Mädchenwohnheim. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711719404
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die Gefahr überwunden zu haben, als Frau Tyssens Kopf wie ein Teufelchen aus dem Kasten hervorsprang.

      »Darf ich bitten!« rief sie.

      Angi drehte sich um, während Thomas gelassen weiterschritt.

      »Das gilt auch für Sie, junger Mann!« rief Frau Tyssen. Thomas konnte sich nicht länger taub stellen; wohl oder übel musste er umkehren.

      Frau Tyssen musterte ihn von Kopf bis Fuß aus ihren hellen, scharfen Augen und bildete sich ein Urteil. »Wir kennen uns noch nicht.«

      Thomas verlor nichts von seiner Sicherheit. Mit einer schwungvollen Verbeugung stellte er sich vor, während Angi die Leiterin angstvoll anblickte.

      »Thomas van Wiek also«, wiederholte Frau Tyssen, »darf ich Thomas zu Ihnen sagen? Wir pflegen die Freunde unserer Mädchen mit den Vornamen anzureden.«

      »Oh, bitte, es wird mir eine Ehre sein.«

      »Obwohl Sie eigentlich schon zu alt sind für diesen Kreis.«

      »Ich Bin Vierundzwnzing«, behauptete Thomas, der tatsächlich schon zwei Jahre älter war, aber das gab er nicht gerne zu.

      Frau Tyssen durchschaute ihn. Sie hatte schon vorher über ihn Bescheid gewusst, denn Angis Eltern hatten, wie das junge Mädchen ganz richtig vermutet hatte, von ihr verlangt, den Verkehr zwischen ihnen zu unterbinden. Doch Frau Tyssen hielt nicht viel von Verboten in Liebesangelegenheiten. Sie wusste aus Erfahrung, dass man mit ihnen fast immer das Gegenteil bewirkte, nämlich, dass die jungen Leute sich aus Trotz und um sich durchzusetzen nur noch enger aneinanderklammerten. So hatte sie es abgelehnt, mehr als die übliche Aufsichtspflicht zu übernehmen, und Angis Eltern hatten sich damit zufrieden geben müssen.

      Jetzt sagte sie nur noch: »Sie wissen, Thomas, dass Angi um neun Uhr im Bett sein muss.«

      »Es hat sich rumgesprochen.«

      »Dann wünsche ich Ihnen beiden noch einen netten Abend.« Und damit waren sie entlassen.

      Der Aufenthaltsraum war ein rechteckiger Saal, an dessen Längsseite hohe französische Fenster auf einen Garten hinausgingen, was ihm eine luftige, heitere Note gab. Jetzt waren die Abende noch zu kühl, um sie draußen zu verbringen; deshalb waren die Fenster geschlossen. Aber die Vorhänge waren nicht zugezogen, und das helle Frühlingsgrün von Bäumen und Büschen schimmerte im Schein des elektrischen Lichtes. Auf der gegenüberliegenden Seite war der Schalter für die Essensausgabe und der Zugang zur Küche. Im Hintergrund des Raumes stand auf einem Podest ein Farbfernseher, der aber jetzt nicht angestellt war. Aus einer Stereoanlage flutete Unterhaltungsmusik.

      Da die Mädchen, die keinen Besuch hatten, es meistens vorzogen, sich auf ihren Zimmern aufzuhalten, andere auch ausgegangen waren, war nur ein Drittel der kleinen Tische besetzt. Mädchen und Jungen saßen zu Paaren oder in Gruppen. Nur wenige spielten Karten, die meisten plauderten, einige rauchten, und alle hatten etwas zu trinken vor sich stehen.

      Auch Angi und Thomas hatten sich aus dem Automaten vor der Tür jeder eine Flasche Cola gezogen.

      Alle blickten auf, als sie eintraten. Thomas van Wiek war durch seine hohe Gestalt, sein herausfordernd sicheres Auftreten und seine gepflegten Koteletten eine auffallende Erscheinung, die sich von den anderen Jungen abhob. Angi war stolz und beunruhigt zugleich. Mit einer besitzergreifenden Gebärde legte sie ihre Hand auf seinen Arm und steuerte ihn an einen Tisch, der weit von den anderen besetzten Tischen entfernt war. Sie sah wohl, dass Lola, die mit Philip zusammensaß, sie heranwinkte, aber sie dachte nicht daran, der Aufforderung zu folgen. Es war ihr egal, ob Lola das übel nahm; sie wollte mit Thomas allein sein. Auch Thomas hatte es beobachtet. »Wer ist denn das?« fragte er, setzte sich und schlug die langen Beine übereinander.

