Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jurjen Albert Zeilstra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374063789
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von Life and Work über die Gründung eines Ökumenischen Rates der Kirchen gesprochen. Konnte sich da eine Funktion für ihn ergeben?

      Visser ’t Hooft hatte Theologie studiert und war 1923 in die Nederlandse Hervormde Kerk eingetreten, hatte sich aber dort nie als Pfarrer ordinieren lassen. Nach der Barmer Theologischen Erklärung wurde ihm jedoch immer deutlicher, wie wichtig die Kirche war, und er fühlte sich zunehmend mehr vom Pfarramt angezogen. Am 29. März 1936 wurde er von seinem Freund Pierre Maury aus Ferney als Pfarrer der Église Protestante Nationale de Genève in der Kirche von Eaux-Vives ordiniert. Während dieses Gottesdienstes erklärte Visser ’t Hooft in einer feierlichen, aber auch persönlichen »Erklärung« seine Haltung zum Amt. In ihm war die Überzeugung gereift, dass jetzt wirklich an der konkreten Kirche teilzunehmen unabdingbar sei.

      »Weil in mir ein ganz besonderes Interesse für die Frage der Einheit der Christen entstanden ist, ist mir deutlich geworden, dass diese Einheit nicht von draußen und über die Kirche hinweg kommen kann. Ich habe gesehen, dass der Glaube an die universale Kirche eine abstrakte Illusion bleibt, so lange ich nicht mitten in der konkreten Kirche Platz nehme.«144

      Er erzählte, dass er sich zu Beginn seines Theologiestudiums sehr wohl berufen gefühlt habe, aber nicht zum Amt: »Im Gegenteil, ich hatte eher Angst vor dem Dienst des Pfarrers. Ich wusste nur eines: dass Gott mich gebrauchen wollte. Wie und wo, wusste ich nicht.« Aber seine Arbeit für den YMCA und den WSCF hatte sich ausgewachsen zu einem besonderen Dienst und war eine geistliche Schule geworden, eine Gemeinde auf fünf Kontinenten. Dank der intensiven und lebhaften Kontakte mit den Studenten weltweit hatte er sich allmählich als Pfarrer einer echten christlichen Gemeinschaft gefühlt. Die Kirche hatte lange Zeit nur einen kleinen Platz in seinem Leben, aber er erkannte zunehmend die Gefahr eines geistlich entwurzelten Lebens, insbesondere in der internationalen ökumenischen Bewegung: »eine Gefahr, die hauptsächlich die internationale und ökumenische Arbeit bedroht.«145

      Westeuropa war selbst zu einem Missionsgebiet geworden. Im Winter 1937/38 organisierten die NCSV-Abteilungen in Utrecht und in Amsterdam eine Evangelisierungswoche. Es gab ein Vortragsprogramm, und es wurden Briefkarten mit Bibeltexten verteilt. Visser ’t Hooft hielt im Auditorium des Akademiegebäudes in Utrecht einen Vortrag mit dem Titel »›Gutes Leben‹ oder Glaube«. Darin wollte er eigentlich die Frage stellen, die bereits der niederländische Rechtsgelehrte Hugo Grotius gestellt hatte; die Frage nach der Normierung eines Lebens ohne Gott (als ob es Gott nicht gäbe – etsi deus non daretur). Es lief aber dann doch auf das Dilemma der Romanfigur Raskolnikov in Dostojewskis Schuld und Sühne heraus: »Raskolnikow […] kommt zu dem Schluss, dass, wenn Gott nicht existiert, auch alles zulässig ist.« Dieses Problem, so Visser ’t Hooft, könne nur durch die Existenz Gottes in der Bibel gelöst werden.

      »Die Bibel sagt: Gott ist da; Gott beginnt eine neue Ära; Du bist von Gott; Gott geht mit Ihnen an die Arbeit; Christus hat die Welt überwunden, und ihr könnt an seinem Sieg teilnehmen.«146

      Für Visser ’t Hooft stimmten Mission und Ökumene überein. Eine lebendige und sich erneuernde Kirche musste sich neue Horizonte erschließen und diese erforschen. Die grundlegende Einheit der Kirche wurde nicht zufällig im Bereich der Mission wiederentdeckt. Wenn die Kirchen Nichtchristen wirklich etwas anbieten wollten, mussten sie sich als Einheit präsentieren. Wo es um Mission in den Kolonien ging, durfte die Wertschätzung für die Individualität der aufkommenden jungen Kirchen nicht fehlen. Während seiner Zeit beim YMCA und beim WSCF hatte er unter den Studenten zahlreiche zukünftige Führer der neuen Staaten kennengelernt, die sich in selbstverwalteten und unabhängigen Bewegungen zu sammeln und zu organisieren begonnen haben. Visser ’t Hooft war ein früher Befürworter der Anerkennung dessen, was in der aktuellen Wissenschaft als »polyzentrische Struktur« des Christentums bezeichnet wird. 147 Doch der Raum, den er für alternative Interpretationen zur Verfügung stellte, blieb begrenzt. Er hielt an der zentralen Rolle Christi fest, wie er sie in der Theologie Karl Barths zu sehen meinte. Jetzt fühlte er sich nicht länger zu einer Funktion in der Mission berufen.

