Der Schatten des anderen. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718551
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Sie hinbringen, Sonja?«

      »Wohin schon? Zum Bahnhof.«

      »Ich fürchte aber, es geht heute kein Zug mehr.«

      »Ah, das haben Sie also gewußt, und trotzdem …«

      »Sonja, bitte regen Sie sich doch nicht auf — ich habe es wirklich nur gut mit Ihnen gemeint!«

      »Wohin wollten Sie mich eigentlich entführen?« fragte ich sachlich.

      »Na ja, ich wohne hier ganz in der Nähe.«

      »In einer tollen Villa mit Swimming-pool und allem Komfort! Hätte ich mir denken können.«

      »Genau. Nur daß sie nicht mir gehört. Ich habe sie gemietet, aus Repräsentationsgründen, verstehen Sie? Ich persönlich, als bescheidener Junggeselle, ich wäre mit ein, zwei Zimmern und einem Bad natürlich völlig zufrieden. Aber was soll man machen? Das Publikum verlangt gewisse Zugeständnisse.«

      »Sie armer Mensch!« Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte an, daß es gleich ein Uhr sein würde. »Bringen Sie mich bitte zum Bahnhof«, sagte ich, »ich werde warten, bis der nächste Zug geht.«

      »Warum wollen Sie nicht lieber hier übernachten, Sonja? In einem Hotel?«

      »Haben Sie Begriffe! Die Reise hat mich sowieso mehr Geld gekostet, als ich verantworten kann …«

      »Stimmt«, sagte er sofort. »Gut, daß Sie mich daran erinnern, bitte schreiben Sie alles auf, was Sie an Spesen gehabt haben — also, Hinfahrt, Rückfahrt, Hotel, Mittagessen, Abendessen, Frühstück —, und schicken Sie mir diesen Zettel mit Ihrer Unterschrift zu. Sie bekommen natürlich alle Auslagen ersetzt!«

      »Aber — was fällt Ihnen ein?« wollte ich protestieren.

      Hans Ullrich Garden grinste. »Nicht aus meiner Tasche, Mädchen. Für so etwas haben wir eine Verwaltung. Sie wird jede einzelne Ausgabe nachprüfen — also seien Sie auf keinen Fall zu kleinlich, gestrichen wird immer irgendwo etwas.«

      »Aber ich — ich bin doch nur als Zuschauerin gekommen!«

      »Na, wenn schon. Als was Sie gekommen sind, interessiert doch keinen Menschen. Jedenfalls haben Sie als meine Assistentin das Funkhaus verlassen. Ist das klar?«

      »Wollen Sie mich denn überhaupt noch nehmen?«

      »Warum nicht?« fragte er erstaunt. »Glauben Sie etwa, daß ich Ihnen böse bin?«

      »Ich weiß nicht. Jedenfalls enttäuscht.«

      »Na ja, da ist was Wahres dran. Aber Sie kennen mich schlecht, wenn Sie jetzt glauben, daß Sie mich kleingekriegt haben. Ein Hans Ullrich Garden läßt sich doch von so einer Enttäuschung nicht einfach umwerfen — nein, das ist bei mir nicht drin. Wenn’s heute nicht geklappt hat, klappt’s vielleicht ein andermal. Wollen wir es so halten, Mädchen?«

      »Herr Garden«, sagte ich, »es tut mir leid, wenn ich Ihnen widersprechen muß. Es wäre schlimm, wenn Sie sich falsche Hoffnungen machen würden. Ich habe nämlich gewisse Prinzipien …«

      Er lachte. »Wunderbar. Ich nämlich auch. Habe ich nicht immer gesagt, wir beide passen großartig zusammen?«

      »Wenn Sie mich nur engagiert haben, weil Sie sich einbilden, daß Sie früher oder später…«

      »Ach was, Unsinn«, unterbrach er mich. »Ich habe Sie engagiert, weil Sie mir das Leben gerettet haben. Jawohl, das haben Sie. Außerdem — wie oft soll ich es Ihnen noch sagen —, Sie sind eine Persönlichkeit. Für einen Mann wie mich, der von Heuchlern und Schmeichlern umgeben ist, ist es einfach unbezahlbar, eine Persönlichkeit in seiner Nähe zu wissen. Sie glauben wohl, alles, was ich Ihnen erzählt habe, war Schmus? Da irren Sie sich aber gewaltig, Sonja. Sie sind und bleiben die Frau meines Lebens, und eines Tages werden Sie es bestimmt noch einsehen.«

