Der Schatten des anderen. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718551
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keine Sekunde von der allgemeinen Begeisterung angesteckt. Erstens war ich Studentin, hatte ein festes Berufsziel und dachte auch jetzt nicht daran, mein Studium aufzugeben, um Hans Ullrich Garden auf der Bühne zu assistieren. Zweitens konnte ich nicht vergessen, was geschehen war, wenn es mir auch schon jetzt wie ein böser Traum erschien.

      Hans Ullrich Garden, der beliebte und gefeierte Quizmaster, mußte einen Todfeind haben, einen Menschen, der ihn so sehr haßte, daß er es darauf anlegte, ihn vor Millionen Zuschauern sterben zu sehen. Kälte kroch mir bei diesem Gedanken über den Rücken, und ich spürte, wie unecht und verzerrt mein Lächeln war.

      Nach der Preisverteilung — Herr Bürger erhielt eine Fernsehtruhe, ich einen Plattenspieler, und der junge Mann, der mit uns bis in die Endrunde vorgedrungen war, bekam einen Reisewecker — und dem anschließenden Schlußapplaus, bei dem ich mich wieder Hand in Hand mit Hans Ullrich Garden an der Rampe verneigen mußte, zog er mich mit sich von der Bühne in die Kulissen.

      Er sah plötzlich verfallen aus, wischte sich mit seinem blütenweißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn und sagte mit einem kleinen gequälten Lächeln: »So, das hätten wir überstanden!«

      Ich hörte, wie draußen auf der Bühne die Schlußansage gemacht wurde.

      »Kann ich jetzt gehen?« fragte ich.

      Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Gehen? Wohin denn?«

      »Meinen Mantel holen. Ich möchte meinen Zug nicht versäumen.«

      »Sollen Sie ja auch nicht, Mädchen. Ich werde Sie schon rechtzeitig zum Bahnhof bringen. Bitte geben Sie mir mal Ihre Garderobenmarke!«

      Er winkte einen der Bühnenarbeiter herbei, drückte ihm meine Marke in die Hand und sagte: »Bitte, Karlchen, holen Sie das Zeug und bringen Sie es in mein Büro!«

      »Natürlich werde ich meine Aussage machen«, sagte ich, als der Mann verschwunden war.

      »Aussage! Was meinen Sie damit?«

      »Na, ich denke, Sie wollen mich hier behalten, weil die Polizei …«

      Er legte mir die Hand auf den Mund. »Still!« zischte er. »Kein Wort davon!«

      Ich machte mich frei. »Aber warum denn nicht? Schließlich war es doch ein einwandfreier Mordanschlag!«

      Er lächelte krampfhaft. »Muß man soviel Phantasie haben, um Soziologie zu studieren? Nein, klettern Sie nicht gleich wieder auf die Palme. Kommen Sie, gehen wir in mein Büro, dort können wir uns in aller Ruhe über die Geschichte unterhalten.« Er packte mich beim Oberarm und dirigierte mich durch die Kulissen zum Ausgang.

      Ein kleiner Mann in grauem Kittel, mit Brille und zerrauftem Haar stürzte auf uns zu. »Herr Garden«, sagte er, »ich wollte nur sagen — ich wollte Sie bitten — Sie werden mir doch keinen Ärger machen wegen dieser Geschichte, wie?«

      »Ich begreife nicht, wie das passieren konnte«, sagte der Quizmaster kühl.

      Der kleine Mann rang verzweifelt die Hände. »Es ist nicht meine Schuld — weiß Gott, es ist nicht meine Schuld! Natürlich wird man jetzt wieder sagen, ich hätte mich vergewissern müssen — aber du lieber Himmel, man kann doch nicht überall sein. Siebzehn verschiedene Dekorationen heute abend, das ist wirklich zuviel. Ich bin doch auch nur ein Mensch, das müssen die Herren doch schließlich einsehen.«

      Ich begriff, daß der aufgeregte Mann der Requisiteur sein mußte. »Wo ist die Plastikpistole?« fragte ich.

