Mädchenwohnheim. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711719404
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gut, wie ein nacktes Mädchen aussieht.« Sie wies auf das Waschbecken, über dem die Becher mit Lolas und ihrer Zahnbürste standen. »Wir waschen uns ja hier im Zimmer.«

      »Gibt es denn kein Bad?«

      »Es gibt Bäder. Aber nicht genug, dass wir sie alle zugleich jeden Morgen und jeden Abend benutzen könnten. Also wird’s eingeteilt.« Sie reichte Angi die Hand. »Ich heiße Gitte. Und ich hoffe sehr, dass du dich bei uns wohl fühlen wirst.«

      Angi erwiderte Gittes Händedruck, hielt aber den linken Arm immer noch krampfhaft über dem Busen. »Besser als zu Hause wird es hier allemal sein.«

      »Das kommt darauf an.« Gitte nahm ihre Mütze ab und schlüpfte aus ihrem Mantel, unter dem sie einen grauen Minirock und einen selbst gestrickten, rotweißen Pullover trug.

      »Auf was?« fragte Angi und schlüpfte rasch in einen ihrer Büstenhalter.

      »Wie es bei dir zu Hause ist.«

      »Grausam.«

      Lola stürmte herein; sie trug lange Hosen, einen gelben Pullover mit Schal, ein zierliches Mädchen mit bräunlicher Haut, einem dunklen Lockenkopf und schwarzen, glänzenden Augen. Sie arbeitete als Lehrling bei der Münchner Bankgesellschaft. Jetzt fiel ihr erster Blick auf Angi. »Eine Neue?« rief sie. »Das hat gerade noch gefehlt!«

      »Sei lieb zu ihr, Lola!« bat Gitte. »Sie ist ein Spatz, der gerade erst aus dem Nest gefallen ist.«

      Lola trat zu ihr. »Grüß dich, Gitte! Warum bist du nicht zum Essen gekommen? Ich habe unten auf dich gewartet!«

      »Darum!« Gitte wies auf ihr Paket. »Wir können uns einen gemütlichen Abend machen. Wein habe ich auch mitgebracht.«

      »Tut mir leid, Alte. Aber ich habe noch was vor.«

      Gitte hatte Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen.

      »Kenne ich ihn?«

      »Nicht die Bohne. Eine ganz neue Eroberung. Ein Traumjunge!« Lola stellte das Kofferradio an und tanzte auf dem kleinen Platz zwischen den Betten und Schränken. »Endlich der Richtige.«

      »Na dann viel Spaß«, sagte Gitte, »ich gratuliere.«

      Lola zog sich in Sekundenschnelle splitternackt aus, räumte Hosen und Pullover in den Schrank, tat Strümpfe und Unterwäsche in den Schmutzbeutel und versuchte dann, Angi wegzuschieben, die gerade vor dem Spiegel stand. Angi dachte nicht daran, ihr den Platz zu räumen. »Ich war zuerst da.«

      »Na, wenn schon. Räum’ erst mal auf.«

      »Aber ich will mich zurechtmachen!«

      »Bitte nach mir, mein Schatz!«

      »Ich kann das nicht so schnell, sonst wird es nichts!« protestierte Angi. »Ich muss auch noch die Augenbrauen zupfen, und um neun bin ich verabredet!«

      »Nimm den Taschenspiegel!« entgegnete Lola ungerührt; sie langte an Angi vorbei, drehte die Hähne auf und ließ Wasser in das Becken laufen.

      Gitte hob den Kuchen, den ihr die Mutter gebacken hatte, aus dem Karton. »Um neun Uhr kannst du nirgendwo mehr hin«, erklärte sie.

      Angi fuhr herum.

      »Und wieso nicht?«

      »Weil du Punkt neun Uhr im Bett liegen musst. Da ist die erste Kontrolle.«

      »Nein!« Angi war so fassungslos, dass sie beiseite trat.

      »Doch«, feixte Lola und wusch sich mit klatschendem Waschlappen, »wenn du erst fünfzehn bist, ist für dich um Punkt neun Uhr Zapfenstreich!«

      »Und du darfst weg?«

      »Bis elf! Weil ich siebzehn bin. Und Gitte ist achtzehn und kriegt sogar ’nen eigenen Hausschlüssel. Auch wenn du platzt, Kleine, das sind Tatsachen, mit denen du dich abfinden musst.«

      »Aber ich bin verabredet!«

      Die beiden anderen Mädchen sagten nichts dazu. Gitte ordnete die frische Wäsche ein, die die Mutter ihr geschickt hatte, und Lola plantschte mit Wasser und Seife. Während sie sich wusch und anzog, summte sie, pfiff und sang die Melodien mit, die Bayern zwei sendete.

