Damals war ich siebzehn. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718452
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diesen Umständen«, sagte er langsam, »wäre ich eigentlich doch sehr dafür, dass ihr beide zusammen wegfahrt.«

      »Aber sie will nicht! Gerade das versuche ich dir doch die ganze Zeit zu erklären!«

      »So weit sind wir also gekommen, dass wir uns von einem halben Kind tyrannisieren lassen«, sagte er bitter.

      »Das ist doch nicht neu. Als sie klein war, konnten wir ihr keinen Wunsch abschlagen. Und seit uns der Arzt gesagt hat, dass wir ihr jede Aufregung ersparen müssen, fassen wir sie sowieso nur noch mit Samthandschuhen an.«

      »Aber sie hat es nie ausgenutzt.«

      »Richtiger gesagt, sie hat gewusst, wo die Grenze liegt. Aber diesmal …« Magdalene Rott ließ ihren Satz unausgesprochen, zuckte die Achseln.

      »Hast du nicht versucht, ihr eine Reise schmackhaft zu machen?«

      Magdalene beugte sich vor, legte ihre Hand auf das Knie ihres Mannes. »Es ist ernst, Herbert, ganz ernst! Und wenn wir ihr alles Mögliche versprechen würden – ich fürchte, sie würde nicht nachgeben. Es käme zu Szenen, zu Aufregungen, die wir ihr ersparen sollten.«

      »Dann müssen wir es anders anfangen. Wir müssen erst mal herausbekommen, wer dahinter steckt. Traust du dir das zu?«

      »Ich kann es versuchen«, sagte sie zögernd.

      »Wenn dir das nicht mal gelingt …«

      »Du weißt, Herbert, wie viele Verpflichtungen ich habe.«

      »Die müssen jetzt zurückstehen. Du darfst das Kind nicht einen Augenblick mehr aus den Augen lassen. Entweder nimmst du sie mit, wenn du eingeladen bist, oder du bleibst zu Hause. Ich weiß, das wird langweilig für Evelyn sein, aber ich kann es ihr nicht ersparen. Wir würden es uns nie verzeihen, wenn sie sich ins Unglück brächte.«

      Magdalene Rott beobachtete in den nächsten Tagen ihre Tochter unauffällig.

      Evelyn schien es nicht aufzufallen, dass die Mutter sie keine zehn Minuten allein ließ. Oder wenn sie es doch merkte, so nahm sie es mit scheinbarem Gehorsam hin. Sie gab sich bescheiden, höflich, nett. Magdalene hätte glauben können, die Auseinandersetzung mit ihr geträumt zu haben, wenn nicht dieses Leuchten in den Augen ihrer Tochter gewesen wäre, eine Weichheit des Ausdrucks, ein inneres Glück, das sie auf keine Weise verbergen konnte.

      Dann, an einem Mittwoch, sagte Evelyn beiläufig beim Mittagessen, das Mutter und Tochter gemeinsam im holzgetäfelten gemütlichen Speisezimmer des Hotels einnahmen: »Heute Nachmittag möchte ich ein bisschen Schaufenstergucken gehen. Das heißt natürlich«, fügte sie lächelnd hinzu, »wenn du nichts dagegen hast, Mama.«

      »Im Gegenteil«, sagte Magdalene freundlich, »ich halte es sogar für eine gute Idee.«

      »Wirklich?« Evelyns Aufatmen war deutlich. »Ich denke, ich zieh’ dann so um drei Uhr los.«

      »Schön«, sagte Magdalene, und nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Ich komme gerne mit.«

      Evelyn errötete, sie öffnete den Mund, als ob sie etwas sagen wollte, presste aber sogleich wieder die Lippen zusammen.

      »Oder hast du etwas dagegen?« fragte Magdalene mit gespielter Arglosigkeit.

      »Nein«, sagte Evelyn. Und dann: »Aber ich dachte, du wärst mit der Gräfin Skada zum Pferderennen verabredet?«

      »Bin ich auch. Aber das werde ich natürlich rückgängig machen. Falls du dich nicht doch entschließt, uns zu begleiten.« Evelyn ließ den Bissen, den sie schon auf die Gabel gesteckt hatte, wieder auf den Teller sinken. »Mama«, sagte sie, »warum tust du das?«

      »Was, mein Liebling?«

      »Warum spionierst du auf Schritt und Tritt hinter mir her? Glaubst du, ich sei ein Baby, auf das man aufpassen muss?«

      »O nein. Aber ich habe mit deinem Vater über dich gesprochen. Und er ist genau wie ich der Ansicht, dass wir uns in letzter Zeit zu wenig um dich gekümmert haben. Das ist alles. Von Spionieren kann keine Rede sein.«

      Evelyn steckte den Bissen in den Mund. Sie kaute lustlos. Oberhalb ihrer Nasenwurzel prägte sich eine scharfe senkrechte Falte in ihre glatte Stirn.

