»Ach, red nicht von mir, Seele. Woher kam dir das plötzlich? Plötzlich habe ich meinen Augen nicht mehr geflucht. Dein Gesicht veränderte sich. Ich werde noch eine Skizze machen, Rose... Was träumte dir oder was sahst du?«
»Wenn du auch davon eine Skizze machst, sage ich es dir. Sonst nicht. Denn deine Augen sollst du nicht mehr nach Jammer suchen lassen und dem andern dich verschließen.«
»Die Skizze bekommst du, bis du aufwachst morgen früh, Rose. Mit dem ersten Tagesanbruch, sobald das Licht genügt, fang ich an.«
»Ach, du Liebster. Nun sollst du es wissen. Es ist nicht das erstemal, Harro, daß ich diesen Traum hatte. Immer, wenn es gerade so weit ist, daß ich... nun... aber dann... dann werde ich getröstet. Sie ist da, Gisela. Sie... Dann weicht der Schmerz zurück, ganz leicht wird mir.«
»So erlöst dich das?«
»Es erlöst mich... oh, mehr als das –« »Rose, du weißt alle meine Geheimnisse, sage mir, ich muß das wissen, das ist auch noch eine Wunde, die in mir schwärt... An jenem Tag. Im Saal, Rose!« er atmete schwer. »Rose, sie haben dir nicht... nein, es würgt mich. Sprich du...«
Sie verstand ihn. »Daran denkst du noch? Sie konnten wohl nicht, Harro, und sie ahnten, daß ich doch bewußtlos werden würde... Und sie hatten auch wohl recht, denn es geschah alles wie ein wenig von ferne. Und sehr viele Nebel hingen um mich, aber daß du mich allein lassen mußtest, tat mir doch weh. Und mit einem Male zerrissen die Nebel. Es geschah etwas mit mir, es ist ja vorbei, ich rede nur davon, daß du auch nicht mehr in Gedanken daran herumtasten und dich etwa bedrängen lassen mußt.«
»Sag alles, Rose. Schone mich nicht.«
»Ich schone dich auch nicht. Es geschah etwas mit mir, etwas Unmögliches. Und gefesselt hatten sie mich auch, da dachte ich: das ist das Kreuz, so war es!... Nackt und verlassen unter den fremden Menschen. Da warf jemand einen Schleier über mich und bedeckte mich... Und da sah ich sie. Ich sah nur ihr Antlitz, ihre blauen Flammenaugen ... Sie sprach zu mir: Nein, das Kreuz, das war etwas anderes. Ich weiß, was es war. Bist du denn verlassen? fragte sie mich. Bist du denn getrennt von Gott? – Ich sah sie an, ach, ich brauchte sie so nötig. Ich lag ja unter ihrem Schleier, aber so fern von mir geschah das alles doch nicht. Und ich hörte auch, was die Herren sprachen, und daß sie sich verwunderten. Von dem Schleier wußten sie nichts. Und noch mehr Dinge sah ich, die nicht im Saal waren. Dich sah ich ausgestreckt auf Märts Bett mit einem Wassertrug daneben. Es sah aus, als wärest du im Gefängnis. Ich erschrak sehr und sagte zu ihr: Du solltest dorthin gehen mit deinem Schleier... Da sagte sie etwas Wunderliches. Sie sagte: Geh selbst! – Ich bin doch angefesselt. – Sieh, du kannst es, wenn du willst. – Es war mir aber zu, schwer, einen Augenblick meinte ich, ich sei ihnen entschlüpft. –Aber du mußt es wohl nicht gefühlt haben...! und dann wurde der Schleier bleischwer, und ich versank in eine Dunkelheit, und wie ich die Augen wieder aufmachte, da wickelten sie mich in weiße Binden ein, und es war mir sehr schlimm zumute. Und dann trugen sie mich herunter. Und dann ist nichts mehr zu sagen ...«
Harro hat lautlos zugehört, seine Augen hingen an ihren Lippen. Dann erhob er sich und streckte seine Arme aus. »So, das wäre vorüber. Das wäre auch vorüber. Ich werde wieder in meinen Saal gehen. Ich werde so viel Mut haben wie Märt. Das war die Hypnose des Herrn Professors. So sah sie aus.«
Die Rose fuhr fort: »Ich wollte dir doch heute eine Geschichte erzählen ... Du wolltest aber nicht. Wirst du mich morgen anhören?«
»Du darfst nicht mehr reden ... Liebste ...«
»Ach, sie ist nur so kurz, die Geschichte ... Ich drehe sie herum, daß sie ganz klein ist ... Ich pflücke ihr nur die Blüte heraus, Harro ... Die klagenden Bäume, die Reiher, das finstere Wasser, die Augen aus der Tiefe, nimm die gelben Asphodelen vorn hinweg. Gib uns Raum, mir und ihr. Mal dir den alten bitteren Greuel vom Herzen. Mal deinen Jammer, es werden schon Stunden kommen, wo ich das Modell dazu wieder bin. Die sind dann nicht umsonst. Male das schönste Bild. Du weißt: aus dem Schmerzensgrund steigt die himmlische Rose, wenn der Atem Gottes über sie hinweht ...«
Harro fing an, in dem Atelier hin und her zu wandern, der Geist trieb und bedrängte ihn ... Rosmarie sah nach ihm hinüber. »Gott sei Dank ... Er wird wieder gesund ... Gott segne seine Augen.«
Sechsundvierzigstes Kapitel.
