Damals war ich siebzehn. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718452
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      Die drei überquerten mit den übrigen Passagieren, geführt von einer adretten Lufthansa-Stewardess, das Rollfeld. Schon waren sie so nahe, dass Helga Gärtner jeden Augenblick erwartete, von Magdalene erkannt zu werden.

      Da geschah etwas, womit sie nicht gerechnet hatte.

      Ein breitschultriger Herr in Zivil und ein junger Mann in blaugrauer Fliegeruniform – die Journalistin erkannte an den Rangabzeichen, dass er Unteroffizier war – kamen aus einem anderen Luftsteig und gingen geradewegs auf die Familie Rott zu. Begrüßung zwischen dem Herrn in Zivil und Oberst Rott und seinen Damen, in die der junge Mann in Uniform nicht einbezogen wurde.

      Blitzschnell begriff Helga Gärtner, dass Oberst Rott durch einen Kollegen vom Verteidigungsministerium abgeholt worden war. Sie drängte sich nach rückwärts durch die Halle zur Gepäckausgabe hin.

      Fast gleichzeitig mit ihr traf die kleine Gruppe vom Rollfeld ein, die beiden Herren ins Gespräch vertieft, Mutter und Tochter hinter ihnen, der junge Unteroffizier als Letzter. Er hatte das Handgepäck übernommen.

      Helga Gärtner eilte auf die Freundin zu. »Magda!« rief sie. »Magda!«

      Magdalene Rott blieb unvermittelt stehen. Sie starrte die Journalistin mit einem so verstörten Ausdruck an, als ob sie einen Geist und nicht eine sportlich gekleidete, lebhafte Dame vor sich sähe.

      Plötzlich packte sie Evelyn unter dem Arm und lief fast, das junge Mädchen mit sich zerrend, hinter den Herren her.

      Aber Helga Gärtner gab so leicht nicht auf, sie setzte sich in Trab. »Magda«, rief sie, »bleib doch stehen – kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin Helga Gärtner! Du musst dich doch noch erinnern! Ostpreußen – Königsberg …«

      Magdalene war so unvermittelt stehen geblieben, dass Evelyn gegen sie prallte, wobei ihr die Handtasche entfiel. Der Unteroffizier bückte sich sofort danach. »Ach Helga«, sagte Magdalene rasch, »entschuldige, aber ich …« Ihre geisterhafte Blässe wich flammender Röte.

      Helga Gärtner lachte unbefangen. »Natürlich, du konntest ja nicht damit rechnen, mich hier zu treffen! Ich hoffe bloß, du hast keinen Schock gekriegt!«

      »Nein, natürlich nicht«, sagte Magdalene mühsam, »nur mir ist nicht ganz gut, der Flug, weißt du – der plötzliche Klimawechsel …«

      »Ja, das ist auch schon allerhand«, warf Evelyn ein, »wenn man bedenkt, gestern früh waren wir noch in Indien …«

      Helga Gärtner streckte ihr die Hand hin. »Sie sind Magdalenes Tochter, nicht wahr?«

      »Ja, ich bin Evelyn.« Ihr Händedruck war kräftig.

      »Es war nett, dich wiederzusehen«, sagte Magdalene Rott mit einem verkrampften Lächeln, »aber wirklich – ich muss jetzt …« Sie machte eine Bewegung zu den Herren hin, die bei der Gepäckausgabe standen.

      »Ach, Unsinn!« sagte Helga Gärtner in dem leicht befehlshaberischen Ton, den sie sich als Junggesellin angewöhnt hatte. »Bis die eure Sachen zusammen haben, dauert es noch eine ganze Weile.«

      »Aber ich möchte doch …«

      »Die Gepäckstücke zählen kann ich genauso gut wie du, Mama«, erbot sich Evelyn, »du hast deiner Freundin bestimmt eine Menge zu erzählen.«

      »Ein kluges Kind« sagte die Journalistin, »komm, gehen wir in die Kantine und trinken einen Kognak zusammen, Magda.«

      »Aber mein Mann liebt es nicht, wenn ich ihn warten lasse.«

      »Ach, lass ihn doch ruhig allein fahren. Ich seh’s von hier aus, dass die Herren eine Menge zu fachsimpeln haben. Ich bringe dich nachher mit meinem Wagen nach Bonn.«

      »Wir wohnen in Godesberg«, sagte Evelyn, »Hotel Adler!« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »So long, Mama!« Sie nickte der Journalistin abschiednehmend zu.

