»Ja, aber die Dame! Eisig gleichgültig, als ob es sich gar nicht um sie handle... sie sah auch beständig nach der Türe..., als ob sie etwas erwarte, vielleicht ihren Feuerbrand von Gemahl.«
»Es könnte auch sein,« darauf der Berliner, »daß sie eine äußerst geringe Meinung von unserer Kunst hätte... oder sie gar nicht wünsche.«
»Unglücklich verheiratet und von ihrem Leiden bereits so zermürbt, daß sie sich aus dem Rest nichts mehr macht. Nur als wir ihr sagten, daß wir sie jetzt zu keiner Kur fortbringen wollten, wurde sie gnädiger und taute ein wenig auf. Aber das Schicksal oder der Zustand des Herrn von Thorstein schien sie gar nicht zu interessieren. Nicht eine einzige Frage, Herr Kollege... Die Dame ist unglücklich verheiratet, das dürfen Sie mir glauben.«
Siebenundvierzigstes Kapitel.
Die eine Stunde
Harro und der Hofrat schlenderten im Garten auf und ab, Harro eine Gerte in der Hand, mit der er nachlässig seine Beinkleider bearbeitete.
Wer sie so gesehen hätte an dem Hochsommermorgen in dem schönen Besitztum, der konnte sie für ein paar genießende Menschen halten, denen die gewöhnlichen Sorgen und Kümmernisse fern standen, die sich weder in Bureaus noch Kontoren plagen mußten.
Der Hofrat läßt alle hoffnungsvollen Möglichkeiten spielen, die er von irgend welchen Anzeichen herleiten konnte. Harro schlug mit seiner Gerte und schwieg. Und der Hofrat erzählte ihm einen Fall, wo sich eine halbe Fakultät getäuscht hatte. Plötzlich befreite sich Harro mit einem Ruck von dem Arm des alten Herrn.
»Entschuldigen Sie, ich sehe dort...«
Er ging ins Haus und war verschwunden. Und Ulrike und der Hofrat mußten allein die harrende Rosmarie trösten und beruhigen.
»Er geht wieder in die Wälder,« klagte Rosmarie, »und nun können Wochen vergehen, ohne daß er an sein Bild kommt. Oh, warum mußten diese Menschen kommen und ihn quälen!«
Es wurde Abend, bis Harro zurückkam, barhäuptig, in seinem alten Filzhut trug er einen jungen munteren Igel. Klein Heinz war noch auf, und vor seinen Augen wurde das interessante Tier auf die Terrasse gesetzt und dort mit einem Regenwurm gefüttert, den es mit lautem Schmatzen verzehrte.
Das ganze Goldhaus hallte wider von Heinz' Jubelgeschrei und dem Gebell des kleinen Fips. Rosmarie wollte wissen, was es gäbe. »Harro ist zurückgekommen, und sie spielen mit einem Igel!«
»Ich möchte es auch sehen,« bat Rosmarie, »oh, wie bin ich froh, daß Harro da ist.«
Dann kamen Vater und Sohn mit der Beute ins Schlafzimmer, nur Fips mußte draußen bleiben, weil seine Pfoten sich beständig auf Rosmaries Bett befanden und dort Spuren hinterließen. Er winselte kläglich vor der Türe und bellte dazwischen seinen unsichtbaren Feind an, den er roch.
Der Igel benahm sich höchst manierlich und lief auf dem schönen Teppich herum. Klein Heinz bewunderte ihn bäuchlings und machte kühne Streichelversuche, um allemal erschrocken wieder die Hand zurückzuziehen. Das mußte ihm sehr witzig vorkommen, denn er lachte jedesmal hell auf und bildete in seiner Freude den ersten Satz seines Lebens: »Dute Alo Igel bacht,« und mußte das seiner blassen Mama wiederholen, was er auch mit Stolz tat. Endlich schlug unwiderruflich seine Stunde, und er wurde, unter lebhaftem Protest zwar, mit samt dem Igel und dem Fips von dem Vater fortgebracht.
Später kam Harro noch einmal herein, wie er versicherte, gänzlich gewaschen und gesäubert, und setzte sich einen Augenblick an Rosmaries Bett. Rosmarie war noch voll von Heinz' Sprechkünsten und seiner Freude. Da ertönte schon der Gong.
