Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jurjen Albert Zeilstra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374063789
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Teile des Archivs des Ökumenischen Rates der Kirchen standen für diese Studie auf Mikrofichen zur Verfügung. Neben den Briefen gab es zahlreiche andere Quellengattungen: Analysen, Sachdokumente, aber auch Überlegungen, Predigten und Vorträge.28 Viele der Letzteren mündeten schließlich in Veröffentlichungen, darunter fünf große und zehn kleinere Bücher und zahlreiche Artikel, von denen einige als eigene Drucke zusammengefasst wurden.29

      Eine kritische Vorfrage ist, wie die zahlreichen Quellen zu uns gekommen sind. Wer hat sie gesammelt und zu welchem Zweck? Bezüglich der Quellen im Archiv des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf ist die Antwort einfach. Visser ’t Hooft selbst hat als Generalsekretär mit seiner Sekretärin das Archiv aufgebaut.30 Allerdings gewinnt man als Archivnutzer den Eindruck, dass alles, dem man irgendeine Bedeutung zumaß, aufbewahrt wurde. Neben dem umfangreichen Korrespondenzarchiv des Generalsekretärs selbst, in dem die Trennung zwischen beruflicher und persönlicher Korrespondenz schwierig ist, gibt es zahlreiche Unterarchive in Bezug auf Unterabteilungen des Ökumenischen Rates der Kirchen und projektbezogene Archive. Viele dieser Unterlagen wurden kürzlich neu geordnet und zugänglich gemacht. Es blieb viel erhalten, aber trotz der vielen Quellen ist das Leben von Visser ’t Hooft nur in Fragmenten, Eindrücken und Teilaspekten zugänglich. Die führende Hand von Visser ’t Hooft hat selbst eine wichtige Rolle gespielt. Er entschied, was bewahrt werden soll. Der Biograf muss deshalb zurückhaltend sein, wenn es darum geht, die Lücken zu schließen. Die Auswahl der Quellen orientierte sich an der Zielsetzung der Studie, wobei die niederländischen Kontakte von Visser ’t Hooft besondere Berücksichtigung fanden.

      Zusätzlich zu den schriftlichen und gedruckten Quellen hat der Autor eine Reihe von Gesprächen mit Personen geführt, die Visser ’t Hooft persönlich als Vater, Schwiegervater, Großvater, Onkel, Ratgeber oder Freund kannten. Es war nicht schwer, Menschen zum Reden über Visser ’t Hooft zu bringen. Meistens kamen sofort viele lebhafte Eindrücke zur Sprache. Dies gilt mit Sicherheit für seine Tochter Anneke Musacchio-Visser ’t Hooft, für seine Schwiegertochter Patricia Adams Visser ’t Hooft-Jenkins, seine Nichte Clan Visser ’t Hooft und den Enkel Caspar Visser ’t Hooft. Albert van den Heuvel, Konrad Raiser und Boudewijn Sjollema waren in den 1960er Jahren junge Kollegen beim Ökumenischen Rat der Kirchen. Der Mitarbeiter in der Flüchtlingsarbeit, Ruud van Hoogevest, und der Auszubildende Frans Bouwen kochten für den sehr alten und verletzlichen Visser ’t Hooft in seinem Haus und aßen mit ihm. Hebe Kohlbrugge traf ihn als Kriegskurier. Die Gesprächspartner wurden hauptsächlich zu ihren eigenen Berührungspunkten mit Visser ’t Hooft befragt. Wie bereits erwähnt, war das Ziel dabei nicht »Gedenken«, obwohl die typische Anekdote in einer solchen Biografie natürlich einen Platz verdient. Das Hauptziel war ein Ansatz, bei dem offene Fragen gestellt wurden und die Diskussionspartner die Möglichkeit erhielten, ihre eigene, besondere Geschichte mit Visser ’t Hooft zu erzählen. Einzelne Behauptungen wurden im gegenseitigen Vergleich weiter untersucht. Zusätzlich zu den genannten Quellen und den Interviews gibt es außerdem zahlreiches digitales, audiovisuelles Material.31

      Das Ziel dieser Studie ist eine kritisch interpretierende Biografie.32 Tiefere Ebenen werden ausgeleuchtet, indem theologischen Inhalten und religiösen Erfahrungen im Quellenstudium viel Raum gegeben wird. Religion wird in diesem Sinne als ein authentisches Leitelement verstanden, wichtig für die Orientierung der Menschen; wichtig für das, was sie sich unter einem »guten Leben« vorstellen sowie motivierend für ihre Wahl, sich zu engagieren.33 So werden wichtige Treffen, die einen großen Einfluss auf Visser ’t Hooft hatten, im historischen Kontext behandelt. Ebenso werden die Werke, die er las und schrieb, im Kontext der damaligen Zeit betrachtet. Es war die Absicht, Interpretationen zu reduzieren, um die Entwicklung Visser ’t Hoofts in seiner Bedeutung für sich selbst sprechen zu lassen. So können die Leser schließlich die Ausdruckskraft seiner Gedanken und die Wirksamkeit seiner Handlungen selbst einschätzen.34