      Angi stellte sich dumm. »Wer?«

      »Das Mädchen, das dir zugewinkt hat. Die mit dem dunklen Lockenkopf.«

      »Ach«, sagte Angi wegwerfend, »das ist Lola. Die wohnt mit mir auf dem Zimmer.«

      »Ihr haust also zu dritt?«

      »Du weißt?«

      »Liegt doch auf der Hand. Die kleine Schöne, die du mir gestern geschickt hast …«

      »Gitte ist keine Schönheit«, erklärte Angi hitzig, »sie wirkt bloß so!«

      Er lachte, wollte trinken, musste weiterlachen und verschluckte sich.

      »Ich möchte bloß wissen, was daran so komisch ist«, sagte sie wütend.

      »Du!« Er tätschelte ihre Hand. »Nun setz mal ein anderes Gesicht auf, ja? Vergiss nicht, dass ich zu meinem Vergnügen hier bin.«

      »Ach, Tom«, sagte sie in verändertem Ton, »ein schönes Vergnügen! Gib zu … ist es nicht fürchterlich hier?«

      »Kann ich nicht finden. Bisschen jugendfrei, ja, aber sonst doch ganz annehmbar.«

      »Ich möchte so gern mit dir allein sein.«

      »Mein liebes Kind, du weißt, dass wir uns genau das nicht erlauben können. Du bedeutest mir viel. Aber ins Kittchen möchte ich deinetwegen doch nicht wandern. Das fände ich entschieden übertrieben. Wir müssen warten, bis du nicht mehr unter Naturschutz stehst.«

      »Als wenn ich darauf aus wäre!« Um ihre Verlegenheit zu überspielen, schüttelte sie ihre rotblonde Löwenmähne. »Ich möchte einfach mit dir wo sein, wo man sich gemütlich unterhalten kann. Hier sitzt man doch wie auf dem Präsentierteller.«

      Sie hatte kaum ausgesprochen, als ein zierliches Mädchen auf ihren Tisch zukam. Mit ihren dunkelblauen Augen, dem schwarzen, glatten, in der Mitte gescheitelten Haar sah sie wie eine kleine Madonna aus. Aber der Schein trog; sie war ein ausgesprochen kesses Persönchen.

      »Darf ich mich zu euch setzen?« fragte sie und schenkte Thomas einen koketten Blick unterlangen, seidigen Wimpern her.

      »Nein«, sagte Angi.

      Aber es war zu spät; die andere saß schon. »Ich heiße

      Jane«, erklärte sie.

      Thomas stellte sich vor. Angi blieb stumm und presste die Lippen zusammen. Das störte Jane durchaus nicht. Sie beachtete Angi gar nicht, sondern redete vergnügt auf Thomas ein, und er ließ sich auch bereitwillig in ein Gespräch hineinziehen. Etwas anderes hätte er auch gar nicht tun können, ohne ausgesprochen unhöflich zu wirken. Aber dazu sah er keinen Anlass.

      »Es ist schon halb neun«, sagte Angi endlich.

      Jane griff das Stichwort sofort auf. »Ach so, du gehörst zu den Kleinen, ja? Musst um neun im Bett sein! Lass dich nur nicht aufhalten. Wir plaudern noch ein bisschen, ja, Tom?«

      »Tom!« sagte Angi beschwörend.

      Jane lächelte. »Du brauchst keine Angst zu haben, Baby, ich gehe schonend mit ihm um.«

      »Tom!«

      »Wir könnten noch ein bisschen ausgehen, Tom«, schlug Jane vor, »wie wär’s?«

      »Keine schlechte Idee«, sagte er heiter, »falls du mich einlädst. Ich bin nämlich gerade ein bisschen schwach auf der Brust.«

      Jane krauste die Nase. »Ich fürchte, das kann ich mir nicht leisten.«

      »Schade. Dann ein andermal.« Thomas stand auf und begleitete Angi in die Halle hinaus.

      Sie kochte. Aber sie war klug genug, es sich nicht anmerken zu lassen. Mit einem Lächeln zu Frau Tyssen zog sie ihn rasch auf die Straße hinaus.

      »Wann sehen wir uns wieder?« fragte sie, dicht vor ihm stehend.

      »Ich erwarte in den nächsten Tagen eine größere Summe. Dann können wir wieder mal auf die Pauke hauen. Falls überhaupt eine Möglichkeit besteht, dass du hier rauskannst. Bis neun geht nichts.«

      »Oh doch, Tom, nur keine Sorge. Das mache ich schon.«

      »Na dann.« Er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie.

      »Ab