Graf gar nicht sein. Das Kind ist ja gar nicht normal und sieht tote Leute, wo es Geister doch nicht gibt und es ganz ungebildet ist, wenn man es heutzutage noch glaubt.«
»So nehme ich Sie mit zum Herrn Oberamtsrichter. Der hat ein Zimmer für Gebildete und Ungebildete, dort können Sie dann schön lang sitzen in Ihrer rosa Bluse, bis die Herren alles ausgemacht haben. Seien Sie ganz ruhig, es geschieht Ihnen kein Unrecht, die Herren bringen alles heraus. – Oder wollen Sie lieber mir jetzt nachsagen, was ich Ihnen vorsage: ›Ich erkläre, daß ich zu unrecht der Prinzessin ein Ehrenwort abgenommen habe und gebe es ihr wieder zurück.‹«
»O Gott, o Gott, daß ich ganz unschuldig in so etwas hineinkomme, ich will es ja sagen, Herr Graf, nur lassen Sie mich gehen,« aber sie ist schon allein in ihrer Wendeltreppennische. »Herr Rat, wollen Sie, bitte, die Prinzessin untersuchen, es ist das Mädchen bei ihr ... Fräulein Braun ist unbrauchbar, ich habe sie zu Bett geschickt.«
Dann sitzen die beiden Herren um die erinnerungsreiche Platte, und von innen ertönt ein Wimmern, ein jammervoller Kinderschrei nach dem andern. Der Fürst ist ganz grau geworden. »Das ist ja entsetzlich, Thorstein, Sie bleiben doch bei uns, Sie übernachten hier. Ich bin ja verraten und verkauft. Diese Engländerin, die Hälfte ihrer Tugenden könnte ein Mädchenwaisenhaus ausstatten.«
Der Hofrat kam heraus, er hatte einen sehr roten Kopf und winkte dem Thorsteiner.
»Gehen Sie, bitte, hinein, das Kind ist noch sehr erregt.«
Und während Harro neben der Babett an dem Bette der Kleinen sitzt, muß der Hofrat dem entsetzten Vater seinen Bericht erstatten. Es ist peinlich genug für ihn. Er hatte in der letzten Zeit eine Scharlachepidemie in einem der Walddörfer zu bekämpfen gehabt und war gar nicht ins Schloß gekommen, da man ihn nicht rief. Heute morgen hatte er die Kleine nur einen Augenblick gesehen ...
Das Seelchen will nun auch reden, nachdem sie so lange geschwiegen, und es gibt ihr noch ganze Herzstöße, während sie ihrem Freund erzählt:
»Man muß Umschläge machen, wenn ich nicht schlafen kann, und Fräulein Braun hat mich angerührt und ich habe geschrien, ›es ist zu heiß‹. Aber weil ich immer so schreie, hat sie es nicht weggetan. Das war wie eine heiße Kugel an mir, und ich habe sehr geweint und Fräulein Braun auch, weißt du, wegen Karl. Denn wenn sie es sagt, schickt man sie fort und der Karl heiratet sie nicht. Und nie, gar nie kriegt sie einen Mann und ein Plüschsofa, bis sie ganz alt und runzlig ist. Und muß bei fremden Kindern sein und sich von Missen und Mamsellen ärgern lassen. Und wenn sie Karl nicht bekommt, stirbt sie einfach oder geht ins Wasser, und wenn man sie herauszieht, muß man ihr die Knochen brechen, weil man sie nicht in den Sarg legen kann, wie bei dem Schlosserfritz. O Harro, wenn ich schuldig wäre, daß der armen Fräulein Braun die Knochen gebrochen werden! Da habe ich gesagt: ›ich sage es nie.‹ Aber sie hat es nicht glauben wollen. Da habe ich ihr mein Ehrenwort gegeben. Wir Braunecker haben alle ein Ehrenwort, auch wenn wir klein und noch nicht konfirmiert sind. Das war sie froh und ich auch, und sie sagte: ›Es wird gleich wieder gut.‹ Aber Miß Whart hat herausgebracht, daß sie mich nicht gebadet hat, und da hat sie es tun müssen, und da ist es nicht gut geworden. Und dem Herrn Hofrat habe ich's doch am allerwenigsten sagen dürfen und habe ihn anlügen müssen. Das war nun einmal dabei, bei dem Ehrenwort. Und nicht wahr, Fräulein Braun muß nicht ins Wasser, Harro!«
»Niemals, die rosa Bluse bleibt trocken, ich verspreche es dir, Seelchen, und du hast dein Wort gehalten und bist echt. Und wenn der Herr mit dem Schwert dich sähe, würde er vor dir salutieren, so echt bist du. Und nun kannst du darauf schlafen.«
»Und dem Papa sage, daß ich nicht lüge, nur wenn ich gar nicht anders kann.«
Da berührt etwas seine Schulter. Der Fürst steht an dem Muschelbett, auf dem sein blasses Kind liegt, umflutet von ihrem Goldhaar, ihr rosiges Wachsebenbild neben sich.
