Mein lieber Harro!
Ich schreibe Dir, daß Du es weißt. Es geht mir gut. Das Nähröschen macht Deinem Schneewittchen ein Kleid mit Silber. Ich will lieber ein silbernes Kleid, das kann sie aber nicht. Weil es das icht gibt. Oder vielleicht nur in Paris. Das Schneewittchen habe ich sehr lieb, ich habe gleich gesehen, daß Du es gemacht hast, es ist beinah so schön wie Deine Maria. Hättest Du den Joseph gemacht, so wäre es Papa recht gewesen. Alles ist fort, Miß Whart, Fräulein Braun, Babett muß in die Nähstube. Wenn ich gesund bin, komme ich zu Dir und will Deinen singenden Brunnen hören und das Rehböckchen streicheln. Wir haben keinen singenden Brunnen und keine schöne Krippe, aber wir haben eine Linde. Hast Du sie gehört, wie ich krank war? Wenn sie zornig ist, wirft sie kleine Äste gegen mein Fenster und rauscht und rauscht. Dann schläft sie wieder ein. Im Frühling wacht sie auf. Sie hat tausend Herzen, grüne, weiche, die auf und ab schlagen, wenn Wind kommt, und ein Sonnenstrählchen wohnt darin in einem grüngoldenen Häuschen. Und einmal hat sie gelbe Büschelchen, die schwingen, und dann kommt alles zu Besuch. Den ganzen Tag haben sie Hochzeit, und die Büschelchen schwingen und die Herzen schlagen, und es geigt und orgelt, und sogar die Ameisen ziehen weiße Flügel an, daß sie nicht immer so schaffen müssen, und tanzen mit. Es kommt auch der Mond, wenn Sonnenstrählchen in seinem grünen Häuschen eingeschlafen ist, dann darf man aber nicht hinaus, es ist verboten. Einmal habe ich es aber doch getan. Und was war's? Die ganze Hochzeit war zu Bett, die Orgel aus, die Geigen und Flötchen, und was meinst Du, was sie tat, die Linde? Sie weinte! Mit allen Herzen und Büschelchen, und der Mond stach in jedes Tränlein hinein, da war es Silber. Und nun meinst Du, Du weißt die Linde? Aber Du weißt sie immer noch nicht, und darum schreibe ich Dir. Das Nähröschen hat mir versprochen, daß es nicht hereinsieht. Und ich sage es Dir, weil Du nicht sagst: Lügen. Darum bist Du mein Freund. Lieber Harro, es gibt doch ein silbernes Kleid, und es gibt goldene Schuhe. Die Linde weiß es auch, und vielleicht weint sie darum, wenn sie allein ist beim Mond in der Nacht. Dies ist der Aufsatz von der Linde. Dein Seelchen.
Hinweggescheucht war sein Unmut; die große Stube nicht mehr düster, der Zigarettengeruch nicht mehr unangenehm. Es rauscht in der Sommernacht die Linde, ein feines Ärmchen schlingt sich um einen Ast. »Warum weinst du, Linde?« fragt das Silberstimmchen ... Mit langen Schritten geht der Thorsteiner auf und ab, der Märt hat dem Kachelofen kräftig zugesprochen, eine leise wohlige Wärme verbreitet sich, draußen jammert immer noch die Windsbraut und harft mit den Tannen, die Lampe wirft einen freundlichen Lichtfleck auf den Tisch mit den Zeichengeräten, aus der Ecke lugen die schönen schwarzen Augen des Rehs, das mit Märt hereingekommen ist, und bewegt sich das feine Näschen, und nun singt und brodelt der Teekessel.
Aber wie verzaubert steht Harro plötzlich vor dem langen dunkeln Kasten ... es ist, als ob die dunkle Fläche weiche, da steht ein Bild. Das Bild, das von seiner ganzen Seele Besitz genommen hat, dem er heute nachgejagt ist in atemloser Hast. Ein großer Ehrensaal mit weißen Pilastern, darauf fremdes goldenes Getier hockt, verschwimmende Wappen in den Klauen haltend. Feierliche Wände, an denen lange Gestalten stehen, Ritter und Damen, undeutlich, schattenhaft, nur die Augen leben. Und in dem Saal geht von einer fernen Lichtquelle beleuchtet eine zarte Kindergestalt, mit weit offenen, träumenden Augen. – Einer blassen Goldwolke gleich flutet das Haar um das Gesichtchen und die schmalen Schultern. Es hebt sich auf blassen, nackten Füßchen, in den erhobenen Händen, sehnend, bittend ausgestreckt, trägt es ein fremdartiges Kleinod, von dem ein rotes Licht ausgeht. Ein tiefer Atemzug, das Bild ist verschwunden, – da steht wieder der alte Kasten.
