»Ich will noch mehr hören, Harro ... Von dem himmlischen Garten sprichst du doch, denn von dem andern... du siehst doch, ich kann nicht mehr.«
»Vom himmlischen Garten weiß ich nichts, Liebste... Ich spreche von unserem Waldhaus.«
Ihre Hände zucken in die Höhe, als müßte sie versuchen, sich zu erheben, sie sinken zurück.
»Auf meinen Atmen kommst du dahin, Rose... So wie du jetzt dein liebes Haupt daherlegst...« Immer röter werden ihre Lippen, und nun öffnet sie ihre fieberblanken Augen.
»Ja, ja, Lieber,« sagte sie hastig, »nur ist das so sonderbar, daß ich hier angekettet bin. Und wenn du mich in die Höhe heben willst, so hoch, daß du mich auf die Römerwiese heben kannst, so reißt du doch an den Ketten...«
»Tante Uli...« rief Harro... »Sieh die Rose!«
»Sie hat Fieber, sie hat hohes Fieber, Harro... das ist immer so, das Gewitter hat sie angegriffen,« raunt sie ihm zu. »Gib ihr das.« Sie bringt ihm eine kleine Tasse. »Wenn sie es nimmt, ist es gut.«
»Rose, trinke das!«
Aber sie schüttelte... »Dann schlafe ich den schweren häßlichen Schlaf und du gehst fort.«
»Ich gehe nicht.«
»Aber ich fühle dich nicht mehr, Harro.«
Ulrike zuckt die Achseln. »Zwinge sie nicht... wenn sie von selbst einschläft, ist es noch besser... Sie ist nicht ganz klar.«
»O doch,« sagt Rosmarie scharf. »Ihr seht nur die Dinge nicht ganz recht. Und Harro weiß zu wenig von dem himmlischen Garten. Die Geige, das gefiele mir. Und die Töne, die sich verspinnen wie Mondschein-beperlte Nebelfäden. Ach, wie mich das freut. Still, Harro, daß es der Tyrann nicht hört. Freude, das Wort ist ihm schon zu viel. Immer still. traurig und Ruhe, so will er es. Aber wir überlisten ihn, Harro. Wir tun stille, traurig und ruhig und sind doch an den himmlischen Gärten. Sieh, wie die Sternblumen durch das Gitter hängen. Und das alte Weib in der schwarzen Florhaube mit den langen Seidenbändern, die da mit dem schwarzen silberbeschlagenen Buch in den Händen geht, das ist Märts Mutter. Sieh, wie wunderbar, der lange Märt, schier so groß und breit wie du und hat so eine klein winzige Mutter. Du mußt sie grüßen, Harro, damit sie nicht denkt, du seist hochmütig.«
»Ich grüße sie, Liebste...«
Ulrike war ängstlich. »Das Kind spricht zu viel; du mußt mit ihr reden, Harro!«
»Rose, soll ich dir von dem schönen blauen See erzählen, wo wir dich jetzt hinbringen werden, und wie das Abendgold hineinfällt und du in dem kleinen Boot liegst und alles um dich herum ist golden und blau. Und ich rudere dich, und jeder Ruderschlag zieht einen goldenen Streifen durch das Blau... Wir nehmen das Auto und sind in einem halben Tag dort. Oder wir fahren durch die Nacht und du schläfst, und wenn du am andern Morgen aufwachst, dann sieht der See durch die Bäume wie ein Stück heruntergefallener Himmel.«
»Ja, Harro, wenn die Ketten nicht wären und der Abgrund. Lieber, du läßt mich doch nicht fallen. Du hältst mich ganz fest. Die Tiefe ist so gräßlich –... Man muß immer den Abgrund bedenken, Harro.«
»Ich halte dich sehr fest, Rose. Ich habe so starke Arme. Und wenn ich dich bis an den See tragen müßte, Rose.«
Sie lächelt zu ihm auf. »Du bist so gut, Harro, und ich bin sehr glücklich. Ich bekomme immer meinen Willen, sagen sie...« Sie lachte leise. »Tante Helen meint: Biskuitporzellan. Natürlich, das zerbricht leichter, und wenn es einen Sprung hat, dann muß man auch viel feiner damit umgehen. Und alles zulieb tun, wie Tante Uli. Oh, meine liebste, beste Mutter Uli. Sie läßt sich quälen und ist noch froh darüber.«
Harro sah auf die greise steife Tante. Ja, war sie das noch, die jetzt die Hand seiner Frau an ihre Wange hielt, auf der ein Rot brannte, und aus deren Augen alles Stählerne verschwunden war. Dieselbe Tante Ulrike, die heute so spitzige Pfeile nach ihm abgeschossen hatte! Und wie ihre Stimme klang, die tiefe Altstimme, woher kamen ihr nur auf einmal die dunkel-weichen Töne?
