»Ich kann nicht. Ich ertrag's so besser. Ich bin ein böser Hund heute. Das ist wohl auch Gottes Will.« Er lacht ein wildes Lachen.
»Ja, Harro, mit dir hat die Rose noch einen schlimmen Kampf vor sich. Und einzubilden brauchst du dir nicht, daß sie etwas nicht wisse, was du treibst. Sie weiß es ganz genau. Das wird auch Gottes Will' sein... daß sie das von dir hört, Harro!«
Er schwieg. Dann sagte er: »Warum hast du mir all die Zeit gestohlen?«
»Harro, ich mußte tun, was der Herr Hofrat verlangte. So wie heute war es noch nie. Und dann fürchtete ich mich vor dir, und was die arme Rose noch mit dir ausstehen würde. So, wie du bist, Harro! Daß du sie nicht einmal in deinen Armen ruhig halten kannst, obgleich du wissen mußt, wie glücklich und dankbar sie darüber ist. Nein, du mußt fortrennen und uns allein lassen.«
»Ich habe es noch nicht gelernt, das Danebenstehen und das Mitansehenmüssen, wie du. – Tante Uli,« stöhnte er, »wenn du nur so gut wärest und ließest mich wenigstens allein. Ich verlange nichts weiter. Aber so verwundet, wie ich bin, und das Stachelbett, auf das du einen legst, auch noch dazu.«
»Es wäre mir wohl auch lieber, neben der Rose zu sitzen und sie von ihren himmlischen Gärten und Märts Mutter flüstern zu hören, als neben dir. Aber ich kann nicht anders, ich habe Dienst. Die Rose selbst hat es befohlen.«
»Du sollst mich wohl trösten, Tante Ulrike, und du tust das auch, nicht wahr? Auf deine Art und Weise. Vielleicht nicht ganz so, wie sich die Rose das gedacht hat, dein Trostamt.«
.Trösten?« rief Tante Ulrike mit ihrer tiefsten Stimme. »Trösten? Als ob es dafür einen Trost gäbe! Ich wüßt keinen: Wenn du sie verlieren mußt, dann kann dich Gott im Himmel selber nicht trösten. Nein, das versteh ich nicht. Du mußt hindurch. Durch alle sieben Wehe. Das seh ich auch kommen. Sich jetzt noch einen blauen Nebel vormachen, das hat keinen Wert. Der Strom und die Brücke. Ich kenne das. Aber ich denke an die Rose. Wie wir ihr hinüber helfen. Wir sind auch aus lauter Liebe grausam gewesen. Nicht einmal ihren Herrn Stiftsprediger, den sie gewollt hat, haben wir ihr geholt. So haben wir uns von den Doktoren tyrannisieren lassen. Natürlich, so lange du so bist wie jetzt, ist es ja nur gut, wenn man dich von der Rose fern hält...«
»Hast du noch ein paar Stacheln, Tante Ulrike, so stoß zu, aber schnell. Ich glaubte schon, du fingest an, mich zu trösten.«
»Harro, was tue ich mit dir und der Rose? Du mußt es anhören lernen, wenn sie von himmlischen Gärten spricht. Hart für dich, hart. Du mußt lernen, sie in den Armen halten, ganz ruhig, wenn ihr Herz in ihrer Brust wie ein armer Vogel flattert. Du mußt einen kleinen Scherz mit ihr machen, wenn sie so matt ist, daß sie kaum die Augen heben kann. Wenn es am schlimmsten ist, darfst du sie mir nicht hinlegen und hinausgehen. Sie macht es dir nach einer Seite hin nicht schwer. Denk, sie könnte auch jammern um ihr junges Leben und um ihr Kind und um ihr bitteres Leiden... Ihr unschuldiges Leiden. Da hörst du aber keinen Ton. Ich sehe sie an, zu jeder Stunde sehe ich sie und immer größer wird sie mir... Und sieht so sanft und zart aus und hat so viel Stahl in sich ... Oder das ist es nicht. Es ist Gold. Schönes, reines Gold, das wird immer heller von den himmlischen Tränen.«
Harro zog seine eine Hand unter dem Kopfe hervor und streckte sie aus: »Woher?« Dann verstummte er wieder.