      Angi kämpfte mit den Tränen.

      »Gitte«, bat sie mit erstickter Stimme, »bitte, leih mir deinen Hausschlüssel.«

      »Den Zahn«, sagte Lola herzlos, »kannst du dir gleich ziehn. Erstens bekommt sie den Schlüssel nur, wenn sie ihn braucht. Zweitens kämst du auch mit dem Schlüssel gar nicht an der Zöllner vorbei. Und drittens verstößt so was gegen die Hausordnung und kommt überhaupt nicht in Frage!«

      »Dich habe ich ja nicht gefragt!« sagte Angi giftig.

      »Sei froh, wenn ich dir trotzdem antworte! Nicht mal mir würde Gitte ’nen Hausschlüssel beschaffen, obwohl wir Freundinnen sind, und Recht hat sie, denn wer will schon hier herausfliegen? Ich jedenfalls nicht, und Gitte auch nicht.«

      Angi saß, die Hände zwischen den Knien, auf der Bettkante, und die hellen Tränen stürzten ihr aus den Augen. »Um neun Uhr Schluss … das ist ja mörderisch! Das ist ja noch viel schlimmer als zu Hause!«

      »Ja, so kann’s einem gehen!« Lola zog sich eine schwarze, hautenge Jerseyhose an und über den Kopf einen schwarzen, ärmellosen Pulli, in den silberne Fäden und, auf der Schulter, eine silberne Rose eingewebt waren. »Hättest dich eben vorher erkundigen sollen.«

      Gitte tat die Neue leid. »Sprich doch mal mit der Zöllner«, schlug sie vor. »Vielleicht gibt sie dir eine Sondererlaubnis.«

      »Ausgeschlossen!« erklärte Fräulein Zöllner. »Du bist gerade den ersten Tag bei uns und willst schon Sonderausgang haben? Das ist völlig ausgeschlossen.« »Aber gerade deshalb muss ich doch fort«, beharrte Angi, »weil ich erst heute gekommen bin, und weil mein Freund nicht weiß …«

      »Kannst du denn nicht mit ihm telefonieren?«

      »Nein.«

      Ein großes Mädchen in einem Fuchsfellmantel steckte den Kopf von der Tür her in die Wachstube. »Kann ich einen Schlüssel kriegen, bitte?« Sie trat herein. »Es wird sicher nicht so lange dauern, bloß zur Sicherheit.«

      Fräulein Zöllner holte einen Ring aus der Schreibtischschublade, an dem viele gleichartige Schlüssel hingen und löste einen ab. »Wäre auch besser, Marlis, du musst früh aus den Federn.«

      »Weiß ich doch, Fräulein Zöllner. Danke schön.« Marlis ließ den Schlüssel in der Tasche ihres Mantels verschwinden und wandte sich zum Gehen.

      »Viel Spaß!«

      Angi hatte den Vorgang mit Neid beobachtet. »Es ist für mich lebenswichtig, Fräulein Zöllner!«

      Die Aufseherin schlug einen Schnellhefter auf. »Tut mir leid, Angi. Deine Eltern bitten ausdrücklich …«

      »Meine Eltern!« schnaubte Angi.

      »Wenn sie Vertrauen zu dir hätten, könntest du auch schon mit fünfzehn einen Hausschlüssel kriegen. Aber gerade daran hapert’s, scheint mir. Dein Freund passt deinen Eltern nicht, und deshalb …«

      »Darüber möchte ich mit Ihnen nicht diskutieren!« Fräulein Zöllner lächelte nur. »Schade.«

      Eine Ausländerin kam herein, die in ein anderes Zimmer umziehen wollte, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich mit der Aufseherin verständigt hatte.

      Zwischendurch wandte sich Fräulein Zöllner wieder an Angi. »Du vertrödelst nur deine Zeit hier! Sicherlich bist du doch noch nicht mit Einräumen fertig!«

      Aber Angi blieb. Sie bat und bettelte weiter, als die Ausländerin endlich gegangen war. Fräulein Zöllner ließ sich nicht erweichen.

      Als Angi wieder nach oben kam, war Lola schon fort. Sie hatte sich, während Angi noch im Wachzimmer war, bei Fräulein Zöllner abgemeldet. Gitte saß allein am Tisch.