Skelett des Grauens. Martin Willi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Willi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783907301210
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Ich werde sie wohl besuchen müssen oder zu einer Befragung aufbieten.

      Sie schüttelte den Kopf, in diesem Moment trat Erwin in ihr Büro und sah, wie nachdenklich und auch traurig Petra in die Welt hinaus schaute. «Was ist denn mit dir los?»

      Die Kriminalkommissarin fuhr durch ihre fülligen Haare, auf die sie selbst recht stolz war. Sie streckte sich und drehte sich dann langsam um: «Weisst du was, Erwin. Eigentlich haben wir doch einen richtigen Scheissjob, wir kommen immer zu spät. Wir werden erst gerufen und benötigt, wenn es zu spät ist, wenn bereits alles geschehen ist. Wir sind immer nur da, um zu reagieren, aber wir können nicht agieren. Wir können nichts bewirken, wir machen eigentlich nur Schadensbegrenzung.»

      Erwin stand einige Sekunden nur stumm da, sagte dann aber: «So siehst du das?»

      «Komm, setz dich, ich muss dir was erzählen.»

      Nach den Ausführungen von Petra blieb Erwin einige Augenblicke wortlos. Es war für Petra ersichtlich, in welch angespanntem Zustand sich der sportliche und kräftige Körper Erwins befand. «Was meinst du?»

      «Ich denke», so begann Erwin zu sprechen, «dass es durchaus realistisch ist, dass es sich beim spurlos verschwundenen Mann um unser Skelett handelt. Das werden wir wohl relativ schnell herausfinden, denn wir wissen ja nun, wo wir suchen und ansetzen müssen. In der Tat ist die Reaktion von dieser Monika Oeschger jedoch als sehr seltsam einzustufen. Also entweder sie hat wirklich was mit dem Mordfall zu tun, oder sie weiss irgendetwas davon, das sie aber wohl nicht so freiwillig erzählen wird. Vielleicht kennt sie sogar den Mörder und versucht ihn zu decken.»

      «Okay, soll ich sie gleich nochmals anrufen?» Bereits ergriff sie mit ihrer rechten Hand den Telefonhörer und wollte die Wahlwiederholungstaste drücken.

      «Moment Petra, nicht so schnell.» Erwin stand auf und nahm ihr den Hörer behutsam aus der Hand. «Diese Monika Oeschger wird uns schon nicht davonlaufen, da habe ich keine Angst. Ich frage mich im Moment ganz was anderes.»

      Petra runzelte ihre Stirn, ihre Zornesfalten waren deutlich zu sehen und somit ein Ausdruck der Ernsthaftigkeit. Sie wusste nicht, was Erwin damit meinte.

      «Bist du nicht befangen, immerhin handelt es sich um die Cousine deines Lebenspartners.»

      Lebenspartner, ist Ulrich das wirklich für mich? Oder nur ein LAP, ein Lebensabschnittspartner? Wo liegt denn überhaupt der Unterschied? «Na und?»

      «Vielleicht, also ich meine … Petra, ich empfehle dir, den Fall abzugeben.»

      Petra glaubte ihren eigenen Ohren nicht zu trauen. Einen Fall abgeben, sie, die Kriminalkommissarin Petra Neuhaus? Was soll denn das, spinnt Erwin vollkommen? «Niemals, das kommt überhaupt nicht infrage! Das werde ich niemals tun. Nicht mal wenn Ostern und Weihnachten zusammen gefeiert werden.»

      Nach dem Mittagessen, das sie sich im Summertime unten an der Aare gegönnt hatte, begann Petra Neuhaus die Suche nach dem verschwundenen Mann. Sofort nach dem Gespräch mit Erwin verliess sie wütend ihr Büro, sie musste erst mal frische Luft schnappen, um wieder zur Ruhe zu kommen.

      Erwin spinnt wohl, mir so was vorzuschlagen. Der ist total durchgedreht. Ich werde nie im Leben freiwillig einen Fall abgeben, ganz bestimmt nicht. Das wird Erwin nie erleben! Jetzt wo sie wusste wo, wie und wann sie zu suchen hatte, so war es für sie nur noch eine Kleinigkeit. Tatsächlich gab es vor ziemlich genau zehn Jahren im Mettauertal eine Vermisstenanzeige. Eine gewisse Marlene Meyer gab diese auf und es handelte sich um ihren Schwager Christian Gautschi, der alleine auf einem Bauernhof lebte. Frau Meyers Mann hiess Robert Gautschi, sie hatte jedoch nach der Heirat ihren Mädchennamen behalten. Obwohl dies zu jener Zeit überhaupt nicht üblich war. Trotz intensiven Bemühungen der Ermittler blieb der vermisste Mann seinerzeit spurlos verschwunden.

       Christian Gautschi, bist du unser Skelett des Grauens? Wer hat dich auf dem Gewissen? Was hast du getan, dass dich jemand so bestialisch getötet hat? Das ist unmenschlich, das macht doch niemand. Aber scheinbar eben doch, der muss ja eine Wahnsinnswut auf dich gehabt haben. Es gibt doch einfachere Methoden, jemandem das Lebenslicht auszulöschen. Und wie bist du bloss vom Mettauertal nach Hirschthal gekommen?

