Der Schatten des anderen. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718551
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nahm am Steuer Platz, steckte, kaum daß ich meine Tür zugeknallt hatte, den Zündschlüssel ein und brauste los.

      »Wissen Sie, daß Sie mich sehr glücklich gemacht haben, Sonja?« fragte er unvermittelt.

      »Ich? Wieso?«

      Er tastete nach meiner Hand. »Ich bin sehr, sehr froh, daß ich Sie kennengelernt habe, Sonja.«

      »Ich muß immerzu an dieses merkwürdige Attentat denken«, sagte ich. »Wer kann diese Sache eingefädelt haben? Es muß jemand sein, der bei der Sendung mitgewirkt oder geholfen hat, sie vorzubereiten. Anders wäre die Sache zu kompliziert. Wer war diese Dame, die Sie vorhin angerufen hat? Diese Lilo?«

      »Eifersüchtig?« fragte er.

      »Ach wo. Nur eine Überlegung. War sie auf der Bühne?«

      »Ja. Aber Lilo — das ist ganz ausgeschlossen! Lächerlich. Überhaupt, Sonja, bitte schlagen Sie sich doch diese blödsinnige Geschichte endlich aus dem Kopf. Es ist ja noch mal gutgegangen. Sehen Sie, für mich ist es ein Wink des Schicksals, daß gerade Sie mir das Leben gerettet haben.«

      »Ich glaube kaum, daß irgendeine andere Frau — selbst die dümmste Gans nicht — diesen Revolver mit einem harmlosen Plastikkinderspielzeug verwechselt hätte, Herr Garden. Der Mörder konnte also eigentlich gar nicht damit gerechnet haben — hören Sie, Herr Garden, finden Sie das eigentlich nicht auch sehr merkwürdig?«

      »Wahrscheinlich hat es sich überhaupt nur um einen dummen Witz gehandelt. Es war sicher einer dieser blöden Späße, wie sie unter Kollegen beim Theater üblich sind!«

      »Ein ziemlich gefährlicher Spaß«, sagte ich, immer noch nicht überzeugt. »Was ist mit den Drohbriefen, von denen Sie vorhin gesprochen haben? Wird da auch schon auf einen Mord hingedeutet?«

      »Sonja! Ich flehe Sie an, hören Sie endlich auf damit! Wozu zerbrechen Sie sich Ihren hübschen Kopf? Freuen Sie sich doch lieber, daß alles gutgegangen ist — freuen wir uns, daß wir auf der Welt sind!« Er faßte, den Blick immer geradeaus auf die Straße gerichtet, meine Hand und drückte sie. »Sie ahnen ja nicht, was Sie mir bedeuten, Sonja. Ich erinnere mich nicht, daß ich je so glücklich gewesen wäre wie in diesem Augenblick. Endlich habe ich einen Menschen gefunden, einen wirklichen Menschen, kein Püppchen, kein Lärvchen, sondern eine Persönlichkeit. Schon damals, als wir uns das erstemal begegneten, spürte ich ganz deutlich: Sie sind die Frau, auf die ich immer gewartet habe. Sonja, Sie lächeln, Sie glauben mir nicht! Ich weiß, meine Erfolge bei Frauen sind sprichwörtlich …«

      Dieser eitle Satz riß mich fast schmerzhaft aus der Verzauberung, der ich wider Willen unter dem Einfluß seiner wohlklingenden Stimme verfallen war. Ich riß die Augen auf und sah zum Fenster hinaus, erkannte, daß wir durch einen Villenvorort fuhren.

      »Halt!« rief ich aufgebracht. »Halten Sie oder kehren Sie um! Warum bringen Sie mich nicht zum Bahnhof?«

      Hans Ullrich Garden stoppte den Wagen gehorsam, wandte sich mir zu, in seinen blauen Augen schimmerte Zärtlichkeit. »Hören Sie, Sonja …«

      »Ich will jetzt nichts mehr hören!« rief ich wütend. »Ich will zurück! Sie haben mir doch versprochen, mich zum Bahnhof zu bringen — warum …«

      »Darum!« sagte er und riß mich in seine Arme.

      Sein Kuß war voll Leidenschaft.

      Ich bin ehrlich genug, zuzugeben — Hans Ullrich Gardens leidenschaftliche Küsse überrumpelten mich nicht nur, sondern faszinierten mich beinahe. Es dauerte Sekunden, bis ich den Bann, dem ich wider Willen verfallen war, abschütteln konnte und mein Gehirn klar funktionierte.

      Ich gab ihm mit beiden Händen einen Stoß vor die Brust, der um so wirkungsvoller war, als er ganz gewiß nicht damit gerechnet hatte. Er gab mich frei, und ich benutzte seine Schrecksekunde, um die Wagentür aufzureißen und auf die Straße zu springen. Ohne mich auch nur einmal nach dem parkenden Wagen umzusehen, lief ich wie gehetzt davon. Ich rannte die breite, schöngepflasterte Villenstraße hinunter, bog um die Ecke und lehnte mich atemlos gegen einen Zaun. Gerettet! schoß es mir durch den Kopf, aber gleichzeitig wurde mir bewußt, wie unsinnig und verfrüht mein Triumph war.