      Ende 1938 fand im indischen Tambaram, in der Nähe von Madras, die große Weltmissionskonferenz des Internationalen Missionsrates statt. Zusammen mit Steven van Randwijck und dem NCSV-Sekretär Frans Kooijman bildete Visser ’t Hooft die niederländische Delegation des WSCF. Über dieses Treffen schrieb der niederländische Missionar, Missiologe und Islamkenner Hendrik Kraemer 1938 das Buch A Christian Message in a Non-Christian World (1938), das von Visser ’t Hooft wegen seiner klaren Vision sehr gelobt wurde. Kraemer zwang seine Leser, über die Bedeutung der Botschaft Christi nachzudenken.148 Kraemer hatte ein Auge für die eigenen spirituellen Quellen der östlichen Kulturen, bestand jedoch darauf, dass diese christozentrisch interpretiert und somit christianisiert werden sollten. Das war genau das, was Visser ’t Hooft hören wollte, denn so verhinderte er, dass er zu einem »relativistischen Sendungsideologen« wie Hocking abrutschte.149 Stattdessen war die weltweite Kirche zu verkündigen.

      Nach seiner Rückkehr aus Madras im Januar 1939 war Visser ’t Hooft mehr denn je davon überzeugt, dass die christliche Kirche, die damit beschäftigt war, ihre eigene universelle Form wiederzuentdecken, genau deshalb auf Konfrontationskurs mit den Mächtigen, die die Welt regierten, gehen musste.

      »Die dominierenden Merkmale der christlichen Szene, von Madras aus gesehen, sind, dass die Kirche wirklich universell wird, und dass sie genau in dem Moment, in dem sich ihr inhärenter Universalismus manifestiert, in einen entscheidenden Konflikt gerät mit den Mächtigen, die die Welt kontrollieren. Die Kirche wird eine Weltkirche, aber gleichzeitig wird sie daran erinnert, dass sie nicht von dieser Welt ist.«150

      Große Delegationen aus China, Ost-Indien und den Niederlanden machten für Visser ’t Hooft die Grenzen des »westlichen Provinzialismus« in Madras erkennbar. Von der sichtbaren kirchlichen Einheit im Bereich der Mission waren große Ergebnisse zu erwarten. Sollte es zu einem Ökumenischen Rat der Kirchen kommen, dann sollte er keine von westlichen Kirchen dominierte Organisation sein.

       2.9 Sekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen im Aufbau

      Eine der Thesen in Visser ’t Hoofts Dissertation von 1928 war:

      »Die Einheit der christlichen Kirchen und Konfessionen kann nur dann wirklich gefördert werden, wenn eine Synthese zwischen der Zunahme des praktischen und ethischen Niveaus (Stockholm) und der Annäherung auf dem Gebiet der kirchlichen Lehre und der Kirchenordnung (Lausanne) gefunden werden kann.«151

      Mitte der 1930er Jahre schien das Motto »Lehre teilt, aber Dienst vereint« (»doctrine divides, but service unites«), mit dem Bischof Söderblom 1925 die Entstehung von Life and Work begründet hatte, seine Magie in den Augen Vieler verloren zu haben. Die Fortführungskomitees der beiden ökumenischen Bewegungen, der des praktischen Christentums (Life and Work) einerseits und der von Glaubens- und Kirchenverfassung (Faith and Order) andererseits, setzten nun auf Unterstützung für eine kraftvolle internationale Kirchenbewegung. Das Wort »Ökumene« wurde jetzt immer häufiger verwendet. Im Sommer 1937 gab es zwei große Konferenzen, bei denen sich zunächst die Mitglieder von Life and Work in Oxford trafen, und dann die Mitglieder von Faith and Order in Edinburgh. Die Mitglieder dieser Bewegungen waren offizielle Kirchendelegierte, aber es gab auch informelle Mitglieder, beispielsweise Experten oder Leute aus der Mission.152 Visser ’t Hooft war an beiden Konferenzen beteiligt.

      1937 wurde ein wichtiges »ökumenisches Jahr«, aber jeder, der Sofortlösungen aus Oxford und Edinburgh erwartete, musste enttäuscht sein. Visser ’t Hooft, der seit 1930 Mitglied des Fortführungskomitees für Faith and Order war, zeigte sich erfreut über die Begeisterung, mit der sich die Studenten auf die Konferenzen von 1937 freuten. Aber er fand es auch sinnvoll, sie zu warnen:

      »Es ist gut möglich, dass viele junge Christen mit der ökumenischen Bewegung sehr ungeduldig werden, weil dies in einer Welt, die so viel mehr als Worte braucht, nicht genug zu sein scheint. Das ist alles schön und gut, solange diese