Rosmarie lächelte. »Fragen Sie Ihre Schwester, ob ich mich gerade so engelhaft gegen sie benommen habe.«
»Ach, ihr verdreht sich ja alles.«
»Das tut es gewiß, aber das glauben Sie doch nicht, daß sie ohne jeden Grund einen solchen Haß auf mich geworfen hätte! Einmal hat sie mir unrecht getan. Das kann ich auch jetzt nicht zurücknehmen. Als das schwere Gewitter war. Jetzt hätte es wirklich keinen Wert mehr, wenn ich noch lügen wollte. Der Blitz hat ja jetzt doch schon bei mir eingeschlagen. Und ich habe mich auch bitter zu schämen.«
»Zu schämen, Cousine? Ich dachte. Sie würden vielleicht sagen, wenn Charlotte ihre Untat einmal zu bereuen anfinge, dann würden Sie ihr vergeben.«
Rosmarie wurde dunkelrot: »Ach, Alfred, brauchen Sie doch keine so großen Worte. Vergeben. Das Wort ist so göttlich, das dürfen wir doch kaum in den Mund nehmen. Gott vergibt. Und das habe ich auch schon erfahren. Denken Sie doch an die beiden Schuldner. Wissen Sie die Geschichte nicht mehr? Dem einen ist von seinem Herrn die ungeheure Schuld erlassen, und nun stürzt er sich im Vorhof auf einen andern, der ihm eine ganz kleine Summe schuldet. Dieser Mann ist mir immer sehr gemein vorgekommen. Ein Gesinnungslump, sagt Harro. Zu dem möchte ich doch nicht gerade heruntersteigen. Das müssen Sie doch einsehen!«
»Ja,« sagte Alfred, »ich sehe etwas ein.«
»Und suchen Sie nach dem Funken Liebe, Alfred! Es muß doch einer da sein. In allen Ecken suchen Sie danach! Nicht wahr?«
Sie streckte ihm die Hand entgegen, er beugte sich darüber und wollte sie küssen. Da faßte sie nach seinen Schultern und zog ihn sanft zu sich herab und küßte ihn auf die Wange.
»Ich danke Ihnen, Alfred, was Sie mir tun, das wissen Sie gar nicht. Und was Sie für ein Opfer bringen, das weiß ich auch...« Einen Augenblick sah er noch in ihre Augen, das Herz schlug ihm bis zum Halse herauf. Dann sagte er:
»Cousine, Sie machen noch einen Menschen aus mir,« und ging zu Tante Ulrike, die ihn an der Terrasse erwartete.
»Gräfin, ich gehe ... Ich steige in den Schlangenkorb. Sie haben mir in sechs Wochen Ihre Schwester Marga versprochen. Sollte von mir bis dahin nichts Nennenswertes übrig sein, so begraben Sie meine Reste und suchen Sie Ihren Neffen zu überzeugen, daß es für einen Mann meines Kalibers doch keine so ganz unwürdige Leistung war. Leben Sie wohl und tausend Dank. Für die Lebensrettung im Augenblick zwar noch nicht, aber dafür, daß Sie mich dahin geführt haben, wo ich in den Himmel hineinsehen konnte.«
In Brauneck ward Ruhe. Bis zum jüngsten Zimmermädchen atmete alles auf. »Ein wahrer Gottesfriede,« flüsterte Fräulein Berger ihrer Vertrauten, der Arbeitslehrerin Fräulein Kramer, zu: »Es war kein Leben mehr mit Ihrer Durchlaucht. Schon lange nicht mehr. Und seit sie krank war ...Ich weiß, Sie sind verschwiegen. Es war eine Schinderei. Die beiden liefen sich oben die Füße ab und wir unten. Und die Leute auf der Straße werden sich segnen, daß das schwarze Ungetüm mit seinem Geblök nicht mehr herumrast. Dem Krüger sein Fuß ist auf einmal wieder heil geworden. Der hat nur nicht hinten drein laufen mögen, und von dem kleinen Bergmann hat man nie gehört, daß er sich einen Rausch getrunken hatte. Der hat das Hintendreinlaufen auch nicht vertragen. Der Adolf hat gesagt, wenn das Spazierengehen an ihn käme, so ginge er lieber aus dem Dienst. Warum es ihnen aber so greulich war, das verrät keiner. Und das macht mir Gedanken, Karoline. Und das Geläufe und Treppenknarren. Natürlich den Mädchen gegenüber laß ich's nicht aufkommen, sonst bliebe mir keine – das hat mir auch Gedanken gemacht. Man hört ja immer so etwas in einem so großen alten Bau. Mal schlägt ein Laden, mal ist's ein altes Ofenblech, das umfällt. Ich habe schließlich immer herausgefunden, was