»Wenn ich jetzt fort könnte, wenn ich nicht so angekettet wäre! Daß er nicht merkt, wie schauerlich mir das ist. Nun muß ich liegen und ihm zusehen, oh, mein armer Harro! Und ob ich ihn stören soll, weiß ich nicht... und ob ich lügen soll, daß ich nicht weiß, was er da macht, weiß ich auch nicht.«
»Harro!« – Er drehte sich herum, er sah grünweiß aus. Er sah sie an, wie wenn er nicht wüßte, wo sie auf einmal hergekommen.
»Ja, ja, da bist du, Rose!« Er drehte sich so, daß er seine Zeichnung verdeckte... »Willst du in die Sonne... ich bin noch nicht ganz fertig.«
»Doch, du bist fertig, Harro,« sagte sie... »es macht dich noch kränker als du schon bist, das Zeichnen ... Komm mit mir heraus...«
»Krank, ich bin doch nicht krank!« er drehte sich um und fuhr auf seine Zeichnung los und wischte sie hastig aus. Er konnte sich nicht genug wischen, bis die Leinwand die gleiche gräuliche Farbe hatte. Dann kehrte er sich um und warf sich erschöpft auf einen Stuhl. »Es waren Ornamente,« stammelte er, »aber sie taugten nichts.«
»Nein, Harro, es waren kranke Herzen, und sie taugten auch nicht mehr viel.«
Er fuhr auf. »Welche Idee...«
»Sie taugten nur noch zu einem großen Kummer um dich.«
Harro verbarg sein Gesicht in seine Hände.
»Hast du das schon oft gezeichnet?...«
»Nichts anderes in der letzten Zeit. Ich habe oft etwas begonnen. Es wird immer das gleiche. Es macht mich halb verrückt, der Gedanke, man hätte dir vielleicht helfen können, wenn sie es anders gemacht hätten... Ich glaube selbst, daß ich krank bin, Rose. Ich fing an, deine klagenden Bäume zu zeichnen. Es ist wie ein Dämon in mir, die Gedanken treiben mich im Kreise herum.«
»Wenn du dich zwingen könntest, ein Bild zu malen, das dich ganz beschäftigte, ausfüllte, fortrisse, bedrängte. Ich weiß ja, wie es dir zumute sein muß, du mußt den Augenblick nicht erwarten können, wo du dich wieder darauf stürzen darfst. Du müßtest dran siebenmal in einem Tage verzweifeln und siebenmal selig darüber sein. Harro, Lieber! Hörst du auf mich?«
Er sah auf. »Doch... aber ich kann nur noch ein Bild malen, mein letztes. Ich sehe es vor mir, es verfolgt mich, um ihm zu entgehen, mache ich die Zeichnungen.«
»Du hast ein Bild im Herzen? Was ist es denn? Laß mich es wissen.«
»Du wirst unglücklich sein, wenn du es siehst, Rose... und wenn ich es male, bricht mir das Herz darüber...«
Er stöhnte. »Ich muß sehen, immer sehen! Vor mir verbirgst du nichts. Du kannst das stolzeste, das freundlichste, das liebevollste Gesicht machen. Ich sehe doch, wie du leidest, jeden feinen Schmerzenszug seh ich. Ich seh es, wenn es so schlimm wird, daß du deine Hände verstecken mußt. Du bist gar nicht immer traurig bei deinem Leiden, du lachst sogar einmal, daß es mich eine Sekunde blendet, dann seh ich es schon wieder. Und wie es schlimmer wird, seh ich, und wie es wohl sein mag, wenn du allein sein willst mit Ulrike. Siehst du denn so aus?« Er zog eine Farbenskizze hervor, die mit wahrhaft entsetzlicher Kunst gemalt war. Wie in jener Gewitternacht, so todblaß, solche verkrampften Hände, so wilde, schmerzliche Augen, und um den Mund ein Zug von hilfloser Qual.
Er warf die Skizze hinweg. »So bin ich, so geh ich mit dir um, das zeig ich dir!... Warum rufst du nicht nach deiner Mutter, daß sie den Menschen entfernt? Daß du Ruhe vor ihm hast!... Ja, nun stößt es wieder, dein Herz. So dunkel deine Augen.«
»Nimm den Pinsel, Harro, und male, was du siehst,« sagte sie mühsam. »Wenn du es doch sehen mußt, so male es dir vom Herzen... Ich bin ja immer dein Modell gewesen. Ich halt dir ja still, helfen kann man mir nicht, reden darf ich nicht mehr... So mal doch, Harro ...«
Er riß seine Pinsel heraus, seine Farben, mit wilden Strichen arbeitete er; seine dämonischen Augen ruhten auf ihr, glitten unbarmherzig über ihre bebenden Hände, über das ins Kissen zurückgeworfene Haupt mit den halbgeschlossenen Augen und den im heftigsten Leiden noch stolz geschlossenen Mund. Sein Schatten war auf ihm. Der Fluch seines Segens...
