Der Schatten des anderen. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718551
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»Sie sind von einer Selbstüberschätzung, Garden, die ihresgleichen sucht. Aber warum soll ich mich mit Ihnen streiten. Ich hoffe nur, daß Sie sich nicht bei mir beschweren werden, wenn eines Tages die Kündigung auf Ihren Schreibtisch flattert.«

      »Auf diesen Tag warten Sie, wie? Aber vergessen Sie bitte nicht, dann ist auch für Sie alles erledigt — tot und gestorben.«

      »Das ist Ansichtssache. Schließlich habe ich Erfolge gehabt, bevor …«

      Hans Ullrich Garden unterbrach ihn. »Jetzt flehe ich Sie an, Lewin, tun Sie mir den Gefallen und erzählen Sie nicht wieder Ihre schönen Geschichten aus Wien. Gut, unterstellen wir, Sie waren damals im Kommen — aber was nützt Ihnen denn das? Inzwischen ist doch einiges passiert! Was versprechen Sie sich eigentlich von solchen dunklen Andeutungen? Wahrscheinlich wollen Sie mich nur dazu zwingen, unfair zu werden, damit Sie einen Grund haben, mich ärgern zu können.«

      »Meine Herren«, sagte ich, »darf ich auch mal ein Wort zu der ganzen Angelegenheit äußern?«

      Hans Ullrich Garden fuhr zu mir herum. »Also, was die Kriminalpolizei betrifft, muß ich Sie bitten …«

      »Aber darum handelt es sich doch jetzt gar nicht«, sagte ich. »Sie haben sich wirklich sehr charmant für mich eingesetzt, Herr Garden, beim Publikum und auch jetzt bei Ihrem Vorgesetzten — ich nehme doch an, daß der Intendant Ihr Vorgesetzter ist, nicht wahr? Das war wirklich alles zauberhaft von Ihnen, und ich erkenne es auch durchaus an. Aber wäre es nicht besser gewesen, mich vorher zu fragen, ob ich überhaupt Lust und Zeit zu solch einem Job habe?«

      »Soll das heißen …«, brachte Hans Ullrich Garden gerade noch hervor, bevor es ihm die Sprache verschlug.

      »Ja, sind Sie denn wahnsinnig geworden?« ereiferte sich Janos Lewin. »Halten Sie mich nicht für indiskret, aber beantworten Sie mir jetzt mal eine Frage: Wie hoch ist der Wechsel, den Sie allmonatlich von zu Hause bekommen?«

      Ich sagte es ihm.

      »Und wieviel Semester müssen Sie noch studieren?«

      »Wenn alles gutgeht — fünf.«

      »Nun hören Sie mich mal an, Mädchen. Ich glaube, Sie begreifen überhaupt nicht, was für eine Chance wir Ihnen bieten! Sie brauchen nur jetzt Ihre Ferien zu opfern, na ja, vielleicht noch das nächste Semester Ihr Studium zu unterbrechen, und Sie werden in dieser Zeit so viel Geld verdient haben, daß Sie bis zum Abschluß des Examens sorglos leben können.«

      »Das ist mir klar«, sagte ich unentschlossen.

      »Und da zögern Sie noch?«

      »Die Entscheidung hängt ja nicht von mir ab«, erklärte ich. »Erst muß ich natürlich mit meinem Professor sprechen, und dann muß ich auch noch meine Eltern um Erlaubnis fragen. So mir nichts, dir nichts, wie Sie sich das vorzustellen scheinen, kann ich mein Studium nicht abbrechen.«

      »Mein Gott«, sagte Hans Ullrich Garden, »und Ihretwegen habe ich …« Er schlug sich mit einer reichlich theatralischen Geste die Hand vor den Kopf.

      »Ich habe es von Ihnen weder erwartet noch verlangt, Herr Garden, darüber wollen wir uns doch von vornherein klar sein, ja?« sagte ich. »Warum es Ihnen eingefallen ist, mich vor dem Publikum zu Ihrer Assistentin zu ernennen, weiß ich nicht, aber daß Sie die Sache Ihrem Intendanten gegenüber durchgeboxt haben, ist doch wohlkaum meinetwegen geschehen. Ich hatte eher den Eindruck, daß es sich um eine Prestigefrage gehandelt hat.«

      »Kluges Kind«, sagte Janos Lewin mit spöttischem Ernst.

      Ich stand auf. »Das Beste wird sein, ich schreibe Ihnen, wenn ich genau weiß, ob ich überhaupt bei Ihnen arbeiten kann. Jetzt habe ich nämlich keine Zeit mehr, in einer knappen Viertelstunde geht mein Zug.«

      Hans Ullrich Garden war wie elektrisiert aufgesprungen. »Halt! Warten Sie doch!« rief er. »Natürlich bringe ich Sie mit dem Wagen zum Bahnhof.«

      »Danke, nicht nötig. Ich brauche nur meinen Mantel. Sollte dieser Bühnenarbeiter ihn nicht heraufbringen?«

      Janos Lewin humpelte zu einer Seitentür und kam wenige Augenblicke später mit meinem Mantel, meinem Schal und meiner Wollmütze zurück. »Hier, gnädiges Fräulein. Ich möchte annehmen, daß es sich um Ihre Sachen handelt!«

      Er wollte mir in den Mantel helfen, aber Hans Ullrich Garden kam ihm zuvor. »Sie wollen doch nicht wirklich so Hals über Kopf davon?« raunte er mir ins Ohr.

