Die Kleine nahm den Ring in ihr blasses Händchen und nickte: »Ich habe ihn schon oft gesehen!«
»Hat ihn dir der Herr Rat gezeigt?« »Ach nein, der nicht. Es ist doch ein schöner junger Herr da, der ihn trägt. Der so schön lachen kann. So schön lacht niemand. Weißt du, er springt manchmal gegen Abend die Wendeltreppe hinauf und hat so viele lustige Bänder an sich hängen und glitzernde Dinge. Er ist der allerschönste von all den Leuten, er hat lange schwarze Locken und so schöne Augen wie du, Papa, wenn du an Mama denkst.«
»Kleine, wann willst du jemand mit langen Locken gesehen haben?«
»Vorgestern abend, als ich mit Fräulein Braun hinauf ging in das rote Zimmer.«
»Kleine,« sagte er streng, »wenn du so viel vom Ehrenwort weißt, – das Lügen verträgt sich schlecht damit.«
Einen Augenblick sieht es aus, als ob sie weinen wollte, aber plötzlich wie ein Regenwölkchen vor einem Sonnenstrahl verflattert, lächelt sie: »Und Harro kommt ganz gewiß und den Ring darf ich ihm geben?«
Erstaunt sieht der Vater das Aufleuchten. Was für ein unverständliches, rätselhaftes Kind, mit seinen Gedankensprüngen! – Seine Schwester fiel ihm ein, die diesen Sommer in ihrer kurzen Weise zu ihm gesagt hatte: »Deine Kleine ist verrückt wie ein Märzhase. Die mußt du zu jemand tun, der sie fest in die Kandare nimmt und für die Welt dressiert. So kannst du sie einmal nicht sehen lassen!« In dem großen Vorsaal steht Harro vor einem langen, in die Wand eingelassenen Spiegel, der seine ganze Gestalt wiedergibt. Die Spiegel in der Ruine gestatten ja nur eine beschränkte Übersicht. »Durch Eleganz bis zur Unkenntlichkeit entstellt ...« murmelt er und winkt einen Lakaien herbei. »Können Sie mir dieses noch an den Gabentisch der Prinzessin hinbesorgen?«
Der Lakai kann es und verschwindet mit dem eingewickelten Puppenkind. Kaum ist er fort, so kommt der Fürst, seine kleine Tochter an der Hand, in den Vorsaal heraus und begrüßt den Grafen aufs liebenswürdigste.
»Welche Freude, daß Sie uns heute den Abend verbringen helfen. Wir sind ja beide gewissermaßen Einsiedler und müssen uns mit dieser einzigen kleinen Dame begnügen.«
Als Harro aber das Seelchen sieht, erschrickt er. Wie sieht das Kind aus! Als halte es sich nur mühsam aufrecht, und doch, als brenne eine verzehrende Flamme in ihr, so leuchten die grauen Augen. Am liebsten hätte er sie auf den Arm genommen und sie gefragt: »Was ist dir, Seelchen?« Aber er hat ja heute kein Recht mehr an das Kind. Und nun gehen sie durch die Reihe der Gemächer in den großen Saal, wo die Lichterbäume schon brennen.
Der große gewölbte Saal mit seinen Pilastern, auf denen vergoldete Wappentiere hocken, die nun in der einzigen Beleuchtung der Weihnachtsbäume seltsame Schatten werfen. Feierliche steife Gestalten, fast alle lebensgroß, sehen von den Wänden, und das Licht der Kerzen flackert in ihren gemalten Augen. Im Hintergrund stehen verschiedene Weiblichkeiten, darunter eine unverkennbare Britin, die Harro mit herzlichem Abscheu betrachtet. Eine hübsche rosige Schwarze, in einer seidenen Bluse und Goldgürtel, ist wohl Fräulein Braun. Ein langer Gabentisch steht zwischen zwei mächtigen Tannen, die dritte Tanne, die größte und schönste, steht allein, gerade vor dem Bilde eines kräftig und kühn blickenden dunkeln Mannes in mittleren Jahren. Es ist das weitaus lebendigste Bild der Galerie, ein Soldatenkopf, breite Brust im braunen Lederkoller, ein langes Schwert in den Händen, das aussieht, als habe es schon Dienst gesehen. Unter dieser Tanne liegen des Seelchens Geschenke, alles was nur ein elegantes Spielwarenlager hergeben mag, drei in Samt und Seide strahlende Puppen, Wägelchen, Eisenbahnen, ein mit Fell bezogenes Pferd. Das ist von Tante Helen. In dem begleitenden Brief dazu heißt es: »Wenn die Kleine einmal den Mut hat, diese Nora zu besteigen, so depeschiere mir.« Das Seelchen wirft nur einen einzigen scheuen Blick auf die Herrlichkeiten, sie hängt immer noch an ihres Vaters Hand. Dann geht sie auf Miß Whart und die andern zu und macht einen schüchternen Versuch, sie an den für sie bestimmten Gabentisch zu führen. Aber die Miß nimmt die Kleine von der Hand ihres Vaters hinweg und flüstert ihr etwas zu. Der Fürst zuckt die Achseln und meint: »Muß es wirklich sein, Miß Whart? Dann Kleine, tapfer drauf los.«
