Es stieg ihm das Blut in den Kopf. Wenn sie ihm etwas schenkten! Der Thorsteiner gehörte zu den Leuten, die gerne schenken, sich aber nichts schenken lassen mögen. Daß er nicht daran gedacht hatte! Keine sieben Gäule hätten ihn herüber gebracht! Daß er selbst geschenkt hat, ist schon vergessen. Er sieht sich scheu nach der Türe um, ob nicht unter irgendwelchem Vorwand eine Flucht möglich sei. War er denn ein Lakai, den man für seine Leistung mit einem Trinkgeld belohnen zu müssen glaubte! Menschen, die aus ihrer Lebenssphäre gerissen sind, sind ja immer überempfindlich. Der Thorsteiner ist im Begriff, eine große Torheit zu begehen, nicht die erste in seinem Leben ...
Er stellt die Miniature auf den Tisch, da kommt schon von den Tannenbäumen her, mit ihren leisen, federnden Schritten, mit ihren weißen Atlasschuhen das Seelchen auf ihn zu, die großen, grauen, glänzenden Augen auf ihn geheftet, und trägt feierlich in ihren blassen Händchen einen Ring, aus dem ein roter Strahl bricht. Wie ein Blitz trifft seine Seele das seltsame Gefühl mit unerhörter Stärke: Das hast du schon einmal erlebt! Das hast du schon gesehen ... Den feierlichen Saal mit den goldenen Tieren, die auf den Postamenten hocken, das blasse Elfchen mit dem Blutring in der Hand, die Wände, von denen in rötlichem Schein die gemalten Augen blicken. Verschwunden ist sein Zorn, eine fast angstvolle Feierlichkeit senkt sich auf sein Herz. Da ergreift das Kind seine Hand und streift den Ring daran.
»Von deinem Seelchen. Und du sollst mich immer lieb haben.«
Da wird es ihm feucht in den Augen.
»Ich danke dir, Seelchen.« Und er bringt es sogar fertig, dem Fürsten in wirklicher Herzlichkeit zu danken. Wer den Thorsteiner kennt, wäre billig erstaunt. Und als der Fürst ihm das Kleinod erklärt, da schämt er sich fast ein wenig. Es ist doch sehr freundlich und zart ausgedacht und betont nicht die jetzige Kluft, sondern die alte Zusammengehörigkeit.
»Und nun wollen wir essen, Graf Thorstein, und du, Kleine, ißt mit uns, und dein Schneewittchen soll auch dabei sein. Wie freu ich mich, daß ich nun endlich deine Wünsche getroffen habe.«
»O Papa,« bittet das Seelchen, »vorher noch etwas anderes ... Aber ihr dürft nicht hersehen ...«
Sie verschwindet hinter den Bäumen, nachdem sie eine neue brokatene Decke von des Fürsten Gabentisch genommen. Eine ganze Weile hört man sie hantieren ... Der Fürst strahlte. »Ihre gestrige Escapade hat ihr gut getan, so lebhaft habe ich sie noch nie gesehen. Letzte Weihnachten war es herzbedrückend, wie still sie war. Nun weiß man allerdings nicht, was bei ihren Überraschungen herauskommt. Sind wohl alle Kinder so rätselhaft?«
»Es wird immer etwas Feines und Liebliches herauskommen,« erwidert Harro, »nur muß man sie vielleicht erklären lassen. Von den Ideen bis zur Ausführung ist bei Kindern immer ein großer Schritt.«
»Jetzt!« erklang's hinter dem Baum. Die Tanne hing die Äste sehr tief herunter, unter den Zweigen halb verborgen lag das Seelchen auf dem Boden, die brokatene Decke um ihre zarte und schmächtige Gestalt gehüllt, bis auf ein wunderschönes blasses, nacktes Füßchen, das aus den Falten heraussah. In den Armen hielt sie das Puppenkind, um das sie die goldenen Haare wie ein Wiegenvorhängchen gezogen hatte. Die Augen hatte sie geschlossen, der kleine Mund lächelte ein wenig. Sie flüsterte:
»Harro, stehe hinter mich und mache den Joseph.«
Es hätte der Erklärung für ihn nicht bedurft, sein Madonnenbild aus der Krippe war in Haltung, selbst in den Falten des Gewandes so getreu nachgebildet, daß ihn die größte Verwunderung ergriff.
»Sehr schön hast du das gemacht. Es ist Maria mit dem Kind.«
Etwas verlegen sah der Fürst darein.