Die Entscheidung
Hans Friedrich ist von Brauneck nicht zurückgekehrt. Der Wagen hat sein Gepäck geholt ... er hat eine kleine Reise angetreten, von der er in einigen Tagen wieder zurückzukommen hofft ... Rosmarie und Harro sind in den nächsten Tagen im Atelier verschwunden und haben die Türen geschlossen; Tante Ulrike steht Todesängste aus, ob ihr Kind von diesem ungeduldigen Harro auch versorgt und nicht zu sehr angestrengt wird. Aber man sieht ihr am Abend nicht viel an, wenn Harro sie wieder herüberträgt und Tante Ulrike übergibt. Es ist, als ob sich Harro ein wenig beruhige, die Arbeit ihm gut tue. Die alte Dame meint schon: »Rose, dein schlimmer Mann wird wieder menschlicher...« »Er war nie schlimm,« wehrte sich die Rose, »und daß er Kummer mit mir hat, wirst du ihm doch nicht verdenken.« Aber dann gestand sie doch: »Vor den nächsten Tagen fürchte ich mich. Heute morgen hat er endlich die Zusage bekommen, daß die zwei Herren, der eine von Berlin, der andere von Königsberg kommen, um an mir herumzuhorchen. Ich habe ihn selbst bitten müssen, mit dem Malen aufzuhören, weil er alles verdarb, so aufgeregt war er darüber... Tante Uli, wenn das glücklich vorüber wäre.«
Tante Uli wehrte mit den Händen ab. »Ich kann mir nicht denken, Kind, was sie Schlimmes mit dir tun könnten.«
»Das ist es nicht. Mögen sie. Das ist so gering gegen alles, was Harro nun wieder ausstehen wird. Er war schon so schön in seiner Arbeit: Der Hintergrund, die Bäume, das ist alles angelegt, ja großartig baut sich das auf. Ich vergaß alles über dem Zusehen. Und nun muß das kommen.«
»Kind, du kannst doch nicht erwarten, daß wir mit den Händen in dem Schoß deinem Leiden zusehen.«
»Uli, nimm dich doch um Harro an, wenn die Herren da sind... Ich bitte dich.«
»Kind, was werd ich dich allein den fremden Menschen überlassen.«
»Ach, das sind doch Ärzte, die gehen von einem zum andern und haben mich morgen vergessen. Lisa kann helfen, wenn es nötig ist.«
»Kind, ich hoffe, daß sich Harro zusammennimmt, ich will ihn vorher noch ein wenig zurechtschütteln. Rose, den allereinfachsten und leicht zu behandelnden Mann hast du gerade nie gehabt... aber jetzt.«
»Uli,« klagte die Rose, »willst du mich betrüben?«
»Nein, Kind, aber es fällt mir ein, daß ich von deinem maßlos sanften Ehegatten einen Auftrag habe. Auf Diplomatie verstehe ich mich nicht. Ich soll herausbringen, warum du nach Brauneck willst ... und es deinem Vater versprochen hast ...«
Die Rose errötete. »Uli, ich sag's nicht gern ... den Vater wird es freuen, Uli. Es ist meine Heimat. Solang Mama da war, konnte ich mich ja kaum dort an den Tisch setzen, so regte es sie auf. Uli, meine alte Heimat!«
»Harro meint, das Goldhaus sei jetzt deine Heimat ... Und was du denn hier vermissest?«
»Ich vermisse nichts ... gar nichts. Es ist nur zu schön und vollkommen hier ... und so lieb alles ... ja verstehst du denn nicht, Uli ... Wenn wir nach Brauneck gehen, gehen wir doch alle ... Du und Harro und Heinz und die Babette und Märt.«
»Na der Märt, was soll der in Brauneck? Ich denke immer, ihr habt Lakaien genug.«
»Märt ist kein Lakai. Er muß doch Harro helfen, wenn ich getragen werde. Und Harro braucht ihn auch sonst.«
»Kind, du hast immer noch nichts gestanden, und was ich Harro sage, weiß ich nicht.«
»Tante Uli, liebste, gute, alte Trostmutter, hilf mir nach meinem