Mädchenwohnheim. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711719404
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hielt mitten in der Bewegung inne. »Woher weißt du?«

      »Man sieht’s dir an«, erwiderte Gitte mit einem Lächeln.

      »Du, dieser Fips ist wirklich ganz große Klasse.« Lola zog sich weiter aus. »Der würde sogar dir gefallen. Ehrlich, ich bin schwer verliebt … was heißt verliebt, es ist die ganz große Liebe, du brauchst gar nicht zu grinsen.« Lola lief splitternackt hin und her und räumte ihre Sachen fort. »Er hat nur einen einzigen Fehler: er wohnt im Sankt-Josef-Heim.«

      »Na und?«

      »Das fragst du noch?« Lola begann am Waschbecken ihr Gesicht mit Watte und Lotion zu bearbeiten. »Die dürfen da doch kein Mädchen mit raufnehmen, wie wir hier keine Jungen!«

      »So weit seid ihr also schon?« fragte Gitte.

      Gleichzeitig ließ sich Angi, die Neue, aus dem dritten Bett vernehmen: »Warum eigentlich nicht?«

      Lola wandte sich zunächst an die Freundin: »Natürlich nicht. Wofür hältst du mich? Aber früher oder später wird es so weit sein, das liegt doch in der Natur der Dinge, und schließlich macht man sich Gedanken.«

      Sie schlüpfte in ihr geblümtes Nachthemd und war mit einem Satz im Bett.

      »Und was deine Frage betrifft, meine liebe Angi, so ist sie nicht einmal so blöd, wie sie klingt.

      Höre und staune: Es hat Zeiten hier in unserem trauten Heim gegeben, wo die Jungens mit auf die Zimmer rauf durften.«

      Angi richtete sich auf den Ellbogen auf. »Tatsache?«

      »Mein Wort drauf. Allerdings bloß bis zehn Uhr. Aber das war ja auch noch besser, als in die hohle Hand gespuckt.«

      Gitte knipste ihre Nachttischlampe aus. »Das war ganz zu Anfang. Frau Tyssen hat’s verboten, nachdem ein paarmal welche in den Betten erwischt worden sind.«

      »Es ist immer das Gleiche«, fügte Lola philosophisch hinzu, »die Vernünftigen müssen unter der Blödheit der anderen leiden.«

      Es wurde sacht an die Tür geklopft, und Fräulein Zöllner trat ein. »Alle Mann an Bord?« fragte sie freundlich. »Dann wünsche ich euch eine recht gute Nacht.«

      »Gute Nacht, Fräulein Zöllner«, sagten Gitte und Lola gleichzeitig.

      »Pass auf, was du träumst, Angi«, riet Fräulein Zöllner. »Es ist zwar ein Aberglaube, dass das, was man in der ersten Nacht träumt, in Erfüllung geht, aber manchmal kommt doch was ganz Lustiges dabei heraus.« Sie knipste das Deckenlicht aus und machte die Tür hinter sich zu.

      Die drei Mädchen lagen im Dunkeln.

      »Wo geht die jetzt hin?« fragte Angi.

      »Halt die Klappe«, sagte Lola grob, »wir wollen endlich schlafen.«

      »Nun sei doch nicht so«, wies Gitte sie zurecht, »schließlich bist du als Letzte gekommen.«

      Lola rollte sich auf die Seite. »Wenn du noch mit der Neuen quatschen willst … von mir aus. Aber mich lasst gefälligst in Ruhe.« Sie war ein ganz klein bisschen eifersüchtig, weil Gitte und Angi sich anscheinend schon angefreundet hatten. Aber dann dachte sie an Fips, und es wurde ihr warm ums Herz. Alles andere war ganz unwichtig, löste sich in ein Nichts auf. Sie träumte von dem großen, blonden Jungen und dem Glück, das sie gemeinsam erleben würden. Die beiden anderen Mädchen unterhielten sich wispernd.

      »Die Zöllner geht nach Hause«, flüsterte Gitte.

