Damals war ich siebzehn. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718452
Скачать книгу
begegnet sich doch immer irgendwo. Beim Tennis oder auf dem Golfplatz.«

      Er lächelte. »Wir sind hier nicht in Bombay.«

      »Wird hier etwa nicht Tennis gespielt?«

      »Doch. Und auch Golf. Aber ich bin nicht dabei. Ich bin nur, na ja, eben ein Unteroffizier. Ich verkehre nicht in Ihren Kreisen.«

      »Also ist es doch wie in Bombay«, sagte sie und schob die Unterlippe ein wenig vor, was ihr das Aussehen eines schmollenden Kindes gab.

      »Wahrscheinlich ist es auf der ganzen Welt so«, sagte er. »Entweder muss man einen Namen haben oder einen Titel oder einfach genügend Geld, um dazuzugehören.«

      »Ich finde, es kommt einzig und allein auf den Menschen an«, sagte sie impulsiv.

      »Ist das Ihr Ernst?«

      »Ja. Sie brauchen mich nicht so belustigt anzusehen. Ich weiß sehr gut, was ich sage. Und auch, was ich will.«

      »Ich glaube es Ihnen sofort.« Seine kräftigen dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Macht es Ihnen eigentlich Spaß, mich zu quälen? Sie wissen genau, wie gern ich Sie wiedersehen würde.«

      Sie legte ihre Hand auf den Ärmel seiner Uniformjacke und lächelte zu ihm auf. »Nicht bevor ich weiß – wie, wo und wann!«

      »Ist das Ihr Ernst?«

      Sie rümpfte ein wenig die Nase. »Erwarten Sie, dass ich als Dame noch deutlicher werde?«

      »Evelyn!«

      Ihre Augen wurden ganz ernst. »Halten Sie es mir niemals vor, bitte, niemals! Aber ich hätte es nicht ertragen, wenn wir so auseinander gegangen wären.«

      »Warum? Ich bin nur ein einfacher Unteroffizier, den man zu Ihrer Betreuung abkommandiert hat, weil Ihr Herr Vater keine Zeit hatte. Und Sie? Jeder, der Sie sieht, muss Sie doch lieben.« Evelyn schüttelte den Kopf. »Sie irren sich. Zugegeben, ich habe immer genügend Verehrer. Aber das ist es nicht, was ich suche.«

      Sie lächelte schon wieder, vertrauensvoll und ganz gelöst.

      Für Magdalene Rott wurden die ersten Wochen in der Bundesrepublik ein einziger Wirbel von Empfängen, Partys, Bridge nachmittagen, gesellschaftlichen Ereignissen aller Art. Man stürzte sich geradezu auf Oberst Rott und seine Familie, um ihnen das Einleben in der alten Heimat leicht zu machen, und Oberst Rott bat seine Frau und Evelyn, alle wichtigen Kontakte gut zu pflegen.

      Magdalene tat, was von ihr erwartet wurde. Sie lächelte, plauderte, hörte Komplimente, sagte Schmeicheleien, zog sich mehrmals am Tag um, machte sich mit äußerster Sorgfalt zurecht – möglichst dezent, um die anderen Damen nicht zu verärgern, aber immer noch blendend genug, um den Herren angenehm aufzufallen. Aber die Angst, die sie fast betäubte, ließ nicht einen Augenblick nach.

      Die wenigen Minuten der Besinnung, die ihr vergönnt waren, verbrachte sie oft damit, dass sie auf das Horoskop starrte, eine komplizierte indische Tuschzeichnung, die ihr Singh Ree vor ihrer Abreise überreicht hatte. Sie folgte den einzelnen Linien mit dem Finger, betrachtete den schwarzen Punkt, in dem sie alle zusammenfielen.

      Sie schloss die Augen, um nicht mehr sehen zu müssen. Aber es gab kein Entrinnen. Sie glaubte körperlich zu spüren, wie die Katastrophe, die sie zwanzig Jahre lang vor sich hergeschoben hatte, näher und näher auf sie zukam.

      Magdalene Rott vergrub, ohne es selber zu merken, die scharfgefeilten Nägel in den Handflächen.

      Wenn sie nur gewusst hätte, ob Helga Gärtner einen günstigen Einfluss auf ihr Schicksal hatte oder einen schlechten! Sie war so verständnisvoll gewesen. Sie hatte versprochen, zu schweigen. Aber konnte man ihr trauen?

      Magdalene Rott presste die Faust vor den Mund. Schon während ihres Gesprächs mit der alten Freundin hatte sie gewusst, dass sie alles falsch gemacht hatte. Sie hatte sich völlig in Helgas Hand gegeben. Sie konnte sie vernichen, ins Unglück stürzen, zugrunde richten mit einem einzigen Satz, einer einzigen boshaften Bemerkung.