»Ja Kleine, mußtest du denn wirklich dazu Schuhe und Strümpfe ausziehen. Ein Glück, daß dich Miß Whart nicht sieht.«
Die Kleine hob ihr Köpfchen.
»O Harro, warum hast du nicht den Joseph gemacht? Ach, mach ihn doch nur. Nimm Miß Wharts Reisedecke, das Billardqueue dort soll dein Stab sein.«
»Seelchen, ich kann mich unmöglich an Miß Wharts Eigentum vergreifen.«
»Tu den Rock herunter, Harro ...« Die Zumutung, in diesem Milieu in Hemdärmeln dazustehen, erschöpft ihn sehr. Da erlöst ihn der Gong zum Diner.
»Kommen Sie, Harro, unsere kleine Dame soll nachkommen, wenn sie wieder anständig geworden ist.«
Und Seelchen merkt, daß ihr schöner Gedanke nicht recht eingeschlagen hat. Papa hat eben auch die Krippe nicht gesehen. Und sie möchte es so gern wieder gut machen.
»Papa, ich will auf der Nora reiten, daß du Tante Helen depeschieren kannst,« ruft sie und läuft mit ihren feinen nackten Elfenfüßchen auf dem blanken Parkett dahin.
Die gemalten Augen an den Wänden haben heute viel zu sehen ... In dem erlöschenden Licht der Kerzen, von denen eins nach dem andern zum roten Stümpchen herabsinkt, erscheinen sie immer mehr von seltsamer Lebendigkeit. Harro eilt herbei, das Seelchen auf den blanken Sattel zu heben. Sie verfärbt sich plötzlich, sie sitzt oben, die nackten Füßchen von sich gestreckt, aber totenblaß mit schmerzverzerrten Lippen, der Fürst ruft:
»Nehmen Sie sie herunter, sie wird ohnmächtig.« Er eilt fort, einen Diener nach Fräulein Braun zu schicken. Harro hat sie auf seine Arme genommen und auf den Diwan gelegt.
»Seelchen, hab ich dir weh getan?«
»O nein, Harro,« flüstert sie ... »O, du nicht, du nicht.«
»Seelchen, sag mir's, was ist mit dir ... warum willst du nicht baden?«
»Hast du mich schreien hören?« fragt sie.
»Schnell, Seelchen, laß mich wissen ...«
»Ich kann's nicht. Nie. Siehst du, wie der Herr mit dem Schwert zu mir herübersieht! Ich bin nicht echt, wenn ich es sage. Ich will sein wie sie alle!«
»Seelchen, du fieberst ... der alte Herr sieht nicht her, – sag mir's doch.«
Da kommt der Fürst herein. »Diese Fräulein Braun ist nicht zu finden. Nun weiß ich doch, wer gestern der Schuldige war.« Harro nahm ihn beiseite. »Die Prinzessin hat ein Geheimnis, das sie drückt: scheint mir irgendwie verletzt zu sein. Wäre es nicht am besten, gleich zum Arzt zu schicken?«
»Der hat sie heute morgen gesehen, freute sich, daß sie die Tour so gut überstanden. Verletzt, unmöglich. Gestern etwa?«
»Nein, es scheint schon älter zu sein.«
Der Fürst spricht rasch und ärgerlich:
»Will sich denn die Whart gar nicht von ihrem Diner trennen, wenn die Braun nicht aufzutreiben ist. Es ist der Kleinen leider nicht alles zu glauben, sie hat eine zu überquellende Phantasie.«
»Durchlaucht,« sagt Harro so eindringlich, daß der Fürst ihn erstaunt und befremdet ansieht. »Das Kind hat etwas, das es bedrückt ... Ein Geheimnis!«
»Was könnte sie haben, ich kann mich nie länger als eine Viertelstunde an ihr freuen. – Da sind Sie endlich, Fräulein Braun, bringen Sie die Kleine zu Bett und schicken Sie sofort nach dem Herrn Hofrat. Und nun kommen Sie mit mir, Graf Thorstein. Wir lassen uns Bericht geben ... Geh lieb zu Bett, Kleine, ich komme noch, dir gute Nacht sagen.«
Drüben im Speisezimmer, das dunkel getäfelt und mit vielen Porträts an den Wänden behängt ist, glänzen die elektrischen Lichter aus alten venetianischen Kronleuchtern golden und freundlich herab auf die gedeckte Tafel im Schmuck der roten Nelken und des grünstacheligen Laubes der Stechpalme. Die Unterhaltung dreht sich um lokale Interessen, die Jagdangelegenheiten des Fürsten,