       4)

      Das unmenschliche, das tierisch bestialische Verlangen, das in seinem ganzen Körper von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln zu verspüren war, trieb ihn bereits in den frühen Morgenstunden wie von einer Tarantel gestochen aus seinem Haus. Seine Arme und Beine spürten sich ausgesprochen nervös an, er hatte die allergrösste Mühe sich zu beherrschen. Beinahe keinen Körperteil vermochte er momentan unter Kontrolle zu halten, es war ihm, als würden Tausende von Ameisen auf ihm herumlaufen, auf ihm tanzen, mit ihm durch die Welt spazieren. Fast die ganze Nacht hatte er kein Auge zugetan, immer wenn er kurz vor dem Einschlafen war, so wanderten seine irren und lüsternen Gedanken an junge, zarte Menschenkörper. Rein und fein wie Gott sie schuf, mit einer Haut wie Samt und Seide, und noch nicht so verbraucht und runtergekommen wie die Frauen, die er zur Not im Rotlichtmilieu besuchen musste. Alte dreckige Schlampen waren das für ihn, die keine Achtung, keinen Anstand verdienten. Und so behandelte er sie auch, wie den letzten Dreck, das hatten diese Weiber verdient. Aber diese jungen Menschen, die so verspielt und ohne böse Gedanken durch das Leben gingen, die hatten es ihm angetan. Er sehnte sich danach, mit seinen Händen einen jungen Menschenkörper Zentimeter um Zentimeter zu streicheln, abzutasten und zu erforschen. Das Kind würde es bestimmt geniessen, es war für ihn unvorstellbar, dass dies nicht so sein würde.

      Wie auf einer atemberaubenden Achterbahn kreisten seine Gedanken umher, rauf, runter, links, rechts. Ein turbulentes waghalsiges Looping jagte das andere, er fühlte sich wie bei einem Ritt auf einem wilden Bullen. Er wusste es genau, heute war es wieder mal soweit, egal ob er wollte oder nicht, der Bulle musste geritten werden. Heute musste er seinen unbändigen Trieb stillen, er war gezwungen dazu, er vermochte sich nicht dagegen zu wehren. Unschuldig, ja er war unschuldig, er konnte ja nichts dafür, dass er von Gott so mit dieser speziellen Neigung erschaffen worden war. Das hatte doch bestimmt seinen Grund, diese Vorlieben, die ihn nötigten, mussten ausgelebt werden, er durfte dieses Verlangen nicht unterdrücken, das würde ihm nicht guttun.

      Nachdem er sein Vieh im Stall notdürftig und in Windeseile versorgt hatte, nahm er sein Auto und fuhr damit an diesem warmen Sommertag hinunter vom Hof an die Strasse, wo die Kinder bei der Bushaltestelle auf das Postauto warteten, das da in wenigen Minuten kommen sollte. Schon von weitem hörte er, wie sie lachten, kreischten, wie sich die Mädchen über die Jungs lustig machten, wie die Knaben mit ihren sportlichen Leistungen prahlten. Einen bunten Ameisenhaufen voller Glückseligkeit vermochte er da vor seinem realen Auge zu erblicken.

      Er hielt inne, hinter einer grossen Linde ging er in Deckung und beobachtete die jungen Menschen. Oh ihr kleinen Luder, warum habt ihr heute wieder so kurze Röcke, so kurze enge Hosen, an? Wisst ihr nicht, wie ihr mich damit zum Wahnsinn treibt? Eure schlanken makellosen und unbehaarten Beine glänzen wie Gold in der Sonne, da muss mir doch das Wasser im Mund zusammenlaufen. Da muss mein Kumpel ja jucken und sich vor Geilheit aufrichten.

      Da sah er sie, das blutjunge Mädchen mit den von ihrer Mutter so liebevoll und gekonnt geflochtenen Zöpfen. Monika Oeschger hiess das hübsche Kind, er kannte sie, natürlich kannte er sie. In einem so kleinen Kaff kennt man einfach alle. Deshalb musste er ja so vorsichtig sein, niemand durfte von seiner für viele nicht nachvollziehbaren Neigung, von seinen Taten erfahren. In einer Grossstadt da wäre es ihm leichter gefallen, aber in so einem kleinen Dorf begab er sich bei jedem Fehltritt in grosse Gefahr entdeckt zu werden.

      In diesem Moment sah er das Postauto kommen. Er beobachtete wie der Bus anhielt, wie die Kinder einstiegen, wie sie fröhlich und artig den Chauffeur begrüssten, wie sie sich um die besten Plätze balgten und stritten.

      Tschüss meine kleine süsse Monika, ich wünsche dir einen schönen und fröhlichen Tag. Wenn du wieder kommst, so werde ich auf dich warten. Dein schwarzer Mann wird hier sein. Oh, ich freue mich auf dich, du kleines scharfes Ding. Ich kann es kaum erwarten, ich werde ganz schön lieb zu dir sein. Es wird so schön sein, dass