Harro schließt die Augen, er tastet sich nach dem düstersten Winkel der großen schattenvollen Stube. Dort legt er seinen Kopf auf seine Arme, ein glühender Wunsch und Wille ist sein ganzes Herz. Wenn es mir gelänge! Wenn es einen Gott gäbe, der mich hörte. Aber der Weltengott mit seinen Millionen Erden und Sonnen, was kann ihm ein winziger Erdenwurm sein! Einsam ist das Herz in der Brust und ohnmächtig, wenn es das wilde Brausen wieder verläßt, das schöpferische, in dem die großen Gedanken geboren werden. Er stöhnt. Wenn ich ihm nachkäme! ... die Arme seiner Seele greifen hinaus in die dunkle Nacht. Wohin, irgend wohin ... dann reckt er sich auf. Ich bin ein Narr ... Als ob je eine Antwort gekommen wäre. Und was will ich denn. Jetzt heißt's die Zähne zusammen beißen, du zwiespältiger Mensch und Ruinengraf. Die Steine schreien lassen. Dem Geschenkten ... von wem geschenkt? – nachreiten. Es wallt heiß. Wenn es mir gelänge, – es zerspränge mir die Brust von Wonne. Ich muß katholisch werden und einem Heiligen eine Kerze anzünden ... Jemand muß ich danken. Oder ich zünde sie dir an, Seelchen!
Viertes Kapitel.
Das Säulenheim
Tief verschneit liegt Schloß und Städtchen unter dem schwerherabhängenden grauen Himmel. In dem beginnenden Dämmer fangen die Lichter an aufzuglühen in den hohen Schloßfenstern. Und heute haben sich ein paar neue Augen aufgetan: Frau von Hardenstein, die neue Erzieherin der Prinzessin, ist angekommen und erwartet in ihren Räumen mit Ungeduld den Thorsteiner. Sie entspricht nicht ganz dem Bilde der Dame in schwarz, das der Fürst zeichnete. Sie ist noch zu frisch, rotwangig und energisch dazu. Man sieht es ihr nicht gleich an, wie vernichtend die Sense durch ihr Blumengärtlein gegangen ist. Nur in ihren blauen Augen liegt etwas, als ob sie schon in ein großes Entsetzen gesehen habe: das taucht auf und verschwindet wieder.
Und nun haben sie sich aufs freudigste begrüßt, und Harro schaut sich in dem großen Raum um, dessen Fenster in tiefen Nischen liegen und allerhand trauliche Winkel bilden, und dessen alte Stuckdecke graue Sandsteinsäulen tragen. Der Säulenschaft ist mit allerhand billigen Stoffdraperien verkleidet, was ihrem Ernst sehr wunderlich steht.
»Wie gefällt es Ihnen in Ihrem Reich, Frau Mutter?«
»Gut, sehr gut, wenn ich mich einmal gewöhnt habe, mit Säulen zu leben; wenn ich erwache, so habe ich regelmäßig den Schrecken, daß ich mitsamt meinem Bett in eine Kirche geraten sei. Ich schlafe hinter dem grünen Vorhang dort. In meinem Schlafzimmer steht auch eine Säule und schaut so streng auf mich herunter, daß ich mir die Nische ausgewählt habe. –«
»Können die Höschen, die man den Säulen angezogen hat, nicht entfernt werden,« riet Harro. – »Es steht so unglaublich lächerlich aus. Aber freilich, dann würden die Säulen noch kirchlicher.«
»Dieses Zimmer muß früher zu etwas Besonderem gedient haben, sehen Sie, die Wand schneidet durch das Ornament der Decke.«
»Eine vierte Säule gehörte noch dazu. Sie müssen in den Kauf genommen werden.«
»Und sonst noch manches!«
Frau von Hardenstein lacht.
»Ich traf also den Fürsten im Wartesaal erster Klasse in Würzburg. Eine gute halbe Stunde waren wir zusammen. Er war sehr liebenswürdig und überschüttete mich mit einer Fülle von Ratschlägen, Ermahnungen, Bitten, Warnungen, wobei er mich von der Seite ansah, ob ich nicht am Ende doch den Dolch im Gewände trüge. Ich wäre gern wieder entflohen, aber – eitel werden Sie ja nicht – wenn es auch nur eine Probezeit sein soll, ich kann in Ihrer Nähe einmal sechs Wochen leben