»Kommen Sie mit mir, Graf Thorstein! Was sagen Sie zu dieser Geschichte? Ist das nicht herzbrechend, daß ich so betrogen bin mit diesen Teufelsweibern? Kein Wunder, daß sie diesen Megären entrinnen wollte. Und mir hat sie sich auch nicht anvertraut.«
Sie sind in dem Lernzimmer, und der Fürst geht mit großen Schritten auf und ab. »Ihnen vertraut sich das Kind an.«
»Durchlaucht, es hat sich mir auch nicht anvertraut. Ihr Ehrenwort.«
»Soll das mit der Geschichte zusammenhängen.«
»Ja, und sie hat sich täglich darum quälen lassen.«
Und dann erzählt er dem aufhorchenden Vater des armen Seelchens Geschichte, es scheint ihm..., es will ihm bedünken ..., aber er entwirft doch ein Bild von der Kleinen, das dem Vater die Augen weich und leuchtend macht.
»So sehen Sie meine Kleine an, meine arme Kleine. Aber Sie wissen nicht alles.«
»Wie könnt ich! Das Seelchen scheint noch manche Geheimnisse zu haben.«
»Sind Sie immer ein solcher Kinderfreund?«
»Ich verstehe mich mit den kleinen Herrschaften besser als mit den großen. Und wir haben uns auch in einer seltenen Stunde getroffen, als wir beide unsern Christtag suchten. Ich bin in den letzten Jahren ein wenig mit meiner Seele auseinander gekommen. Und das Kind ... es weht ein Lüftchen um sie, vielleicht, weil sie noch so klein, so fein und so einsam ist ... von dorther, wo die großen Geheimnisse wohnen.«
Draußen in der Winternacht rauscht und braust die Linde ... Harro sitzt, die sehenden Augen hinausgerichtet in das Dunkel, einen Hauch von Versunkenheit und Weltverlorenheit um sich. Der Fürst ergriff seine Hand: »Ach, helfen Sie mir doch bei meiner armen, meiner verlassenen Kleinen, bis sie wieder eine Mutter hat.«
Drittes Kapitel.
Der Ehrensaal
Am andern Morgen gab es ein großes Kofferpacken im Schloß und ob auch Miß Whart von Her Majesty's Ambassador sprach, so rollten doch zwei schwer bepackte Wagen auf den Zehnuhrzug, und das Nähröschen saß am Bett der Kleinen. Harro ist wieder in seiner Ruine verschwunden, wo er zu bleiben gedenkt, bis man nach ihm verlangt. Denn der Morgen ist nicht wie die Nacht, und er möchte nicht den Schein erwecken, als ob er sich unentbehrlich dünkte. Und er hat auch zu tun. Aber alle Tapetenrollen, Risse sind verschwunden. Er steht vor seinem Karton, und wenn er zufällig auf seine Hand blickt, so blitzt ihn dort das rote Funkeln an. Wenn man nie einen Ring trägt – seines Vaters Siegelring hat er damals in Berlin beiseite gelegt, als nicht zu seinen Lebensumständen passend, – und wenn man viel mit den Händen arbeitet, so ist das ein seltsames Gefühl. Er muß ihn betrachten und den alten Spruch bedenken. War der Mann, dem der Ring gehörte, so sehr mit dem Leben fertig gewesen? Es stört ihn das rote Licht bei seiner Arbeit, von den Tapeten hat es ihn schon vertrieben. Es sieht so festtäglich aus, und das ist werktägliche Arbeit. Und er erinnert sich, daß er auch wie andere Leute einen Feiertag verdiene. Die Rollen knattern mißmutig, wie sie ins Eck fliegen. »Wir werden nicht fertig ...« Aber es hilft ihnen nichts, dort liegen sie, grau und häßlich. Harro hat schon lange nicht mehr gemalt, sein letztes Bild ist vom Kunstverein nicht angenommen worden und liegt