Dann hob er seinen Kopf. »Wie geht's Tante?«
»Oh, deiner Rose geht es soweit, sie ist so glücklich über deinen Schlaf. Sie ängstigt sich nur ein wenig um ihren Vater, der auch heut nicht dagewesen ist.«
Harro setzte den kleinen Heinz auf den Boden. »Liebe, bitte, geh jetzt hinüber, ich komme gleich... Heinz, du kannst zusehen, wie ich mich wasche... weil du so lieb gewesen bist.« Ulrike beugte sich über ihr blasses Kind. »Dein Sorgenstein drüben, dein Thorsteiner Trotzkopf, er hat heute ganz andere Augen...«
Dann kommen sie beide, Vater und Sohn, um die Mama zu begrüßen. Der kleine Thorsteiner, um gute Nacht, und der große, um guten Morgen zu sagen.
Das Kind ist zu Bett gebracht und die beiden Gatten sind allein.
»Geh du hinüber, Harro, und sieh nach dem Vater. Er war heute nicht da. Ich sorge mich um ihn. Wie lang bist du nicht mehr geritten. Es wird dir so gut tun.«
»Ja, wenn ich mich austobe, dann fürchte ich immer, der Gaul muß es entgelten. Ich strapaziere mich da lieber selbst. Und ich reite hinüber, Rose, darf ich dich noch sehen, wenn ich komme?«
»Ja, immer, Lieber! Oh, ich war so froh, daß du schliefest. Ich schlief auch. Ich schickte dir Sie, ich schickte dir Ihren Schleier.«
»Oh, es war so köstlich darunter.«
»Du gehst unter dem Kreuz, Geliebter, du Geliebter... Geh nur. Es tut dem Vater wohl.« – – –
Der Thorsteiner fand seinen Schwiegervater unter dem Bild des Seelchens und über seine Briefschaften gebeugt. Er war so überrascht, wie Harro sporenklirrend hereinkam, daß er ihn einen Augenblick wie eine Erscheinung anschaute. Dann sprang er auf.
»Die Rose läßt dich grüßen, Vater.« Er beugte sich herab und küßte ihn auf die Wange. Das hatte er fast noch nie getan. Dann setzte er sich neben ihn hin. »Die Rose hat Heimweh nach dir, Vater... Ich hätte schon früher nach dir gesehen, aber gestern – es war ein harter Tag für uns, und heute hab ich einen langen Schlaf getan. Auf ihren Befehl hin, Vater.«
Der Fürst stützte seine Ellbogen auf den Schreibtisch auf und barg sein Gesicht... in den Händen.
Harro saß neben ihm und schaute auf zu dem feinen, geheimnisvoll lächelnden Seelchen, seinem ersten Kunstwerk. An dem noch hellen Himmel hing ein roter Vollmond, und die Sommerstube begann sich mit feinem Lichte zu füllen, die Fenster standen weit offen, und unten im Tal, wo der Fluß über das Wehr rauschte, klang Mädchengesang herauf: »Drei Lilien, drei Lilien, die pflanzt ich auf ein Grab, da kam ein stolzer Reiter und brach sie ab...« Die dünnen Stimmen zogen etwas zitternd herauf und schienen sich an der Decke der Sommerstube zu verlieren.
Der Fürst wandte sich. »Harro, ich hab noch nicht den Mut gehabt... ich hab eine fürchterliche Stunde mit diesen Herren zugebracht, als sie wieder kamen. Ich hatte ja vorher nicht viel Hoffnung, aber man klammert sich immer an etwas an.«
Harro nickte. »Ja, Vater, man hofft eben, bis auch die Hoffnung sich ausgelebt hat... Sie können freilich, wie es scheint, für die Rose nichts oder nur wenig tun. Du weißt nicht, wie glühend ich dich beneide, daß du ihr immer nur wohl getan hast... Wie ich gesündigt habe. Sie hat immer mit mir zu tun, die Rose, Vater.«
Der Fürst rief: »Davon will ich nichts hören, Harro. Du bist jünger als ich, du bist... Harro, denk, was ich erlebt habe: ich habe eine geliebte Frau begraben, und sie nahm mir meine Söhne mit. Es ging alles im Sturm. Sie war bewußtlos in den zwei letzten Tagen, mit keinem Wort, mit keinem Blick haben wir Abschied genommen. Das ist nun zweiundzwanzig Jahre her. Daß man es auch verwindet, man sollte es nicht glauben. Da geht ein Tag um den andern hin, und sie stehlen einem zuletzt auch seinen Schmerz, die Tage. Und man beginnt ein neues Leben. Meine kleine Rosmarie... Dein schönes Bild... ich kann dir ja nie genug dafür danken, nie genug. Und ganz ahnungslos bat ich dich, mehr um dir eine Freude zu machen. Sie sah oft so blaß aus, die Kleine, und wenn es gut wird, das Porträt, dachte ich, so wird es angreifend. Und durch das wunderschöne Bild hab ich eigentlich meine kleine Rosmarie nie verloren. Da sitzt sie mit ihren feinen Händchen und ihrem feinen Lächeln. Sieh, nun fällt der Mond darauf, was es dann für ein Leben bekommt. Und die Lindenprinzessin. Ich meine, sie haben das Bild nun genug in der Welt draußen angesehen und wir wollen es hier haben, den Platz macht ihm ja niemand streitig. Oder nein, es eilt nicht. Es tut noch zu weh. In ihrer holden Jugend und Kraft und Schönheit.