      »Von Hals über Kopf kann gar keine Rede sein«, sagte ich nüchtern, »ich habe mir von Anfang an vorgenommen, mit diesem Zug zurückzufahren, also …« Ich reichte Hans Ullrich Garden die Hand.

      Er hatte sie gerade reichlich verwirrt ergriffen, als die Tür vom Gang her aufgerissen wurde und Gaby, die superblonde Assistentin, hereinstürmte.

      »Ha!« rief sie, riß die katzengrünen Augen auf und starrte uns wütend an. »Das hätte ich mir denken können!«

      Ich rechnete es Hans Ullrich Garden hoch an, daß er mich in diesem Augenblick nicht etwa losließ, sondern ganz im Gegenteil noch näher an sich zog und den linken Arm um meine Schultern legte.

      »Im ganzen Haus hab ich dich gesucht!« rief Gaby außer sich. »Überall bin ich herumgerannt! Wie eine Verrückte habe ich mich benommen, und du, du …«, sie stürzte auf Hans Ullrich Garden los, »du hast nichts Besseres zu tun, als mit dieser Person da herumzuflirten.«

      »Nun nimm mal Vernunft an, Mädchen«, sagte Hans Ullrich Garden seelenruhig. »Hast du dir wirklich nicht denken können, daß ich in meinem Büro bin? Wo soll ich denn sonst sein? Und was dieses Mädchen betrifft, so ist es keine Person, sondern eine neue Kollegin von dir. Bitte, Gaby, sei brav, gib Händchen!«

      »Ich denke nicht daran«, schrie Gaby und versteckte ihre Hand hinter dem Rücken.

      Hans Ullrich Garden ließ mich los und trat drohend auf sie zu. »Nicht?« fragte er. »Und warum nicht, wenn ich bitten darf?«

      »Weil sie dich erschießen wollte!«

      Hans Ullrich Garden stöhnte auf, ließ sich wieder auf einen der hochmodernen Stühle nieder, vergrub den Kopf in den Händen. »Menschenskind!« sagte er. »Das hat mir gerade noch gefehlt! Eine Verrückte mehr!«

      »Erschießen? Wie kommen Sie darauf?« fragte Janos Lewin mit einer Höflichkeit, hinter der, wie immer, Spott zu liegen schien.

      »Weil sie — sie hatte doch die Pistole in der Hand! Bestimmt hat sie diese mit auf die Bühne geschmuggelt! Daß ihr dann nachher der Mut gefehlt hat, abzudrücken — finden Sie, daß das für sie spricht? Wenn ich mir vorgenommen hätte, einen Mann zu töten …«

      »Liebes Fräulein Gaby«, sagte ich so freundlich und gelassen, wie es mir irgend möglich war, »ich muß Sie leider darüber aufklären, daß Sie sich in einem grundlegenden Irrtum befinden. Ich hatte weder die Absicht, Hans Ullrich Garden zu töten — bitte, lassen Sie mich jetzt ausreden —, noch einen Grund dazu, weil ich ihn vor diesem Abend ja nur einmal, und da sehr flüchtig, gesehen habe. Ich hatte auch keine Gelegenheit, die Pistole mit auf die Bühne zu schmuggeln, denn wie Millionen Zuschauer werden bezeugen können, trug ich ein enganliegendes Kleid ohne Taschen. Außerdem hatte ich nicht die entfernteste Ahnung, daß es zu einer Schießerei auf der Bühne kommen würde. Ihr Verdacht gegen mich ist also völlig unbegründet und läßt sich nur aus einer gewissen Eifersucht heraus motivieren. Lieben Sie Hans Ullrich Garden?«

      Der Quizmaster sprang auf und hob beschwörend die Hände. »Kinder! Kinder!« rief er. »Nun ist es doch wohl genug. Schließlich sind wir hier nicht auf der Bühne, kein Mensch bezahlt uns für unsere Darbietung. Macht doch Schluß damit! Hatten Sie nicht einen Zug zu versäumen, Fräulein Horn? Ist er schon weg? Nein? Kommen Sie mit, ich fahre Sie mit meinem Wagen zum Bahnhof! Vielleicht schaffen Sie es noch.« Er wandte sich mit einer unbestimmten Handbewegung den anderen zu. »Tschüs, zusammen!«

      Der Ausgang, durch den wir die Straße erreichten, war mir unbekannt. Wenige Schritte weiter, unter einer Laterne, parkte Hans Ullrich Gardens Wagen — nicht die