»Kind, wer dir dienen darf, ist froh darum, und wenn du ganz gesund bist und keine schlimme alte Tante mehr brauchst, was wird sie tun? In dem Winkel wird sie sitzen und weinen.«
»Ach, das wirst du nicht tun, Tante Uli. Denke, welchen kleinen Weg du noch zu mir haben wirst. Der arme Harro hat einen langen Weg. So allein... Harro, halt fest, du läßt mich fallen. Du zitterst ja...«
Ulrikens Augen wurden plötzlich die alten. Sie warf ihm einen Blick zu. »Es ist nichts, Herzblatt, sein Arm ist nur ein wenig müde. Ich schiebe ihm ein Kissen unter, dann ist's gut. So, Harro. Das muß man auch lernen. Du siehst ja, was für ein feines Porzellan es ist.«
»O Harro, ich glaube, ich sage Dinge, die ich nicht wollte. Ich habe dir weh getan. Ihr habt recht, ich habe wohl Fieber und bin nicht so ganz klar. Es ist ja mein Schlafzimmer und es kann nirgends ein Abgrund sein. Und die Brücke, die da über den breiten Strom geht, der so dunkel und brausend daherfließt, die träume ich auch nur. Wieder ziehen und gleiten die großen und kleinen Wellen... das kann nicht mein alter kleiner Bach sein. Der Strom, wie er rauscht und tost. Er geht ins Meer. Ins große Meer... wenn du ganz still bist, kannst du durch sein Tosen hindurch die Brandung hören... Meinst du, daß ich über die leichte Brücke hinüberkomme zu den Gärten dort?«
Harro ließ sie sanft auf die Kissen gleiten... Sie schien es kaum zu bemerken. Ulrike hielt ihre Hände fest. Sie sah mit ihren strengsten Augen zu ihrem Neffen hinauf und dann zur Türe.
Harro ging hinaus in das dunkle Wohnzimmer, vor dessen offenem Fenster der Regen niederrauschte wie ein gleichmäßiger Strom. Dort warf er sich auf den Boden, und über sein Herz rauschten die bitteren Wasserfluten. Ein rufender Jammer hielt ihn gepackt und ein wildes Grollen zugleich... »War ich nicht dankbar genug, als sich die Wagschale neigte und sie mir von Leben sprachen? War ich nicht bereit, alles dahinzugeben, habe ich nicht mit mir gekämpft, daß ich mein altes Selbst niederringe? Meine alte Welt habe ich selbst zertrümmert, ich habe keinen Winkel in mir behalten, wo ich das neue Licht nicht hereingelassen hatte.«
Und seine wilden Gedankenrosse rissen ihn dahin. »Unbegreiflich bist du, Gott. Furchtbar. Immer neue Schleier webst du vor dein Angesicht. Ich wollte dir dienen. Du weißt es, daß ich aufrichtig bin. Aber du nimmst sie mir, ja meine Seele nimmst du mir ... Meinen blauen Himmel. Ich werde sehen müssen, wie das Licht aus ihren Augen geht. Ich werd es vielleicht ersehnen, wenn ich sie noch einmal so daliegen sehen muß wie da, als der Donner über sie hinrollte. Grausam bist du, Gott, und deine schönsten Blumen triffst du am härtesten. Und keinen Ort hast du gelassen, wo ich die Seele vor dir berge. Entfliehen kann ich dir nicht mehr. Wenn ich noch frei wäre, wenn ich noch trotzen könnte wie früher. Aber du hast mich zerbrochen ... ich wehre mich gegen dich und deinen Willen und muß deine bittern Wasser über mich rauschen lassen, wie meine armen Lilien da draußen den Regen. Wenn ich noch frei wäre, ich würde ein Ende machen mit dem Jammer da drüben. Und mit mir ein Ende. So sanft käme sie hinüber in ihre himmlischen Gärten. Ich könnte ihren letzten Atem trinken von ihren Lippen, und sie vertraute mir. Und meine Arme würden nicht zittern... Und das Kind ließe ich dem Vater. Und wir schliefen zusammen. Aber den Glauben daran hast du mir zerrissen. Wie einen dünnen Fetzen Tuch, mit dem ich mir dein Licht verdecken wollte. Und meine Seele liegt vor eisernen Türen und deine Nähe, deine furchtbare Nähe, hält das Gewand von Fleisch und Bein und der Betrug des Tages nicht mehr ab. Ich werde es mit ansehen müssen. Ich werde dabei stehen. Gottes Will hat kein Warum.«
Leise Schritte kamen von der Tür her. Er hob seinen Kopf nicht: wie ein