»Ja, woher nimmst du das, meinst du. Da könnte ich dir manches sagen, Harro, aber du wirst's nicht hören wollen, dein alter Thorsteiner Trotzkopf nützt dir jetzt wenig. Dann hilft dir auch die Rose selbst. Sie wird morgen erschrecken, wenn sie sich noch erinnert, was sie alles gesagt hat... Wenn du einmal so ganz einsiehst, wie ihr Herz in dich verkettet ist –«
»Einsiehst,« rief er... »Mußt du sie mir denn erklären?«
»Ja, es kommt mir nötig vor, denn irgendwie muß sie dich immer fühlen... Darum habe ich ihr jetzt das Morphium gegeben. Wenn du das bedenkst, Harro, so mußt du ihr auch nicht den wilden Mann machen. Zähne zusammen beißen und ihr so viele schöne Stunden bereiten, als du kannst. – Harro, du hast die sieben Seligkeiten gehabt. Wüte also jetzt nicht, als ob noch nie ein Mensch ein solches Schicksal getragen hätte. Es gehen manche dahin in Schuld. Müssen in ein Grab hineinsehen mit ihrer Schuld. Du hast deiner Rose nur ein großes Glück gegeben. Ihr ganzes Herz ist voll davon. Weine, mein armer Bub, es tut so gut, wein dich aus. Sie sagt: Harro hat mich halb erfroren aufgehoben und hat mich auf seinen Arm genommen, und so lang sie ihn ließen, mich darauf getragen. Sie vergoldet dich über und über. Nun muß man sie wieder auf den Arm nehmen und dahin tragen. So wie du es heut abend gemacht hast mit lieben, sanften Worten. Hast du gesehen, wie sie lächelte? Glaubst du, daß sie in dem Augenblick noch gelitten hat? Ihre feinen Hände öffneten sich, und ihr Mund war so wunderschön, du hast ihn vor mir geküßt, so holdselig war es. Deinen grimmen Schmerz, ja den mußt du in den geheimsten Winkel hinunterstoßen für nachher. Man weiß ja nicht, was kommt. Das Morgen heut zu beweinen, hat keinen Sinn. Das kommt schon und bringt seine Last mit, und das Heute hat genug aufgepackt. Denk, wie du ihr die Last erleichtern kannst.
Danke schön, sagt sie zu dir, wenn das Gewitter nachläßt. Denk nicht, sie würde dich für gefühllos halten, wenn du einmal heiter mit ihr bist. Ach, dazu ist sie zu fein, du hast's ja gehört. Vom allerfeinsten Porzellan...«
Harro hob seinen Kopf und sagte mühsam: »Wenn ihr mich vor der Tür stehen laßt.«
»Nein, nein, das nicht mehr. Aber nur, wenn man sie dir ruhig anvertrauen kann. Der wilde Mann bleibt draußen ...« Damit erhob sich die alte Dame, die neben ihrem hingeschmetterten Sohn so gerade gesessen hatte. Sie ging zur Tür und drehte das Licht aus und ließ ihn im Dunkeln, als müßte sie seinen Anblick selbst hinter Mauern vor Rosmarie verbergen.
Schon stand die Sonne sehr hoch am Himmel, als Harro an Rosmaries Schlafzimmer klopfte. Seine Tante kam heraus, die Nacht sah man ihr nicht an. Sie warf einen mißtrauischen Blick nach ihm: »Du erwartest doch nicht, daß nach einer solchen Nacht die Rose sehr wohl ist?«
»Nein, etwas Gutes erwarte ich vorderhand nicht mehr. Wie lang muß ich antichambrieren? Weil ich sonst lieber sitze; ich habe einen Weg gemacht.«
»In den Wäldern herumgerannt? Meinst du, wir wissen es nicht. Und es ist Zeit, daß du kommst... geh nur hinein! ...«
Es war gut, daß die Tante ihn vorbereitet hatte. Rosmarie lag matt und weiß in ihren Kissen, als habe sie seine Schmerzenswege mit ihm wandern müssen. Aber sie war allein. Tante Ulrike vertraute ihm doch trotz ihres Empfanges. Er glitt vorsichtig auf den Stuhl neben ihrem Bette und legte ihr zwei lange, schneeweiße Waldglockenstengel auf die Decke.
Ihre weißen Hände griffen danach, und sie sagte: »So weit bist du gegangen, Lieber, bis zum Hirschgraben, da wachsen die doch nur.«
»Bis zum Hirschgraben, Rose. Nach dem Waldhäuschen hab' ich gesehen, ob wir dich nicht doch einmal hinausbringen, aber ich fürchte, es wird etwas eng hergehen. Zur Not geht's aber... Und wie du dahin kommst, brauchst du dich auch nicht zu sorgen.«
»Ach, du bist so gut, Harro, aber ich will lieber hier bleiben. Das liebe Goldhaus. Und vielleicht möchte ich am liebsten einmal nach Brauneck. Solange Mama fort ist. Ich war jetzt nie mehr dort über Nacht, und für Vater wäre es auch so schön. So allein ist er jetzt in dem großen Haus. Und ich würde in meinem alten Muschelbett schlafen und meine Linde rauschen hören. Jetzt blüht ihre Nordseite.«
Harro würgte etwas hinunter. Warum wollte sie denn nicht in seinem Hause bleiben, wo alles ihr zuliebe entstanden und für sie zugeschnitten war?
Sie fühlte es sofort und sagte: »Jetzt noch nicht, Harro, erst später. Zuvor habe ich noch andere Wünsche. Ich möchte im Atelier liegen. Ich habe Tante Ulrike schon so viel gequält darum. Und du sollst eine Leinwand aufspannen.«
»Es sind Leinwände