      Helga Gärtner sah ihr nach, wie sie graziös davonschritt. Das schulterlange blonde Haar war sehr gepflegt.

      »Ein feenhaftes Kind«, sagte sie, »auf die wirst du noch sehr aufpassen müssen. Wie alt ist sie eigentlich?«

      »Siebzehn.«

      »Ein gefährliches Alter.« Sie schob ihren Arm unter Magdalenes Ellbogen, führte sie mit sich. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich mich freue, dich wiederzusehen!«

      »Ich auch«, sagte Magdalene Rott, aber sie fühlte sich wie ein Tier in der Falle.

      Helga Gärtner und Magdalene Rott hatten einen Tisch in einer der hintersten Ecken des Flughafenrestaurants gefunden. Die meisten Gäste saßen ganz vorn an den Fenstern.

      Für Magdalene Rott hatte die Situation etwas Unwirkliches, so, als ob sie alles, was jetzt geschah, schon einmal erlebt hatte. Sie sah die alte Freundin an und wusste genau, was gleich geschehen würde. Es wunderte sie nicht im Geringsten, dass es tatsächlich eintraf.

      »Die Bedienung ist grauenhaft«, sagte Helga Gärtner ungeduldig, »warte mal einen Augenblick. Ich geh’ zum Buffet und hol’ uns was. Du siehst aus, als ob du eine Stärkung dringend nötig hättest.« Sie klemmte sich die flache elegante Kollegtasche unter den Arm und ging zur Theke.

      Beinahe hätte Magdalene einem Impuls nachgegeben und wäre geflohen. Sie hatte sich schon halb erhoben, als ihr das Sinnlose dieses Versuches bewusst wurde.

      Resigniert ließ sie sich wieder sinken.

      Helga Gärtner hatte es sich in den Kopf gesetzt, mit ihr zu sprechen, und sie würde nicht locker lassen, bis sie ihren Vorsatz durchgeführt hatte.

      Helga Gärtner brachte ein kleines Tablett mit zwei Gläsern Kognak und einer Zigarettenschachtel. Ihr fröhliches Lächeln irritierte Magdalene Rott mehr als alles andere.

      »Na, wie habe ich das gemacht?« Helga drückte ihr ein Glas in die Hand. »Kipp ihn ’runter, er wird dir gut tun!«

      Gehorsam tat Magdalene, was von ihr erwartet wurde. Helga Gärtner schob ihr auch den anderen Kognak hin. Aber diesmal raffte Magdalene sich zum Widerstand auf.

      »Nein, danke. Ich habe genug.«

      Helga Gärtner gab sofort nach. »Na schön, dann trink’ ich ihn selber!« Sie ritzte die Zigarettenschachtel mit dem spitzgefeilten, gelbrot lackierten Daumennagel auf, schob sie über den Tisch. »Bitte, bediene dich.«

      »Danke. Ich rauche nicht.«

      Helga Gärtner nahm einen Schluck von ihrem Kognak, zündete sich eine Zigarette an, sagte lächelnd: »Du enttäuschst mich, Magda.«

      »Wieso? Ich verstehe nicht …«

      »Na, deshalb brauchst du doch nicht gleich zusammenzuzucken wie ein erschrecktes Kaninchen. Ich hatte bloß gedacht, du würdest dich wundern, dass ich plötzlich auftauche, und du würdest Hunderte von Fragen stellen.«

      Magdalene Rott zwang sich, der anderen in die Augen zu blicken. »Wozu? Wenn du dich nicht ganz und gar verändert hast, wirst du mir alles von selbst erzählen.«

      Helga Gärtner lachte unbekümmert. »Stimmt. Ich brenne sogar darauf.« Sie strich sich mit der Hand durch die braunen, kurz geschnittenen Locken. »Aber ganz ehrlich, findest du, dass ich mich sehr verändert habe?«

      Magdalene Rott zögerte. »Du siehst gut aus.«

      »Aber?«

      »Kein Aber. Nur – bitte, sei mir nicht böse –, ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie du früher ausgesehen hast. Wahrscheinlich werde ich alt. Ich fürchte, ich habe überhaupt vieles von früher vergessen.«

      »Das ist durchaus kein Zeichen der Verkalkung«, sagte die Journalistin immer noch lächelnd, »im Gegenteil. Man vergisst nur, was man vergessen will.«

      Magdalene Rott fuhr auf. »Was soll das heißen?«

      »Genau das, was ich gesagt habe. Wieso regt dich das