Die Rose seufzte ganz leise. »Harro, ich hätte einen Wunsch, einen stillen, großen, brennenden Wunsch, und den zu erfüllen geht nicht ohne den Herrn Stiftsprediger. Ich sage ihn dir heute nacht, wann das Licht fort ist und du noch bei mir bist und ich deine Hand halten darf.«
Harro runzelte die Stirn. »Rose,« sagte er, »warum muß das nun sein? Sieh, was du mir von göttlichen Dingen sagst, das blüht aus dir heraus, das hast du dir ganz allein vom Himmel herunter geholt. Dieser gute Mann, ja ich weiß, er ist ein guter Mann, wird bald einen großen Einfluß auf dich bekommen. Was du mir dann sagst, sind nicht weiße und goldene Lilien aus einem verborgenen Grunde, es ist kirchlich approbierte Weisheit. Ich bin für das Selbstgewachsene in diesen Dingen. Und wenn ich dächte, daß mein Fall diagnostiziert würde?«
»Harro!« bat Rosmarie.
»Nun ja, sehr naheliegend für den geistlichen Herrn und dich, Rose.«
»Lieber Harro, ich verlange es auch nicht mehr ...«
Er ging wieder in die offene Tür und schaute hinaus. – Oh, wie sie es schmerzte, seine Hände so herabhängen zu sehen. Diese schlaffen Schultern, das silberne Schimmern auf seinem Haar. Nun fing seine Unruhe schon wieder an, sie merkte es an seiner Abweisung ihrer Bitte. Wenn er den ganzen Tag so neben ihr stand, das hielten ihre Kräfte nicht aus. Und schickte sie ihn fort, so würde er wieder in die Wälder gehen und das suchen, was er dort niemals finden würde. Wenn er nicht arbeitet, denkt sie, dann ist er bis heute abend wieder so krank wie gestern... Und sie überzählte, wie lang er nun schon müßig war. Eigentlich von jenem Maiabend an. Und sie ballte ihre feinen Hände. »Ich muß hartnäckig sein wie nie.«
»Harro,« bat sie, »ich möchte gern ins Atelier hinüber. Willst du mir helfen oder soll ich nach Märt klingeln?«
Harro wandte sich nicht um. »Die Terrasse ist viel besser für dich als das staubige Atelier.«
»Es ist nicht staubig, Harro. Es ist wunderschön rein gemacht worden.«
Unten lief klein Heinz vorüber und rief seinem Alo.
Harro wandte sich um. »Soll ich ihn dir bringen?«
»Nein, Harro, danke, jetzt nicht.«
Er biß die Zähne zusammen und sagte: »Schließlich darf ich dir nicht immer nein sagen, ich werde Märt rufen.«
Im Atelier war alles schön zurecht gemacht, auf der Staffelei stand eine riesige leere Leinwand, kleine bespannte Blendrahmen jeden möglichen Formats lehnten daneben. Der große Kasten stand offen, die Pinsel, wundervoll gereinigt und weich, starrten aus dem niedrigen Rothenburger Krug. Die Glaswand in den Garten war zurückgezogen und der Sonnenschein lag in goldenen Tafeln auf dem Boden.
Harro sah sich erstaunt um. »Wer hat das gemacht?« »Es wird Märt gewesen sein.«
»So, Märt!«
Er drehte sich um zu ihr, die in einem gewöhnlichen Stuhl lag, wo er sie, wenn er arbeitete, sehen konnte. Es war ein erhöhter Tritt, der je nach dem Licht hin und her geschoben werden konnte und für gewöhnlich mit einem Teppich bedeckt war.