      »Wohnt sie nicht hier?«

      »Nur die Tyssen. Die hat eine eigene Wohnung. Im ersten Stock. Zum Garten raus. Sehr schön. Aber da kommen wir so gut wie nie rein.«

      »Warum nicht?«

      »Warum ja? Erstens haben wir da nichts zu suchen, zweitens wird sie nach ihrem Dienst die Nase voll von uns haben, und drittens lebt sie da mit ihrem Sohn.«

      »Sie hat einen Sohn?«

      »Mach dir bloß keine falschen Hoffnungen. Für den sind wir tabu.«

      »Besten Dank. Kein Bedarf.« Eine Weile war Angi still. Dann fragte sie: »Und wer ist jetzt an der Pforte?«

      »Niemand.«

      Angi richtete sich jäh auf. »Im Ernst?«

      »Glaubst du etwa, ich verkohl’ dich?«

      »Nein, natürlich nicht«, beeilte Angi sich zu versichern, »bloß … ich bin so überrascht. Und ist das jede Nacht so? Dass niemand an der Pforte ist?«

      »Ja. Nach elf Uhr kann man nur noch mit dem Schlüssel rein. Willst du sonst noch was wissen?«

      Aber Angi hatte genug gehört.

      »Nein«, sagte sie, »danke.«

      »Dann ist es ja gut. Schlaf also.«

      »Du auch«, sagte Angi.

      Aber sie war viel zu aufgeregt. Ihr war eine Idee gekommen, wie sie auch ohne Hausschlüssel und ohne Erlaubnis nachts ausgehen konnte. Während die tiefen, gleichmäßigen Atemzüge der Zimmergenossinnen verrieten, dass sie schon eingeschlafen waren - Lola schnarchte sogar leise -, arbeitete Angi die Einzelheiten eines abenteuerlichen Plans aus.

      2

      Gitte, Andreas und drei andere junge Leute arbeiteten als Lehrlinge im biologisch-chemischen Institut Professor Hamburgers. Ihre Aufgabe - oder vielmehr die der Angestellten, die sie vorläufig nur darin unterstützen durften - bestand darin, Abstriche, Blut- und Urinproben, die von Ärzten eingereicht wurden, zu untersuchen. Es musste festgestellt werden, welche Bakterien sie enthielten und ferner, auf welches Medikament diese Bakterien ansprachen.

      Das war eine Arbeit, zu der man viel Geduld und auch Intelligenz brauchte, weil sehr viel organische Chemie gelernt werden musste. Gitte war nach dem Besuch der Volksschule zuerst in die Fabrik gegangen. Dort hatte es ihr nicht gefallen, und sie hatte in Abendkursen die mittlere Reife nachgemacht und war dann als Lehrling bei Professor Hamburger eingetreten.

      Man konnte diesen Beruf aber auch, wie Andreas es getan hatte, mit Volksschulabschluss beginnen. Er war jetzt im dritten, sie im zweiten Lehrjahr.

      Gitte war gern im Institut. Trotzdem wurde sie, als es auf den Spätnachmittag zuging, rechtschaffen müde: Die Bilder unter dem Mikroskop verschwammen ihr vor den Augen, und sie nahm sich vor, heute Abend nicht mehr so lange zu lesen.

      Sie atmete auf, als Feierabend war. »Gott sei Dank! Das wäre wieder mal geschafft!«

      »Du hast’s gerade nötig zu jammern!«

      Andreas hatte schon begonnen, seinen Platz aufzuräumen.

      »Was soll ich dann erst sagen?«

      Gitte lachte. »Warum musst du auch jeden Abend bummeln gehen?«

      Fräulein Schnell, eine der Büroangestellten, kam in das Labor, einen verschlossenen Umschlag in der Hand. »Gitte … Andreas«, sagte sie, »wer von Ihnen ist so nett, dieses Gutachten auf dem Heimweg bei Doktor Reinecker abzugeben? Er hat es wieder mal sehr dringend.«

      »Das ist eher was für Gitte«, sagte Andreas rasch.

      Gitte nahm den Umschlag entgegen. »Sieht dir wieder mal ähnlich, dich zu drücken.«

      »Von Drücken kann gar keine Rede sein! Ich möchte bloß den guten Doktor nicht enttäuschen.«

      »Jetzt spinnst du aber!«

      Die jungen Leute standen auf, gingen in den Umkleideraum und zogen ihre weißen Kittel aus.

      »Nicht die Bohne«, behauptete Andreas. »Der hat mich das letzte Mal ganz schön ausgeholt. Ehrlich.«

      »Über mich etwa?« Gitte merkte, dass sie rot wurde, und ärgerte sich fürchterlich.

      Andreas grinste. »Nur keine Bange. Ich hab’ ihm nichts verraten.«

      »Quatschkopf.«