Tante Ulrike nahm das einsame Mahl mit ihm ein. Der Fürst war heute nicht gekommen. Er hatte eine Schale herrlicher Pfirsiche geschickt, mit Marschal-Niel-Rosen zugedeckt. Ulrike wählte den schönsten aus, um ihn hinüber zu bringen und sagte: »Es ist heute das erstemal, daß der Herr nicht gekommen ist.«
Harro stand auf und reckte seine Arme: »Nun, so viel Mut kann man schließlich kaum von ihm verlangen nach dem Besuche von heute morgen, er hat auch vielleicht nicht gleich einen Igel gefunden, den er hätte vor sich hinhalten können. Tante Ulrike, ich werde meine Farben für morgen herrichten, und du sitzest jetzt bei der Rose, bis sie einschläft.« Und damit ging er zur Türe. Die alte Dame rief ihm nach: »Harro, sie wartet nun den ganzen Tag auf dich. Was soll ich ihr nur sagen?«
»Was dir einfällt, Ulrike.«
»Das ist unverantwortlich, wie du mit ihr umgehst. Sie fühlt nichts, sie ängstigt sich nicht, sie hat heute nichts von den Ärzten ausgestanden! Wenn nur du deinen Weltengrimm austoben kannst!«
»Tobe ich etwa? Ich benehme mich sehr gesittet. Ich bekomplimentiere Herren hinaus, ich finde Igel, ich gehe jetzt meine Farben herrichten... Das verstehst du nur nicht, die Feinheit. Sieh, wie die Rose darauf eingeht, wenn sie es hört. Sie ist dreiviertel getröstet.«
Und sie hörte ihn hinübergehen und das Atelier abschließen.
Ulrike versuchte ohne jeden Glauben an die tröstende Wirkung die Farbengeschichte vorzubringen. Aber Rosmarie glänzte sofort auf.
»Ach, das ist gut, Mutter Uli! Und wenn man alles überlegt, haben wir doch allen Grund, froh zu sein, daß das Auto wieder fort ist und sie nicht noch mehr Unheil angerichtet haben.«
Im Atelier saß Harro an seinem Zeichentisch und zeichnete auf einem großen weißen Bogen die beiden Herren, den von Königsberg und den von Berlin. Als ob er sie seit Jahren gekannt hätte, so standen sie da. Er gab ihnen aber weiße Tellerkragen und Talare, und ihre feinen Köpfe sahen noch besser darauf aus. Sie saßen um einen Tisch und hatten Papiere vor sich. Auf dem obersten Blatt stand ein Name, ein geliebter Name, und der Berliner zeichnete mit seinen nervösen Doktorhänden ein Kreuz daneben. Der andere sah ihm dabei zu, ruhig unbewegt, eisig.
Dann fixierte er das Blatt sorgfältig, rollte es zusammen und adressierte es an den Berliner Herren.
»Ein kostbares Blatt und ganz umsonst,« murmelte er.
Drüben war das Licht im Vogel Rock erloschen. Rosmarie schlief also schon und erwartete ihn nicht mehr. Dann streckte er sich auf sein altes Lager, das er in der letzten Zeit wieder benützt hatte.
Er war todmüde und schlief sofort ein. Und sein Geist ging steile und mühselige Pfade zwischen Geklüft und rasenden, tobenden Gebirgswassern. Vor ihm flog ein großes, schwerfälliges Tier, ein Reiher vielleicht, mit langsamen Flügelschlägen, und es war sein Elend, daß er es immerfort vor sich haben mußte. Und eine Masse kleiner Kinder drängten sich zwischen den Steinen hindurch. Jede Art von Unglück konnte ihnen passieren, ins Wasser mußten sie rollen, jämmerlich im Geklüft stecken bleiben. Und das schlimmste wäre, wenn der Vogel sich umdrehte.
Er nahm ein paar der Unglücksgeschöpfe auf, aber er konnte doch nur eins auf jeden Arm nehmen, und da rollte schon das erste über die glitschig glatten Steine in das tobende Wasser. – Und der finstere Vogel wandte sich... Sein Schnabel verwandelte sich in eine schön geschwungene Nase. »Eventuell,« krächzt er, »eventuell«, und schlug seine schwarzen Flügel über dem Kinderjammerhäufchen.
Im hellen Entsetzen wachte Harro auf. Ein graues Mondlicht erfüllte seine Zelle, und auf der geweißten Wand geisteten die Schatten der Aristolochienblätter. Er fuhr in die Höhe, jemand mußte ihm gerufen haben. Sein Herz schlug noch wild, es war aber totenstill, nur der Wald rauschte ferne.
Er sah nach den sich leise verschiebenden Blätterschatten, matt und abgespannt und dennoch froh, daß er dem Traumelend entronnen war. Aber lange duldete es ihn nicht. Aus den sanften Blättern dort an der Wand wuchs eine Hand heraus, eine feine Doktorshand, die schrieb ein Wort und noch eins, er mußte nachlesen... »eine plötzliche Änderung«. Da schlug er mit der Faust an die Wand, daß die dröhnte und der Verputz abrieselte...
Da