      Visser ’t Hooft sah in seinem Lebenswerk hauptsächlich Kontinuität. Dennoch gibt es große Unterschiede bezüglich der Effektivität seines Auftretens in den verschiedenen Perioden (für die Visser ’t Hooft übrigens selbst nicht blind war). Objektiv identifizierbare Momente, in denen buchstäblich ein neues Kapitel in seinem Leben aufgeschlagen wurde, waren 1924 der Abschluss seines Studiums, seine Heirat, eine neue Stelle und der Umzug nach Genf; 1939 erneut ein neuer Arbeitsplatz und Umzug; 1948 die offizielle Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen und 1966 sein Ruhestand. Es liegt auf der Hand, diese lebensgeschichtlichen Zäsuren auch als Kapiteleinteilungen zu verwenden; das sind die Kapitel 2, 3, 5, 6 und 9. Aber aus den Quellen kommen auch andere inhaltliche Zäsuren zum Vorschein: 1918 begann eine Zeit der Suche, in der Visser ’t Hooft seinen Stil und seine Überzeugung fand; 1933 sah er seinen Friedensidealismus scheitern; 1938 wurde er zum Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen ernannt; 1942 musste er hinnehmen, dass die Alliierten die angestrebte Annäherung an den deutschen Widerstand ablehnten; 1968 starb seine Frau und im selben Jahr wurde ihm während der Versammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala bewusst, wie problematisch seine Botschaft für die neuen Generationen geworden war. Diese letzten Brüche führten zu inhaltlichen Veränderungen, auf die in den entsprechenden Kapiteln eingegangen wird.

      Das zweite Kriterium der Kapiteleinteilung ist inhaltlicher Art. Die Kapitel 4, 7 und 8 können als ein »Exkurs« zu den drei Hauptthemen gelesen werden: der »Schweizer Weg«; Ökumene und östliche Orthodoxie; die römisch-katholischen Kontakte. Im Laufe der Zeit überschneiden sich diese Kapitel mit den oben genannten. Das 10. Kapitel enthält schließlich Gedanken und eigene Reflexionen darüber, wie er sich selbst sah, über seine Liebe zu dem niederländischen Maler Rembrandt und darüber, wie er sein Leben mit dem des Malers und anderer Menschen verglich.

      Das außerordentlich umfangreiche Material, das selten oder nie für kritische Untersuchungen zum Leben von Visser ’t Hooft verwendet wurde, rechtfertigt den primär induktiven Ansatz im Gegensatz zu einem deduktiveren Ansatz. Letzterer verknüpft die Bewertung eines Lebensverlaufs mit einigen Leitgedanken des Biografen, die aber nicht primär aus dem jeweiligen Lebensverlauf selbst abgeleitet sind. Dieser Ansatz bedeutet, dass kulturhistorische, kultursoziologische und kulturphilosophische Aspekte zwar angesprochen, aber bewusst begrenzt wurden.

      Vor dem Hintergrund der beiden Weltkriege und des Aufkommens totalitärer Bewegungen und des Kalten Krieges möchte diese Biografie anhand der Quellen zeigen, wie Visser ’t Hooft immer wieder seine Orientierung in der »Kirche« fand. Es scheint, als ob Visser ’t Hooft für die Kirche wählte, und als ob er die Bibel als Wort Gottes und Jesus Christus als Verkörperung der Liebe Gottes zu den Menschen akzeptierte. Während er selbst seinen christlichen Weg in der ökumenischen Jugendbewegung begann, entschied er sich Ende der 1930er Jahre grundsätzlich für die Institution Kirche als einen zentralen Baustein der Ökumene. In dieser Studie wird untersucht, welche Form der kirchlichen Einheit er anstrebte und inwiefern er hohe Erwartungen an die oft stille Diplomatie hatte. Wie bereits erwähnt, wird diese Biografie nicht ausführlich auf diese kulturgeschichtlichen, kultursoziologischen und kulturphilosophischen Fragen eingehen, da sie alle einer gesonderten Untersuchung bedürften. Aber sie spielen im Hintergrund eine Rolle und werden an den entsprechenden Stellen angesprochen. Die kulturgeschichtliche Frage lautet: Welche Rolle spielten die beiden Weltkriege, der Kalte Krieg, die Entkolonialisierung und die Säkularisierung? Die kultursoziologische Frage ist: Inwieweit passte seine Erwartung von einer Ökumene des Konsenses mit der Einstellung von Kirche und Ökumene als Institution zusammen? Wie sah er die Beziehung zwischen einer »Bewegung« und einer »Institution«? Und die kulturphilosophische Frage lautet schließlich: Auf welchen globalen Normen glaubte er, die Ökumene aufbauen zu können? Wurden diese Maßstäbe direkt aus dem Evangelium abgeleitet?

      Eine lesbare Biografie kann sich nicht nur auf eine detaillierte, chronologische Aufzählung der wichtigsten Lebensdaten einer Person beschränken. Kein Biograf wird sich der Ordnung, Gewichtung, Interpretation und damit der Thematisierung entziehen wollen