es war. Wenn ich mich fürchtete, dann wäre ich keine dreißig Jahre hier. Aber drei Tage vor dem Unglück auf der Römerwiese, da habe ich selbst nimmer nach schlagenden Läden und Ofenblechen gesucht. Der junge Herr ist aus drei Zimmern ausgewandert. Immer, sie wären ihm zu kalt oder zu heiß oder was weiß ich. Der hat es auch gehört. Ich habe von unserem Herrgott mitbekommen, daß ich mich nicht fürchte. Wie wenn ich fürs Schloß geboren wäre. Und so habe ich mich, wie ich's wieder gehört habe, in das Vorzimmer gestellt, wo die eine Säule ist, neben der Wendeltreppe dort ins Eck. Weil's dort herkam. Das ist auf drei Schritt an mir vorbei, Schritte und wieder Schritte. Es hat schier kein Ende genommen. Herauf und herunter. Und als trügen und schleppten sie. Gesehen habe ich nichts. Es schien ein Mond irgendwo, finster war es nicht. Und im Hof heulten alle Hunde. Lieber noch die Schritte als das Geheul. Auf einmal ging das Licht an, der Fürst kam ganz angezogen mitten in der Nacht. Er sieht mich, zum großen Glück war ich anständig gekleidet, und er sagt: ›Fräulein Berger, hören Sie die Hunde auch?‹ Er wundert sich gar nicht, daß ich auf bin. ›Es ist überhaupt nicht geheuer heute nacht, Durchlaucht.‹ Da faßt er mich am Arm und deutet hinüber. Jetzt ist wie ein mattes Licht im großen Saal. Die weißen Vorhänge gehen auf einmal herunter, auf denen zeichnen sich allerhand Schatten ab. Von Menschen, die da innen gehen. Sie gingen zu schnell und waren zu weit in der Mitte des Saales, wir konnten's nicht erkennen, was es für Schatten waren. Aber große und kleine, dünne und breite waren's gewiß. Viele, viele Schatten. Dann erlosch das Licht. Und der Fürst ließ meinen Arm los. Den hatte er die ganze Zeit gepackt gehalten. Er muß es gar nicht gewußt haben. Dann sagte der Fürst mit denselben Worten: ›Fräulein Berger, es gibt ein Unglück...‹
Ich sage: ›Durchlaucht, wir wollen nicht hoffen ...‹
Da schüttelt er sich und geht in sein Zimmer.
Und daß Sie mir nichts davon verlauten lassen, Karoline. Es bliebe mir kein Zimmermädchen, und Geister gibt es nicht. Das habe ich bei dem Herrn Kantor selig schon gelernt. So müssen wohl die alten Bilder spazieren gegangen sein. Und seit vorgestern haben wir Ruhe. Ein wahrer Gottesfriede, Karoline!«
Dreiundvierzigstes Kapitel.
Von den himmlischen Gärten
Schwer und dumpf lastete heute der Tag auf Thorstein. Grau versponnen der Himmel, in kurzen, mürrischen Stößen riß der Wind an den Rosenstämmen und zerzauste Harros mühsam gehütete Lilienecke, denn es war nicht mehr lange zum Lilientag. Die Frau von Thorstein war heute gar nicht aus ihrem Schlafzimmer gekommen und hatte, wie Harro sagte, nur eine viertelstündige Audienz erteilt.
Klein Heinz, der heute ganz der Babette anheimgefallen war, war darauf verfallen, Vaters Marmorbüsten im Empfangsraum mit einer Peitsche zu bearbeiten. Schreiend wurde er hinausgetragen. Im Garten hatte er sofort Märts Gießkanne umgestoßen und sich auch, ehe es Lisa hindern konnte, in der Wasserlache gewälzt und seine Locken mit feuchtem Sand bearbeitet. Mama hatte ihn auch da wieder brüllen hören, als ihm sein Vergnügen gestört wurde. Jetzt war er sicher in der Tantenstube untergebracht, und sein Vater hatte ihm dort eine Tracht tüchtiger Hiebe erteilen müssen, weil er eben dazu kam, wie der junge Herr die Enttäuschungen des Morgens dadurch rächte, daß er Baublöckchen nach der armen Babette warf. Wie einfach war vorher die Bändigung des jungen Thorsteiners gewesen und wie schwierig wurde sie jetzt. Harro hatte sich immer eingebildet, daß Heinz' Tugend hauptsächlich s e i n e r Erziehung zu danken sei, aber nun zeigte es sich, daß der Mutter ein sehr viel größerer Teil zugekommen war.
Seufzend stieg er hinunter, während die schluchzenden