      »Also, was ist dir lieber?« fragte Magdalene. »Dass ich dich begleite, oder …?«

      Evelyn schien zu einem Entschluss gekommen zu sein. »Entschuldige bitte, Mama«, sagte sie, »aber darf ich mal telefonieren?«

      Während Evelyn in die Halle ging, um anzurufen, bestellte Magdalene sich eine Tasse Kaffee. Sie bezweifelte keinen Augenblick, was dieses Telefongespräch bezweckte: Evelyn setzte sich mit dem jungen Mann, in den sie verliebt war, in Verbindung, um ihn nach seiner Meinung über die unerwartete Situation zu fragen.

      Evelyns sanft gerötete Wangen und das Strahlen ihrer Augen verrieten die Wahrheit von Magdalenes Vermutung.

      »Also gut, du kannst mich begleiten«, sagte sie fröhlich, als sie wieder ihrer Mutter gegenüber Platz nahm.

      »Hat er es erlaubt?« fragte Magdalene mit leichtem Spott. Evelyn errötete noch stärker. »Ich verstehe gar nicht, was du meinst, Mama.«

      Magdalene lächelte ihre Tochter versöhnlich an. »Macht nichts, Evelyn. Dafür verstehe ich um so besser.«

      Später zog Magdalene Rott sich eilig um, immer in der uneingestandenen Furcht, dass Evelyn ihr doch noch entwischen könnte. Es war ein milder Frühlingstag, und sie wählte ein blauleinenes Kostüm, das die Farbe ihrer tiefblauen Augen besonders gut zur Geltung brachte. Befriedigt musterte sie ihr Spiegelbild. Die schweren Sorgen, die auf ihr lasteten, hatten es wenigstens noch nicht fertig gebracht, ihre Schönheit zu zerstören.

      Evelyns Zimmertür war abgeschlossen.

      Magdalene klopfte. Sie atmete auf, als Evelyn von drinnen antwortete: »Augenblick, Mama! Ich bin gleich so weit!«

      Magdalene wollte nicht im Hotelflur herumstehen, und darum schritt sie die breite Treppe zur Halle hinunter, wählte sich einen Sessel, von dem aus sie Treppe und Lift gut im Auge behalten konnte.

      Sie achtete nicht auf die gläserne Drehtür, die zur Straße hinausführte, und so schrak sie zusammen, als sie sich angesprochen hörte. Sie fuhr herum und erkannte Helga Gärtner.

      »Entschuldige bitte«, sagte die Journalistin rasch, als sie das Entsetzen in Magdalenes Augen sah. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

      »Warum lässt du mich dann nicht in Ruhe?«

      Helga Gärtner ließ sich der früheren Freundin gegenüber in einen der bequemen Sessel sinken. »Du hast dich also verleugnen lassen?«

      Magdalene zögerte. Sie bereute ihren Ausbruch, suchte nach Worten, um ihre Nervosität zu erklären. Dann aber war das Bedürfnis, reinen Tisch zu machen, stärker als alles andere. »Ja«, sagte sie.

      Helga Gärtner zuckte mit keiner Wimper. »Das hatte ich mir gedacht.« Sie öffnete ihre schmale Aktentasche, fischte ein Zigarettenpäckchen heraus.

      »Warum verfolgst du mich?« fragte Magdalene scharf.

      Helga Gärtner zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch durch die Nase. »Das bildest du dir nur ein. Begreifst du denn nicht, dass ich dir nur helfen will?«

      »Du – mir?«

      »Ja. Ich habe etwas herausgebracht, von dem ich annahm, dass es dich interessieren würde. Wenn ich mich jedoch geirrt habe …« Sie machte eine Kunstpause, zuckte die Schultern. Magdalene beugte sich vor. »Über Udo?« fragte sie mit angstvoll gedämpfter Stimme. »Du hast dochl nicht etwa Nachforschungen angestellt, die …«

      »Unsinn!« sagte Helga Gärtner rasch. »Was traust du mir zu? Ich habe durchaus begriffen, dass du dieses Kapitel deines Lebens als abgeschlossen betrachtest. Gerade deshalb …« Sie unterbrach sich wieder, diesmal aber nicht, um Magdalene neugierig zu machen, sondern weil ihr erst jetzt voll bewusst wurde, wie sehr