« »Sie ist noch schöner jetzt, Vater. Sie war nie so schön. Ihre Seele strahlt aus ihr heraus. Ich male dir noch einmal ein Bild, lieber Vater. Freilich, du mußt es mich auf meine Weise malen lassen, und ich weiß dann nicht, ob es dir recht sein wird.«
»Das sagst du jedesmal, Harro, erinnerst du dich nicht mehr? Von dem Seelchen hast du's sicher gesagt... und du mußt es noch einmal gesagt haben... oder nicht? woher kommt mir die Erinnerung?«
Harro erwiderte: »Daß die Lindenprinzessin dich freuen würde, das wußte ich immer.«
»Ach, es war das Bild der Fürstin, von dem du es sagtest. Ach Harro, das ist auch eine Sorge. Du mußt es Rosmarie sagen, daß sie ihr nicht mehr schreiben soll... Alfred bittet darum.«
»Rosmarie hat ihr geschrieben?« staunte Harro. »Ja, Rosmarie kann doch nur mit der größten Mühsal schreiben, ich wußte es gar nicht!«
»Eben darum, Alfred weiß das wohl. Er schreibt: Charlotte stürzte sich auf den Brief und zerriß ihn ungelesen in kleine Stücke und verbrannte ihn vor seinen Augen. Cousine Rosmarie soll sich doch die Mühe nicht mehr machen. – Alfred hat bereits die dritte Garnitur Pflegerinnen. Rührend, wie er sich für seine Schwester aufopfert. Übrigens muß ich fast fürchten, daß es seiner zarten Gesundheit zu angreifend wird. Hier. Das ist ein Brief des Schweizer Arztes. Ein ursprünglicher, Harro.«
Harro las und sagte rasch: »Vater, Alfred muß abgelöst werden, so von Stahl und Eisen ist er nicht. Ich fand es überhaupt eine sonderbare Idee von ihm. Ich nehme ihn mit tausend Freuden wieder zu mir. Und daß er sich so aufopfert, wer hätte es gedacht. Allen Respekt vor ihm. Nein, ich habe ihn zu gering eingeschätzt. Ich werde ihm schreiben, heute noch. Ja, tun die Eltern denn gar nichts? Wozu hat man denn Eltern?«
»Doch, sie taten für ihre Verhältnisse ungeheuer viel. Fabelhaft viel, wie mir gesagt wird. Sie reisten hin und blieben drei Tage dort. Meine Schwiegermutter war von den drei Tagen so dahin, daß sie eine Kur in Pontresina brauchen mußte, und mein Schwiegervater soll nur durch seinen jüngsten Sohn abgehalten worden sein, zu den allerursprünglichsten Erziehungsmitteln zu greifen.«
»Also erledigt,« sagte Harro, »die Elternpflicht in drei Tagen erledigt.«
»Du mußt nicht ungerecht sein, Harro ... und darfst ja ums Himmels willen nicht an unsere Rose denken. Es ist mir doch sehr seltsam, wie es sie mit einem Tag überfallen hat, fast zugleich mit Rosmarie. Und was tun wir? Rate mir, Harro. Du weißt, daß mir deine Rose einen Besuch versprochen hat. Mein ganzes Herz hängt daran.«
Harro beugte seinen Kopf. Nein, er durfte dem Mann, dem er so viel verdankte, das nicht abschlagen. Vorderhand war es ja unmöglich.
»Nun, Harro, wie geht das, wenn Mama da ist und deine Rose...«
»Es geht nicht, Vater, daran ist gar nicht zu denken. Du siehst ja, wie sie die Rose behandelt. Zerreißt und verbrennt die Briefe, die sie ihr mit jeder Mühsal geschrieben hat.«
»Und die Fürstin allein dort lassen, ohne Alfred, das ist unmöglich.«
»Nun, der Arzt rät dir doch eine Nervenheilanstalt. Er sagt zwar, eine geistige Störung sei nicht vorhanden. Aber der Zustand, den Alfred andeutet und der Doktor da beschreibt, der ist doch unmöglich... Vater, laß den Herrn Hofrat einen Ort für sie aussuchen, wo man sie übernimmt. Du...« er stockte plötzlich.
»Nun, du meinst es ja gewiß gut mit mir, aber sieh... Nein... frag die Rose, Harro ... was sie meint.«
»Armer Vater,