»Harro,« bat sie, »Vater wünscht so herzlich eine ganz kleine Skizze von mir. Sieh dort der kleinste Rahmen.«
»Er hat ja die Lindenprinzessin, ich habe vier Monate täglich daran gemalt. Er wird nicht erwarten können, daß eine Skizze, in meiner jetzigen Stimmung gemalt, ihn irgendwie befriedigen könnte.«
»Dem Herrn Professor hast du auch eine Skizze versprochen.«
»Er hat mir auch Dinge versprochen,« fiel Harro hitzig ein, »deine kleinen Spaziergänge zum Beispiel, während du in dieser Zeit nicht dazu gekommen bist, mit uns am Tisch zu sitzen. Wenn er mahnt, nur nach deinem ersten Spaziergang, Rose... eine sehr schöne Skizze gewiß ...«
»Lieber Harro, ich will dir eine Geschichte erzählen ...«
»Sehr gütig von dir, wirklich gütig, aber ich muß dich doch aufmerksam machen, daß du nach deiner, wie du sagst, guten Nacht, heute schon den ganzen Morgen sprichst, hin- und hergetragen wirst, dich erregst: Du mußt doch noch Kraft übrig haben für das schönste Lied heute abend. Ich begreife nicht, daß Tante Ulrike dich nicht schon längst zu sich genommen hat.«
Die Rose lachte ihm plötzlich ins Gesicht. »O Harro, du willst mich nur los sein? Es ist dir gar nicht darum, daß ich ruhe.«
Harros Stirn klärte sich auf. »Ei, daß du lachen kannst, das hast du lieb gemacht... Ja, ich will die Quälerin los sein und aus diesem Terpentinrevier hinauskommen.«
»Das Terpentinrevier, ach, das lieb ich so. Weißt du, als ich von dir getrennt war und ich roch es irgendwo, so stürzten mir die Tränen herunter. Der Duft war mir so unzertrennlich von dir!«
Harro saß vor ihr und ließ seine Hände herunterhängen. Sie bat: »Harro, geh an deine Staffelei, dort liegt die Kreide, und mache auf die große Leinwand einen Strich, einen einzigen der Länge und der Quere. Das kannst du mir zulieb tun.«
»Rose,« sagte er ernst, »kannst du dir nicht denken, daß ich nicht in der Laune für Spielereien sein kann.«
»Gut,« erwiderte die Rose, »dann wollen wir keine Spielereien treiben, sondern ernst und traurig sein. Weißt du, was klagende Bäume sind, Harro?«
Er sah sie erstaunt an. »Ja, das weiß ich... Und Reiher darüber wie schwere, sehnsüchtige Gedanken. Aber es ist kein Vordergrund da. Der Vordergrund müßte eine dunkle Wasserfläche sein, deren Ufer versteckt sind unter herabgefallenen Blättern, dunkelgrünen Blättern und dazwischen das Gewässer, wie Augen aus der Tiefe sieht es zwischen den Blätterinseln hervor...«
Rosmaries Herz klopfte wild. Wenn er jetzt nach seiner Kreide griffe. Zuckte nicht schon seine Hand danach? ... Nein, er ließ sie wieder hängen.
»Und vorn eine schmaler Streifen Land, da stehen die Asphodelosblüten, gelb, geheimnisvoll, wie Seelen aus dem Schmerzenswald,« fuhr sie fort.
Harro legte sich hinüber in seinen Stuhl und schloß die Augen. »So, ja so... keine Farbe weiter... nur das dunkle Grün und Blau der Bäume, die düsterbraunen Stämme.«
Plötzlich sah er wieder auf. Er erwischte den Blick seiner Frau, der mit unsäglichem Schmerz und Trauer an ihm hing. »Rose, was ist dir? Nein, so sollst du nicht aussehen. Du willst etwas... Was wolltest du doch... dir etwas zeichnen soll ich, und ich sage heute nein zu allem, was du bittest.«
Er nahm hastig die Kreide. Die Rose seufzte erleichtert. Er ging an seine Staffelei, und seine Kreide flog. Zuerst schienen es Bäume zu sein, dann Reiher im Fluge, dann wischte und strich er daran herum und zeichnete hastig die allersonderbarsten Dinge.
Seine Frau hatte er wohl ganz vergessen. Er drehte sich gar nicht mehr nach ihr um. Was für sonderbare Gebilde waren denn das... Die Umrisse eines Menschen... einer Frau, jetzt verwischte er es wieder, nur die sonderbaren Gebilde blieben stehen, dicke und dünne Stränge verbanden sie... immer wieder wischte er daran und verbesserte. Nun sah es aus, als schneide ein Skelett durch die Linien... Da begriff sie... So mochte wohl der Mensch von innen beschaffen sein, unter der schönen, freundlichen Decke der Haut. Und das unregelmäßige Ding dort, das mit den Strängen verbunden war, das war das Herz. Ihr Herz, wie es jetzt in ihrer Brust seinen ängstlichen, unruhigen, mühseligen Weg ging. Sie sah, daß er immer wieder an den Linien veränderte. Und eine kalte Angst ergriff sie. Ihr geliebter Mann war krank, sehr krank. Seine Wildheit gestern, sie war nicht ein plötzlicher Ausbruch gewesen seines Jammers und die Gedanken waren nicht zum erstenmal in ihm aufgestiegen, die schlugen vielleicht schon lange ihre wilden, finsteren