      Renate war von meinem Bericht völlig erschlagen, aber als ich ihr meine Absicht, als Assistentin bei Hans Ullrich Garden zu arbeiten, bekannt gab, schüttelte sie denn doch bedenklich den Kopf. »Sonja«, sagte sie, »hör auf deine alte Freundin — du bist dabei, deine Tugend mutwillig zu gefährden!«

      »Aber wieso denn? Niemand kann mich zwingen …«

      »Wird auch niemand versuchen. Wer spricht denn hier von zwingen? Ich denke eher an Verführen. Dieser Hans Ullrich Garden scheint ein großer Verführer vor dem Herrn zu sein. Du bist ein harmloses Kind, und ich weiß nicht, ob ich dich diesem Don Juan anvertrauen kann.«

      »Also hör mal, Renate, dich brauche ich bei dieser Sache ja wirklich nicht um Erlaubnis zu fragen!«

      »Nicht?« fragte Renate und tat sehr erstaunt. »Warum fragst du mich denn?«

      »Ich habe dich um einen Rat gebeten, weiter nichts.«

      Renate schien zu merken, daß sie zuweit gegangen war. »Bravo, unschuldiges Lämmlein«, sagte sie salbungsvoll, »und wie lange gedenkst du diesen Zauber mitzumachen?«

      »Na, höchstens ein Semester — das heißt, wenn Professor Gahlen überhaupt damit einverstanden ist, und dann muß ich meine Eltern natürlich noch einweihen, aber ich denke, die werden froh sein, wenn ich endlich mal selbst ein bißchen Geld verdiene.«

      »Tja, das kennen wir«, sagte Renate geziert, »die materialistischen Ansichten der finanziell gesicherten Oberschicht!« Dann fiel sie unvermittelt wieder in ihre natürliche Umgangssprache zurück. »Sag mal, und an mich denkst du wohl überhaupt nicht, wie? Was soll denn jetzt mit unserem Zimmer werden? Bildest du dir ein, daß ich die Miete für uns beide allein tragen soll?«

      »Natürlich behältst du es«, antwortete ich prompt. »Du wirst leicht einen Ersatz für mich kriegen — aber vergiß nicht, im Herbst will ich wieder einziehen.«

      »Die Möglichkeit, daß ich mich an deinen Ersatz inzwischen gewöhnt haben könnte, ziehst du nicht in Betracht, wie?« fragte Renate.

      »Kaum zu glauben«, sagte ich. »Es wird dir schwerfallen, ein Wesen zu finden, das es in Sachen Ordnungsliebe, Gutmütigkeit, Anpassungsfähigkeit, Kameradschaftlichkeit und so weiter mit mir aufnehmen kann.«

      Renate äußerte kein Wort zu dieser Rede. Sie trat schweigend zum Fenster und öffnete es weit. Ich war viel zu vorsichtig und durch Erfahrung gewitzt, um sie nach dem Grund ihres Tuns zu fragen; ich wußte überdies, was diese Geste zu bedeuten hatte: Eigenlob stinkt!

      »Für den Fall, daß du keine passende Zimmergenossin findest«, beeilte ich mich zu versichern, »bin ich natürlich bereit, meinen Anteil der Miete weiter zu zahlen — ich kann’s mir ja jetzt schließlich leisten.«

      Renate setzte sich auf die Kante unseres einzigen Tisches und zündete sich eine Zigarette an. »Was reizt dich so an diesem Angebot, Sonja?« fragte sie. »Das Geld?«

      »Ja und nein.«

      »Nun erzähl mir bloß nicht, daß du die Stelle aus soziologischem Interesse annehmen willst!«

      »Auch nicht — oder nicht in der Hauptsache! Hör gut zu, Renate, vor meinen Augen wäre um ein Haar ein Mord geschehen — was heißt, vor meinen Augen? Ich selbst hätte um ein Haar einen Mord begangen. Ist das nicht furchtbar?!«

      »Jedenfalls sollte es Grund genug für dich sein, dich aus dem Fernsehmilieu zurückzuziehen.«

      »Blödsinn!« sagte ich grob. »Wie kannst du so daherreden! Du weißt genausogut wie ich, daß die Leute vom Fernsehen an diesem Zwischenfall bestimmt nicht schuld sind!«

      »Nicht die Leute im allgemeinen, Sonja, aber irgendeiner muß es doch gewesen sein, der den Revolver vertauscht hat, nicht wahr?«

      »Eben, ganz meine Meinung. Und das will und werde ich herausfinden.«

      »Warum?«

      »Fragst du das im Ernst?«

      »Na klar. Hast du vor, dich für die polizeiliche Laufbahn zu qualifizieren?«

      »Renate!