Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jurjen Albert Zeilstra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374063789
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      1937 hätte aus der Ökumene ein deutlicher Aufruf zum Kampf kommen sollen. Weil das nicht geschehen war, waren für Barth die Spielregeln außer Kraft gesetzt. Ein echter ökumenischer Führer suchte nicht politische Unterstützung und hielt sich mit Gefühlen zurück, sondern musste es wagen, sich weit aus dem Fenster zu lehnen. Eine klare Unterscheidung zwischen den Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche war jetzt unvermeidlich.169

      Vom 9. bis 12. Mai 1938 trafen sich die 14 Delegierten von Life and Work und Faith and Order sowie einige weitere Delegierte im Auditorium des Akademiegebäudes der Universität Utrecht, um eine Verfassung für den Ökumenischen Rat der Kirchen zu erarbeiten. Wieder gab es keine deutsche Delegation. Im März 1938 war der sogenannte »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich erfolgt, die internationalen Spannungen wuchsen. Auf der Utrechter Konferenz gelang es, in Anlehnung an Oxford und Edinburgh, einen provisorischen Ökumenischen Rat der Kirchen zu errichten (in process of formation), der eventuell bereits 1940, wahrscheinlich aber im August 1941 gegründet werden sollte. Es bestand Einigkeit darüber, dass dieser Ökumenische Rat selbst keine Kirche werden und keine Gesetzgebungs- oder Regulierungskompetenzen über die Mitgliedskirchen ausüben sollte. Seine Autorität sollte sich auf geistig-inhaltliche Prämissen stützen. Nach ausführlichen Diskussionen wurde als Verfassung für den Ökumenischen Rat der Kirchen schließlich die Basisformel von Faith and Order übernommen, die sich wiederum auf die Pariser Basis des YMCA stützte:

      »Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Erlöser annehmen.«170

      William Temple schrieb eine Erklärung, in der er die Grundlage von Faith and Order als Muster zur Versöhnung interpretierte. Mit ihr wollte der Ökumenische Rat der Kirchen den Wunsch zum Ausdruck bringen, dass er eine Gemeinschaft von Kirchen sei, die diese Wahrheiten akzeptierten. Wichtig für den zukünftigen Generalsekretär war dabei folgende Bemerkung:

      »Die Autorität, die der Rat haben wird, hängt von dem Gewicht ab, das er in den Kirchen gemäß der Weisheit des Rates selbst haben wird.«171

      Während sich die Kirchendelegationen vorläufig auf Regionen und nicht auf konfessionelle Gruppen stützten, wurde, wie bereits erwähnt, ein vorläufiges Komitee des sich im Aufbau befindlichen Ökumenischen Rates eingesetzt. Dieses traf sich am 13. Mai zum ersten Mal in Utrecht. Weil die tatsächliche Gründung des Ökumenischen Rates wegen des Krieges nicht plangemäß vollzogen werden konnte, wurde dieses vorläufige Komitee viel bedeutsamer als ursprünglich gedacht.172

      Vorsitzender wurde William Temple, der Erzbischof von York, zusammen mit den Vizevorsitzenden John Mott, Germanos Strenopoulos (1872–1951), Vertreter des Patriarchats von Konstantinopel, Erzbischof von Thyateira und Exarch des Ökumenischen Patriarchats in Westeuropa und wichtiger Ansprechpartner von Visser ’t Hooft, und Marc Boegner (1881–1970), dem Präsidenten der Fédération Protestant de France. Der Ausschuss beschloss, den 37-jährigen Visser ’t Hooft zu fragen, ob er die Vollzeitstelle des Generalsekretärs übernehmen würde. Viele dachten, der britische Presbyterianer William Paton (1886–1943), Sekretär des International Missionary Council, hätte die besten Chancen auf diese Führungsposition. Aber Visser ’t Hooft hatte eine breitere Entwicklung, ruhigere Umgangsformen und ein ausgezeichnetes Netzwerk unter jungen Menschen. Er sprach auch mehrere Sprachen, wenn auch mit einem starken niederländischen Akzent. Der Einwand, dass Visser ’t Hooft für eine so schwere Position noch sehr jung war, wurde von Temple vom Tisch gefegt. Während allerdings Life and Work ihm sofort alle wichtigen Verantwortlichkeiten übertrugen, hielt sich Faith and Order noch etwas zurück. Vom 29. August bis zum 1. September 1938 fand in Clarens in der Schweiz ein Fortsetzungstreffen von Faith and Order statt, bei dem die Pläne schließlich mit ein paar geringfügigen Änderungen genehmigt wurden.

