Der Schatten des anderen. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718551
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Nummer drei, kam also als letzte mit meiner Aufgabe dran und durfte erst mal zusehen, wie sich die anderen bewährten.

      Der Quizmaster verschwand, seine Assistentin Gaby weihte den ersten Kandidaten, unseren jungen Mann, in seine Aufgabe ein. Er sollte sich in die Rolle eines abgewiesenen Freiers der Prinzessin Turandot versetzen, die ihm noch eine Frage stellen würde, mit der er, wenn er schlau war, sein Leben retten konnte.

      Das Orchester Bert Bünger intonierte einige Takte aus Puccinis Oper »Turandot«, der Vorhang vor der Hinterbühne ging auseinander und gab einen prächtigen asiatischen Krönungssaal frei. Auf dem wunderbar vergoldeten Thronsessel in der Mitte saß die verschleierte Prinzessin Turandot, von schönen, wenig bekleideten Sklavinnen umgeben. Zwei athletische Männer in Pumphosen, Schnabelschuhen und kräftigen braungeschminkten Oberkörpern packten unseren jungen Mann und zerrten ihn vor den Thron der Prinzessin. Das Publikum brüllte vor Lachen, denn unter dem weitwallenden Gewand Prinzessin Turandots waren Herrenhosen und Lackschuhe zu sehen — offensichtlich hatte Hans Ullrich Garden es sich nicht nehmen lassen, diese Rolle selbst zu übernehmen nach dem Motto: »Laßt mich den Löwen auch spielen.« Beim Publikum kam diese Idee glänzend an, das Gelächter und Geschrei war so laut, daß es eine Weile dauerte, bevor die Prinzessin sprechen konnte. Sie — oder vielmehr Hans Ullrich Garden — tat es mit einer so komisch verstellten Fistelstimme, daß wieder lauter Jubel losbrach. Ich spürte förmlich, wie diese weitere Verzögerung und das Geschrei des Publikums an den Nerven des jungen Mannes, der sich im kombinierten Sackhüpfen und Eierlaufen hervorgetan hatte, riß.

      Endlich hatte sich das Publikum soweit beruhigt, daß Prinzessin Turandot die Frage stellen konnte. »Du weißt, daß du deinen Kopf verwirkt hast, o Jüngling«, lispelte Hans Ullrich Garden in höchsten Tönen, »aber weil du mir gefällst, sollst du eine Chance haben. Rate, wie du sterben wirst. Überlege dir gut, was du sagst, o Jüngling, denn falls du dich irrst, wirst du gehängt, falls du aber die Wahrheit errätst, wirst du nur geköpft.«

      Trotz der verwirrenden Fragestellung war die Lösung höchst einfach, und ich wußte sie, kaum daß Prinzessin Turandot ihre Frage ausgesprochen hatte. Der junge Mann mußte natürlich sagen, er würde gehängt, dann konnte man ihn nicht hängen, weil er sonst die Wahrheit gesagt hätte. Köpfen lassen konnte die Prinzessin ihn aber auch nicht, weil er dann die Unwahrheit gesagt hätte und gehängt werden mußte.

      Dem jungen Mann fiel die Lösung nicht ein. Prinzessin Turandot stellte ihm noch zweimal dieselbe Frage, er stammelte und versuchte, Zeit zu gewinnen. Der Gong ertönte, unser junger hoffnungsvoller Mann war mit Glanz durchgefallen.

      Hans Ullrich Garden sprang von seinem Thronsessel, riß sich den Schleier vom Gesicht, die wallenden Gewänder vom Leib, empfing den brausenden Beifall des Publikums und tröstete den jungen Mann mit ein paar netten Worten. Die Assistentin Gaby maß die Lautstärke des Beifalls, und es stellte sich heraus, daß der junge Mann immerhin noch zwei Punkte bekommen hatte, und zwar mit Recht, denn seine Darstellung hatte so verstört gewirkt, als wäre es wirklich um seinen Kopf gegangen.

      Wieder verschwand der Quizmaster, der Vorhang von der Hinterbühne hatte sich geschlossen, die Assistentin Gaby weihte das Publikum in die Aufgabe ein, die dem Senior unserer Gruppe bevorstand. Er bekam einen Tropenhelm auf den Kopf gestülpt, und Gaby erklärte ihm, daß er sich in die Lage eines Mannes versetzen solle, der sich in der Wüste verirrt hätte. Gleich würde er zwei Beduinen begegnen, die ihm den Weg zur nächsten Oase weisen würden, wenn er imstande sei, ihnen den Gefallen zu tun, um den sie ihn bäten.

      Der Kandidat schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Er zeigte keinerlei Besorgnis, sondern schmunzelte vergnügt in sich hinein, und als der Vorhang aufging und wahrhaftig zwei Männer als Beduinen verkleidet auf zwei lebenden Kamelen langsamen Schrittes in einer Wüstenlandschaft daherkamen, stimmte er in das Gelächter des Publikums ein. Der Auftritt, bei dem man wieder Hans Ullrich Gardens Hosen unter dem Burnus hervorblicken sah, war wirklich ungemein komisch. Das Publikum schien besonders über die lebendigen Kamele ehrlich begeistert, aber ich konnte nicht umhin, mir die Frage zu stellen, ob soviel Aufwand zur Illustrierung einer simplen Scherzfrage nicht doch übertrieben war. All die Spiele, die Hans Ullrich Garden heute abend mit uns Kandidaten für das Publikum angeregt hatte, waren mir noch aus meiner Kinderzeit in guter Erinnerung, als wir an dergleichen Kurzweil, besonders an Geburtstagen, viel Spaß gehabt hatten — ohne daß uns dabei Kamele oder kostbare Dekorationen vonnöten erschienen waren.