Das Seelchen steht da unter den brennenden Bäumen, so klein, so zart in seinem weißen Kleidchen, daß der lange Thorsteiner ein glühendes Erbarmen in sich aufsteigen fühlt, als geschähe irgend eine Untat an einem wehrlosen weißen Täubchen! Sie soll ja nur aufsagen, die Kleine! Dann klingt das hohe Silberstimmchen durch den Saal, und es ist, als wendeten sich all die gemalten Augen, in denen heut so viel Leben brennt, nach dem Kinde, und die Wachskerzen knistern leise dazu. Kläglich und eingelernt ertönen die Worte des englischen Psalms ... Da stockt sie plötzlich. Miß Whart flüstert eifrig ... noch ein paar stockende Worte ... der Fürst runzelt die Stirn, auf den schmalen Wangen dort brennen rote Flecken ... die ängstlichen Augen suchen den Freund ... da wirft sie die goldene Mähne zurück, fest ihre Blicke auf den Freund gerichtet, fängt sie noch einmal an:
»Es waren Hirten auf dem Felde und es war bei ihnen die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.« »Komm her, Kleine,« ruft der Fürst freudig, »zum erstenmal etwas hinausgeführt!«
Es scheint aber doch nicht programmäßig gegangen zu sein, Miß Whart sieht ärgerlich aus.
Und nun werden die Menge schöner Dinge angesehen, die den Damen und Mädchen beschert worden, und dann ziehen die mit ihren Schätzen beladen ab, mit dankendem Knicksen. Nur Miß Whart und Fräulein Braun bleiben da, die das Prinzeßchen an ihren Platz begleiten.
»So war es bei uns in alten Zeiten,« erklärt der Fürst, »zuerst bescherten wir immer den andern, dann erst kamen wir selber dran.«
Darauf ging der Fürst zu seinem Tisch, um mit Lächeln und Stirnrunzeln in Empfang zu nehmen, was die originelle Schwester ausgesucht, und es dem Thorsteiner zu weisen. Dann legte er die Hand auf Harros Arm:
»Nun sehen Sie einmal hinüber, ob das nicht ein Jammer ist? Was man ihr auch geben mag, es ist nie das Richtige.«
Das Kind stand mit auf den Rücken gelegten Händchen. Miß Whart hielt ihr eine rosaseidene Puppe hin, Fräulein Braun hat eben ein kleines Tänzerpärchen aufgezogen, das sich auf einem Kästchen zu einer dünnen Walzermelodie bewegt. Plötzlich kam Leben in die kleine Gestalt, sie schiebt die Rosaseidene energisch hinweg und stieß einen hellen Jubelschrei aus.
»O Papa, o Harro, seht es doch an, ein Puppenkind, es lächelt... O darf ich's behalten, immer, immer?«
»Hat endlich etwas deinen Beifall gefunden, Kleine? Das nenn ich aber Glück!« Das Seelchen sah einen Augenblick nach dem Thorsteiner, dann schlang sie die Arme um ihren Vater.
»Darf ich's behalten?«
»Kleines Närrchen! Es ist doch alles dein Eigentum. Laß mich sehen, was dich so beglückt. Nun, das ist auch schön. Kleine, man könnte glauben, es sehe dir ähnlich. Wenn du einmal so rote Backen hast!«
Das Seelchen hielt die Puppe zärtlich in ihrem Arm. »Wie heißt sie, Harro?« Seltsam, sie schien keinen Augenblick im Zweifel zu sein, woher das Geschenk komme, und doch hatte sie mit dem feinsten Takt vermieden, ihres Vaters Freude zu zerstören. Harro war sehr froh, daß die Kleine so schön geschwiegen, denn es waren ihm doch Bedenken gekommen, ob er mit seinem Geschenk nicht in fremde Rechte dringe. Der Fürst sah nach Miß Whart hinüber, während Harro und das Seelchen sich auf Schneewittchen einigten, und dann zogen sich die Engländerin und die rosa Bluse mit dem Goldgürtel zurück. Der Fürst ging an seinen Gabentisch und entnahm ihm ein Etui, das er Harro zeigte. »Ihre Mutter ... Meine Schwester hat es mir für dies Reiseetui machen lassen. Es kommt eben leider immer doch ein fremder Zug in diese Wiedergaben.«
Es war ein schönes, junges, freundliches Gesicht, braunäugig und blondlockig, die Augen blickten kindlich.
»Sie können auch keine Ähnlichkeit entdecken.«