      »Die Plas …«, sagte der Requisiteur, stockte mitten im Wort, sah mich wütend an und sagte: »Haben Sie hier auch schon mitzureden, Fräulein?«

      »Die Frage von Fräulein Horn ist sehr berechtigt, Herr Mehlmann«, unterstützte Hans Ullrich Garden mich. »Was war mit der Plastikpistole?«

      »Ich hatte sie besorgt — genau wie Sie mir gesagt hatten, Herr Garden, eigenhändig habe ich sie in die Nachttischschublade gelegt, so wahr mir Gott helfe — sie muß herausgefallen sein, als die Arbeiter den Nachttisch auf die Bühne geschleppt haben. Nachher habe ich sie am Eingang gefunden — hier ist sie!« Er fummelte in den Taschen seines Kittels herum, sagte dann: »Eben hatte ich sie noch; wenn Sie Wert darauf legen, werde ich …«

      »Nein«, sagte Hans Ullrich Garden. »Jetzt brauchen wir die Pistole ja nicht mehr.«

      »Ja, jetzt — ja, natürlich, was sollten Sie jetzt noch mit einer Pistole anfangen? Bitte, Herr Garden, Sie werden den Vorfall doch nicht melden? Ein armer Mann wie ich, Vater von vier Kindern.«

      »Nein«, sagte Hans Ullrich Garden mit Nachdruck, »ich werde nichts melden. Sind Sie nun zufrieden?«

      »Ja, danke, Herr Garden — vielen Dank auch, nur …«

      »Was denn jetzt noch?«

      »Ich möchte so gern wissen, wie Sie es geschafft haben, so schnell einen Ersatz zu bekommen — also, ich muß sagen, für mich hat das geradezu an Hexerei gegrenzt!«

      »Alter Freund«, sagte der Quizmaster und klopfte dem Requisiteur gönnerhaft auf die Schulter. »Sie sollten doch eigentlich wissen — Hans Ullrich Garden schafft alles.«

      Das Büro des Quizmasters lag im Fernsehflügel des Funkhauses. »Abteilung Unterhaltung« las ich auf der Glastür, die wir durchschritten. Wir mußten einen ziemlich langen Gang hinunter, die vorletzte Tür links führte in Hans Ullrich Gardens geheiligte Räume.

      Ich wartete auf den Augenblick, wo ich dem Quizmaster endlich in aller Ruhe und unter vier Augen meinen Standpunkt erklären konnte, aber der modern eingerichtete Raum war nicht leer. Herr Lewin — Dr. Janos Lewin, wie ich später erfuhr — saß hinter dem Schreibtisch, hatte eine Flasche Kognak und ein Glas vor sich und prostete uns zu, als wir eintraten.

      »’n Abend!« grüßte Hans Ullrich Garden kurz, wies mit der Hand zu den Stahlrohrsesseln, die um einen kleinen Tisch mit einer apfelsinenfarbenen Plastikplatte gruppiert waren. »Setzen Sie sich, Mädchen, geben Sie uns einen Kognak, Lewin!«

      Lewin kicherte, holte zwei weitere Gläser aus dem Schreibtisch, stand auf und kam zu unserem Tisch. Jetzt erst sah ich, daß sein rechtes Bein verkürzt schien. Er humpelte stark.

      »Sie werden eine Seelenstärkung brauchen können, Garden«, sagte er grinsend, »der hohe Chef hat angerufen. Sie sollen sich sofort mit ihm in Verbindung setzen, mein Lieber!« Lewins Augen funkelten vor Schadenfreude.

      Hans Ullrich Garden goß mir und sich selbst einen Kognak ein, leerte sein Glas auf einen Zug und sagte böse: »Der kann mich mal!«

      »Soll ich die Verbindung herstellen, damit Sie es ihm persönlich sagen können?« schlug Lewin mit falscher Freundlichkeit vor.

      »Nichts sollen Sie! Den Mund halten sollen Sie — wenn es Ihnen auch schwer fällt.«

      Lewin rieb sich die Hände, zog die eine Schulter hoch, eine Haltung, die ihm das Aussehen eines boshaften Vogels gab. »Schlecht gelaunt, großer Meister, wie?« fragte er mit funkelnden Augen.

      Obwohl er sich alle Mühe gab, sich so widerwärtig wie nur möglich aufzuführen, hatte ich das Gefühl, daß er im Grund genommen eine gute Seele war. Deshalb sagte ich: »Herr Garden ist ziemlich erschöpft. Es ist etwas passiert.«

      Dr. Lewins Gesicht wurde sofort ernst. »Passiert?« fragte er. »Ist die Sendung geplatzt? Nein, das kann ich mir doch nicht vorstellen, das würde man mir bestimmt schon berichtet haben …«

      Hans Ullrich Garden zündete sich eine Zigarette an. »Weshalb will der Chef mich sprechen?«

      »Weshalb schon? Weil Sie sich erlaubt haben, diese gewiß ungemein reizende junge Dame«, er sagte es mit einer kleinen Verbeugung zu mir hin, »eigenmächtig zu engagieren.«

      »Na und? Ist etwas gegen Fräulein Horn einzuwenden?«

      »Heilige Einfalt!« Dr. Janos Lewin setzte sich verkehrt herum, die Arme über der Lehne verschränkt, auf einen der federnden Stühle. »Wer, lieber Garden,