      Die beiden Beduinen sprachen mit einem höchst albernen und belustigenden Kauderwelsch auf den Kandidaten ein, und es dauerte eine Weile, bis er die Frage, die sie ihm stellten, überhaupt verstand. Die Wüstensöhne gaben vor, miteinander gewettet zu haben, wer das langsamere Kamel besäße, aber bisher hatten sie diese Frage noch nicht lösen können, weil natürlich jeder dem anderen ständig den Vortritt ließ.

      Kaum, daß der Kandidat die Frage verstanden hatte, platzte er auch schon wie aus der Pistole geschossen heraus: »Na, dann wechselt doch die Kamele!«

      Hans Ullrich Garden sprang vom Kamel, pellte sich aus seiner Beduinentracht, nahm den Beifall des Publikums entgegen und gratulierte zu der richtigen Antwort. Auch der Beifall des Publikums war für unseren Senioren so groß, daß er zwei Punkte dazu, also im ganzen vier Punkte, bekam, obwohl meiner bescheidenen Ansicht nach seine darstellerische Leistung tatsächlich unter dem Nullpunkt gelegen hatte. Aber anscheinend hatte das niemand gestört.

      Jetzt also kam ich selbst an die Reihe, und während der Vorhang wieder zufiel und Hans Ullrich Garden sich verzog, erklärte Gaby mir und dem Publikum, um was es ging. Ich sollte mich in die Lage einer jungen Dame versetzen, die mutterseelenallein auf einer Reise durch den Wilden Westen unterwegs wäre. Gaby stülpte mir eine Art Cowboyhut auf und band mir einen breiten Gürtel um die Taille — eine Verkleidung, in der ich, nach dem Gelächter des Publikums zu urteilen, sehr komisch aussehen mußte.

      »Wir haben ein kleines Hotelzimmer für Sie aufgebaut«, erklärte Gaby, »Sie brauchen nichts zu tun, als sich auf das Bett zu setzen und in dem Schmöker zu lesen, der auf Ihrem Nachttisch liegt. Aber Sie müssen ständig auf der Hut sein, denn Billy Rock, der Mädchenkiller, treibt sein Unwesen in dieser Gegend. Leider läßt sich die Tür Ihres Zimmers nicht abschließen, davon können Sie sich selbst überzeugen. Falls jemand an die Tür klopft, dürfen Sie auf keinen Fall ‚herein’ rufen, denn jeder, den Sie nicht kennen, kann ja der Mädchenkiller sein. Dieser Bursche wird sich aber durch eine unglaubhafte Behauptung selbst entlarven. Sie brauchen also nur aufzupassen. Falls Sie sicher sind, Billy Rock vor sich zu haben, greifen Sie nach der Pistole — sie liegt in Ihrer Nachttischschublade — und schießen auf ihn. Übrigens brauchen Sie keine Angst zu haben, es handelt sich natürlich nicht um eine echte Pistole, sondern nur um eine ganz harmlose Attrappe aus Kunststoff… Haben Sie alles verstanden?«

      »Danke«, sagte ich.

      Der Vorhang auf der Hinterbühne ging auf, ich setzte mich auf das quietschende Bett in der anheimelnden, gemütlichen Hoteldekoration und begann, laut Regieanweisung, in dem Schmöker zu blättern. Ich brauchte nicht lange zu warten, da klopfte es an die Tür.

      Natürlich hielt ich den Mund, und es klopfte gleich darauf lauter. Langsam, ganz langsam öffnete sich die Tür einen Spalt breit — es war wirklich fast gruselig —, und ein merkwürdiges Instrument schob sich ins Zimmer. Es zuckte mir in den Händen, nach der Pistole zu greifen, aber vorsichtshalber blieb ich ganz still sitzen, und wenige Sekunden später war ich sehr froh darüber. Das merkwürdige Instrument war nämlich nichts weiter als eine Flitspritze, und obwohl Hans Ullrich Garden alles getan hatte, um sich als verdächtiges Individuum zu maskieren — er trug eine schwarze Augenbinde und kaute unentwegt auf einem Kaugummi herum —, begriff ich, daß er nichts anderes darstellen sollte als einen Texas-Zimmerkellner.

      »Ich komme nur, um ein bißchen zu töten«, sagte er mit schleppender Stimme und schiefverzogenem Mund — das Publikum brüllte vor Lachen, und unter brausendem Beifall zog Hans Ullrich Garden sich nach einer Weile zurück.

      Wenige Sekunden später erschien er wieder, diesmal ohne anzuklopfen — er hatte sich in Windeseile in einen Sheriff verwandelt —, stieß die Tür mit sieghaftem Fußtritt auf und grölte: »Fremdenkontrolle!«

      Er