      Schön und gut, ich war Hans Ullrich Garden entronnen — aber was weiter? Ich stand mitten in der Nacht in einer fremden Großstadt, von der ich nicht mehr als das Geschäftsviertel und auch das nur am hellen Tag kannte. Ich hatte keine Ahnung, in welcher Gegend der Stadt ich mich befand und ob von hier aus Omnibusse oder Straßenbahnen fuhren. Nur eins war mir ziemlich klar, nämlich daß ich vom Bahnhof so weit wie irgend möglich entfernt war. Ein Taxi wäre jetzt die — wenn auch ziemlich teure — Rettung gewesen, aber ich hatte keinen Schimmer, ob und wo sich hier in der Gegend ein Taxistand befand.

      So stand ich denn mehr vor Aufregung als vor Kälte zitternd mutterseelenallein auf der stillen Straße und stellte wieder einmal fest, daß ich mich wie eine dumme Gans benommen hatte. Um mich rauschten die Bäume in den Gärten der Villen, ein Käuzchen schrie — ich nahm jedenfalls an, daß es ein Käuzchen war —, aber sonst war kein Laut zu hören. Nur aus wenigen Fenstern schien noch Licht — und wenn es mehr gewesen wären, was hätte es mir geholfen? Ich konnte ja nicht einfach an irgendeiner Haustür klingeln und erklären: »Ich bin die Studentin Sonja Horn und durch einen lächerlichen Zufall in diesen Stadtteil geraten. Bitte sagen Sie mir, wie ich am schnellsten zum Bahnhof komme!«

      Mein Herz schlug höher, als ich das sanfte Brummen eines Motors hörte. Ich blieb, immer noch an den Gartenzaun gepreßt, stehen, sah, wie die Lichter der Autoscheinwerfer sich immer tiefer in die Dunkelheit hineinfraßen. Ich gab mir einen Ruck, sprang auf die Hauptstraße zurück und winkte mit der Hand.

      Das Auto, das sich im Schrittempo genähert hatte, hielt sofort. Ich lief darauf zu, öffnete den Wagenschlag und stieg ein. Jetzt erst sah ich, warum es so lange gedauert hatte, bis Hans Ullrich Garden mich eingeholt hatte — er hatte sich eine Zigarette angesteckt und inzwischen fast zu Ende geraucht.

      Ich hatte das Gefühl, daß ich irgendwie mein Gesicht wahren müßte, und sagte: »Ach, Sie sind es! Ich hatte gehofft, ein Taxi zu erwischen.«

      »Geben Sie lieber zu, daß Sie sich zwar tugendhaft, aber dumm benommen haben, Mädchen!«

      »Mag sein. Aber schuld daran sind Sie. Ihr Benehmen gegenüber alleinreisenden jungen Damen läßt sehr zu wünschen übrig.«

      »Danke.«

      »Bitte«, sagte ich nicht weniger kurz. Ich ließ soviel Zwischenraum zwischen uns wie nur möglich.

      Ich wußte, daß ich eine Schlacht verloren hatte, und ärgerte mich. Wieder einmal hatte ich Gelegenheit zu bereuen, daß ich nicht raffiniert genug bin. Eine Frau mit Sex-Appeal hätte sich bei einer ungelegenen Küsserei bestimmt effektvoller aus der Affäre gezogen, vor allen Dingen wäre sie niemals zu dem Auto des Verführers zurückgelaufen. Was man tun mußte, um den Männern zu imponieren, wußte ich ganz genau — nur wie man es tatsächlich anfing, dabei versagte ich. Es war zum Heulen.

      »Sie sind mir doch nicht wirklich böse, Sonja, wie?« fragte Hans Ullrich Garden in meine Gedanken hinein.

      »Doch«, sagte ich wütend.

      »Hören Sie mal, Sonja, wenn es Ihnen nicht Spaß gemacht hätte …«

      »Bitte, werden Sie jetzt nicht unverschämt!« schnitt ich ihm das Wort ab. »Ob es mir Spaß gemacht hat oder nicht, das steht doch jetzt gar nicht zur Debatte. Es handelt sich einzig und allein darum, daß Sie sich unkorrekt benommen haben, Herr Garden! Wenn Ihre berühmten Erfolge alle auf ähnlicher Basis beruhen, dann kann ich nur sagen …« Ich wußte nicht recht, was ich wirklich dazu sagen sollte, mußte eine kleine Pause einlegen und behauptete dann: »Primitiv! Ja, das ist das richtige Wort — primitiv. Zum Kuckuck, was müssen das für Frauen sein, die sich von solch einem Benehmen beeindrucken lassen! Ich gehe jede Wette ein, keine von Ihren Verehrerinnen ist über achtzehn, wie?«

      Zu meiner Überraschung stimmte er ohne weiteres zu. »Na ja, die meisten nicht«, sagte er. »Ich habe nun mal was übrig für die Teenager.«