      Nein, Helga Gärtner war keine Erpresserin!

      Magdalene Rott spürte selbst, dass sie sich in Hirngespinste verrannte. Aber die Angst vor der Mitwisserin blieb. Helga hatte immer gern und viel geredet. Lag die Gefahr nicht nahe, dass sie aus Unbedacht, vielleicht nur im sich wichtig zu machen, alles verriet? Siebenmal, seit Magdalene Rott in Godesberg lebte, hatte die Journalistin angerufen. Aber weil alle Gespräche über den Empfang und die Zentrale gingen, war es ihr leicht gewesen, sich verleugnen zu lassen. Aber wie lange konnte das noch gut gehen?

      Magdalene Rott saß, einen Frisiermantel über die Schultern geworfen, vor dem Toilettentisch und betrachtete das verhängnisvolle Horoskop. Aus dem Bad hörte sie ihren Mann, der unbekümmert vor sich hinpfiff, während er sich – zum zweiten Mal an diesem Tag – rasierte. Sie war so sehr in die schwarzen Striche, Kreise und Knotenpunkte vertieft, von denen sie glaubte, dass sie ihr Schicksal bedeuteten, dass sie es fast zu spät gemerkt hätte, wie Oberst Rott das Zimmer betrat. Hastig stopfte sie das Schriftstück in die halb geöffnete Schublade zurück, wandte sich, scheinbar mit konzentrierter Aufmerksamkeit, wieder dem Spiegelbild zu.

      Oberst Rott ließ sich nicht anmerken, ob er die Heimlichkeiten seiner Frau bemerkt hatte.

      »Na, wie lange brauchst du noch?« fragte er, während er sich die goldenen Manschettenknöpfe in das blütenweiße Smokinghemd zog.

      Sie sah ihn hinter sich im Spiegel – sein gut geschnittenes, ein wenig scharfes Gesicht, das die Sonne Indiens gegerbt hatte, die kräftigen, männlichen, zuverlässigen Hände –, und plötzlich überkam sie, nicht zum ersten Mal in ihrer Ehe, der brennende Wunsch, sich auszusprechen, die Last von ihrer Seele zu wälzen.

      »Herbert«, sagte sie mühsam.

      Er spürte ihre Erregung, blickte auf.

      »Was ist?« fragte er erstaunt.

      »Ich muss mit dir sprechen.«

      Sein Lächeln stand im Gegensatz zu der Besorgnis in seinen Augen.

      »Ja?«

      Sie rang die schmalen, empfindsamen Hände. »Ich habe solche Angst, dass du böse wirst …«

      Er trat mit einem Schritt dicht hinter sie. »Bin ich wirklich so ein Tyrann?«

      »Nein, das natürlich nicht. Nur, ich halte es nicht mehr aus!« Er schob seine Hand unter ihren Frisierumhang, streichelte zärtlich ihre Schulter. »Wenn’s weiter nichts ist, Liebes! Meinst du, ich hätte nicht selber längst gemerkt, dass man dir zu viel zumutet? Höchste Zeit, dass ich dich vor all diesen Gesellschaftshyänen schütze. Wir werden ein Programm aufstellen, dass …«

      Sein grenzenloses Vertrauen lähmte sie. »Das das wird auch nichts nützen, Herbert«, sagte sie schwach.

      »Aber ja doch! Pass mal auf, wenn ich erst mal anfange zu sieben – was glaubst du, wie wenig Leute hier für uns wirklich wichtig sind!«

      »Es ist nicht deswegen«, sagte sie, »du verstehst mich ganz falsch. Es ist etwas …« Sie stockte.

      »Ja?« sagte er erwartungsvoll.

      Sie sah im Spiegel den vertrauensvollen Blick seiner kühlen grauen Augen auf sich gerichtet, und wusste, dass sie es auch diesmal nicht über sich bringen würde, ihn so zu enttäuschen. »Diese Enge«, sagte sie erschöpft, »diese ganze kleinbürgerliche Atmosphäre!«

      Er lächelte mit fast väterlicher Nachsicht. »Wenn du an unsere Kreise in Bombay denkst – so groß ist der Unterschied doch gar nicht, jetzt sei mal ehrlich.«

      ›Aber dort war einfach nicht alles so beengt. Man hockte nicht so aufeinander. Es ist mir entsetzlich, Herbert …« Sie wandte sich zu ihm um, sah flehend zu ihm auf. »Ich halte es einfach nicht mehr aus, Herbert! Kannst du nicht um eine Versetzung einkommen?«

      Sein Gesicht verschloss sich. »Unmöglich. Ich habe ja gerade erst hier angefangen.«

      »Dann nimm doch Urlaub.«

      »Wie