Im Garten jubelte das Kind und bellte das Hündchen, mit dem es spielte. Die alte Dame klopfte, aber niemand antwortete ihr.
Plötzlich entfiel ihm der Pinsel –, was war das? Fast plötzlich hatte Rosmarie die Augen weit geöffnet, die Iris lag nur noch als schmaler Rand, um die Pupille. Sie sah geradeaus ihn an und sah ihn doch nicht. In einem Momente spielte ein wundervolles Lächeln um ihre Lippen, das er noch gar nie an ihr gesehen hatte. Fremd und lieblich und hoheitsvoll. Der Ausdruck verstärkte sich in jedem Augenblick. Jede Spur des Leidens war aus dem Gesicht gewichen, sogar auf den Lippen blühte ein leises Rot auf, von innen her wie das köstlichste Rot an einer halberschlossenen Rose. Auch die Haare schienen ihm goldener, oder machte es, daß sie von irgendwoher den Reflex eines Sonnenstrahls streifte. Ihre Hände lösten sich, die eine Hand streckte sich wie verschämt glücklich mach etwas aus. Nicht nach ihm. Denn ihre weit offenen Augen sahen ihn nicht. Wie versteint steht er da... Ist das das allerletzte... Ist das schon gekommen... Er weiß es nicht. Sie flüstert etwas, er kann es nicht verstehen. Ihre Stirn ist marmorweiß und so königlich, daß er meint, er sehe die feinen Linien zum erstenmal. Dann schließen sich ihre Augen ganz leise, ihr Kopf sinkt wieder zurück, ganz hingegeben in einer sanften Ruhe. Das Rot vergeht auf den Lippen, sie wendet sich ein wenig auf die Seite, was sie sonst nie tun kann, und nun schläft sie ein. Den Kopf an die Kissen gedrückt wie ein müdes Kind. Leise legt er die Palette weg und eilt hinüber.
»Uli, ich weiß nicht, die Rose, die Rose, sie stirbt oder wird wieder gesund. Sieh sie dir an, komm. Sie schläft.«
Sie gehen vorsichtig hinüber. Die Rose schläft wirklich, aber nur ist sie so blaß und müde in ihrem Schlaf, daß Ulrike ihm zuflüstert: »Harro, was soll ich denn da von gesund werden sehen?«
Und sie setzt sich neben ihr Kind. Harro dreht seine Leinwand herum, daß sie die Malerei nicht sehen kann. So wartet er, und Tante Ulrike verbietet ihm sie anzusehen, weil sie gleich davon im Schlaf zusammen zucke.
Rosmarie hat einen langen erquickenden Schlaf getan und ist wieder aufgewacht. Sie haben ihr zu essen gebracht, und sie hat mit ihnen gegessen, und darüber ist's fast Abend geworden. Tante Uli geht hinüber, um nach dem kleinen Heinz zu sehen, und Harro sitzt noch da vor seiner umgedrehten Staffelei.
Da fragt sie ihn ganz freundlich und einfach, wie sie sonst immer nach den Sitzungen zu tun pflegte: »Nun, Harro, wie ist es geworden? Zeig es mir doch.«
Er senkt seinen Kopf. »Rosmarie, du hast eine unsägliche Geduld mit mir.«
»Warum denn, Harro... Die brauche ich doch gar nicht?«
»Die brauchst du nicht! Ich stehe vor mir selbst und frage mich, was ich sagte, wenn man mir dies von einem andern erzählt hätte. In früheren Zeiten, meine ich. Wo man nicht wußte, wieviel Dämonen in der Seele wohnen können.«
»Dreh die Leinwand um, Harro, und mache die Krone hell!«
»Ach nein, Rose...«
»Ja warum denn nicht, Harro?... Ich habe nicht das mindeste Mitleid mit ihr. Namentlich jetzt nicht, übrigens geht mich das Modell gar nichts mehr an, ich bin jetzt wieder Rosmarie von Thorstein, geborene Prinzessin von Brauneck, Durchlaucht. Laß mich sehen... Wehe dir, wenn du aus Mitleid etwas daran verpinselt hast. Auch dein Mitleid ist unnötig...«
Harro gehorchte... Das Licht flammte auf. Rosmarie betrachtete kritisch die große Skizze, die in Farben ausgeführt eine Riesenarbeit für die kurze Zeit war. Sie schwieg, und Harro mußte das Bild öfters hin und her wenden, bis sie befriedigt war.
Dann seufzte sie auf und sagte: »Einige Teilnahme muß man ihr doch gewähren, Harro ... Feig ist sie gottlob nicht. Das wollte ich auch wissen. Harro, komm her! Ich muß deine Augen küssen, über die du so gestöhnt hast. Deine geliebten Augen.«
Er kam langsam her und kniete vor ihr nieder, daß ihre Augen in die seinen tauchten. »Rosmarie,«