       2.10 Der charismatische Studentenführer

      Die Zeit, in der Visser ’t Hooft die internationale Jugend- und Studentenarbeit des YMCA und des WSCF leitete, ging zu Ende. Er hatte als internationaler Sekretär für die Jungenarbeit des YMCA begonnen und seit 1924 zahlreiche kleinere und größere internationale Treffen in der christlichen Jugendarbeit für Schüler in Europa organisiert. Außerdem hatte er eine moderne internationale Zeitschrift für junge Leute gegründet. Mit seinen, vor allem amerikanischen, Auftraggebern verband ihn die Einsicht, dass die Nachkriegsjugend Gefahr lief, demoralisiert zu werden, vor allem in Europa. Seine eigenen theologischen Überzeugungen bei dieser Arbeit fußten vor allem auf der kirchlichen Offenbarungstheologie Karl Barths. Er widersprach den Kulturtheologen, die Religion als rein akademisches Phänomen studierten und insbesondere die Bibel historischkritisch analysierten, wie etwa Ernst Troeltsch. Angesichts der Herausforderungen totalitärer Bewegungen, die Zugriff auf die Massen suchten, hielt er den kulturtheologischen Ansatz für einen großen Fehler.

      Auf den großen Konferenzen, an denen er teilnahm, konnte er viel lernen, was er dann auf seinen eigenen Konferenzen in die Praxis umsetzte. Nach und nach begriff er seine eigene Arbeit als einen Baustein in der großen wachsenden internationalen ökumenischen Bewegung. Um 1930 wechselte er vom YMCA zum WSCF; zu einer Zeit, als die Kriegsgefahr in Europa zunahm. In dieser Zeit entwickelte er sich zu einem charismatischer Redner für Studenten, die seinen Humor und Realismus schätzten. Mit seiner Zeitschrift The Student World wollte er Studenten erziehen und sie ermutigen, eine international eng verbundene christliche Elite in spe zu werden. Er befürwortete, dass Kirchenmitglieder ihren Glauben und ihr Fachwissen miteinander in Beziehung setzten. Visser ’t Hooft erwartete wenig von idealistischem Internationalismus und Abrüstung, aber viel von dem, was er als christlichen Realismus betrachtete. Diesen begann er zunehmend kirchlich zu artikulieren. Nachdem er die Bedeutung des Aufstiegs des Nationalsozialismus in Deutschland kurzfristig unterschätzt hatte, erkannte er den Ernst der Entwicklungen und begann, die betroffenen Studenten geistlich zu stärken, damit sie die Gefahren und Chancen in der Situation erkennen konnten. Mission und Ökumene waren für Visser ’t Hooft untrennbar miteinander verbunden. Eine lebendige Kirche brauchte seiner Meinung nach eine missionarische Haltung. Für die Mission sah er in dieser Zeit die wichtige Aufgabe darin, die Kolonien auf ihre Unabhängigkeit vorzubereiten und Missionen zu neuen Kirchen zu entwickeln. Trotz seiner Faszination entschied er sich allerdings nicht für eine Tätigkeit im Bereich der Mission.

      Visser ’t Hooft gelang es nicht, die transatlantische ökumenische Kluft zwischen Amerikanern und Europäern nicht schließen. Freilich analysierte er die Spannungen zwischen praktischem, erfolgsorientiertem amerikanischem Handeln und europäischer Reflexion gründlich. Die Unterschiede sah er einerseits in der fehlenden Verbindung zwischen den Fragen von Kirche und Gesellschaft im Leben und Arbeit und der fehlenden Aufmerksamkeit für die dogmatischen Unterschiede im Verständnis der Kirchen in Glaube und Kirchenverfassung andererseits begründet. Er hoffte, dass die Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen diese Spannung konstruktiv aufnehmen würde und hielt sich selber dafür geeignet, in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu spielen.

      Als ein Kandidat für die leitende Position des zu besetzenden Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen gesucht wurde, wurde er von John Oldham, William Temple und John Mott vorgeschlagen. Alle drei sahen in Visser ’t Hooft einen Mann mit einem guten Netzwerk und der richtigen Einstellung, um für diese Organisation alles auf eine Karte zu setzen. Visser ’t Hooft hatte eine klare Vision und verband festen Glauben mit strategischem Denken. Außerdem war er gesund und verfügte über eine fast grenzenlose Energie. Visser ’t Hooft entwickelte einen Führungsstil, der den 1930er Jahren entsprach, zielgerichtet und lösungsorientiert. Sein Auftreten hatte allerdings auch seine verletzenden und einschränkenden Aspekte. Einige empfanden seinen aus Genf dozierenden Ton als belehrend. Zudem war er sich nicht immer bewusst, wovon er als Experte sprach. Das Netzwerk, das Visser ’t Hooft fast täglich nutzte, war auf Eliten hin orientiert. Dadurch erhielt sein Auftreten manchmal etwas Weltfremdes für Außenstehende. Er wollte immer auf hohem Niveau sprechen. Seine Blatt The Student World war kein oberflächliches unterhaltsames Studentenmagazin. Dem prophetischen Ton, den Karl Barth am Vorabend des Zweiten Weltkriegs von