Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jurjen Albert Zeilstra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374063789
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      »Es ist erstaunlich, dass dieser Kommentar von mir stammt, und es kann sein, dass ich zu sehr in der Vorstellung gefangen bin, dass du und andere Leute aus deiner NCSV-Generation eines Tages helfen können, die neuen Niederlande in Gang zu bringen […] Eine Sache würde ich nicht so schwer gewichten, nämlich die Frage des ›Rufes‹. Für viele von uns ist es nun einmal nicht immer so, dass die Berufung auf eine unmittelbar offensichtliche Weise zu uns kommt. Wir müssen dann auf sachliche Weise die Informationen akzeptieren, die vor uns liegen und die ebenso Gottes Führung beinhalten wie ein direkter Ruf. Tatsächlich hilft eigentlich immer mehr der Gedanke, dass es eine Wirtschaft des Reiches Gottes gibt und dass man dort stehen muss, wo man nach menschlicher Berechnung am besten dienen kann.«117

      Conny Patijn entschied sich schließlich für die Niederlande. Nach dem Krieg machte er Karriere, unter anderem als Abgeordneter der Tweede Kamer (des Parlaments) der Partij van de Arbeid (Sozialdemokratische Partei der Niederlande) und als hoher Beamter in verschiedenen Ministerien.

      In der christlichen Jugendbewegung war Mission in den 1930er Jahren mehr oder weniger selbstverständlich, und der Ruf, Missionar zu werden, wurde regelmäßig erhört. Eine der Schlussfolgerungen der Weltmissionskonferenz von 1928 in Jerusalem war, dass angesichts der Säkularisierung nicht nur protestantische Kirchen, sondern die Religionen im Allgemeinen keine Konkurrenten, sondern Verbündete seien, die mehr zusammenarbeiten sollten. Unter der Leitung des amerikanischen Idealisten und Philosophen W. E. Hocking wurde in den Jahren 1930 bis 1932 eine große Studie durchgeführt, die die Missionsarbeit von sechs protestantischen Konfessionen in Ost-Indien, Birma, China und Japan untersuchte. In ihrem Bericht Rethinking Missions plädierte die Studienkommission für ein Umdenken bei Missionen: mehr Aufmerksamkeit für Bildung und Wohlstand, Übertragung von Führungsaufgaben auf lokale Gruppen und Institutionen, weniger Evangelisation und mehr Respekt für die indigenen Religionen.118 Solche Empfehlungen mochte Visser ’t Hooft jedoch nicht. In seinen Augen ging es dabei um »Religion«, und das meinte er nicht als Kompliment. Hier ging es um menschliche Arbeit, die sich ohne Gott zusammenbastelte. So konnte das Evangelium nicht gepredigt werden. Angeregt durch Barth plädierte er dafür, den Inhalt der Offenbarung Gottes aufrechtzuerhalten, auch wenn sich die Mission formell an die lokale Kultur anpassen müsste. In The Student World lehnte Visser ’t Hooft Hockings Empfehlungen als »Mission ohne Rückgrat« ab.119

      Persönlich fühlte er sich sehr von Indien angezogen. Nach seiner Promotion 1928 dachte er das erste Mal daran, nach Niederländisch-Indien zu gehen. Es gab einen ernsthaften Plan, beim Aufbau einer theologischen Fakultät mitzuwirken, aber seine Ernennung zum WSCF hinderte ihn daran, diesen Plan weiter zu verfolgen.120 Immerhin machte er 1933 zusammen mit Jetty und zwei Mitarbeitern eine große Reise nach Indien, als dort der chinesische Missionar T. Z. Koo eine Konferenz für die südostasiatischen Abteilungen des WSCF organisierte. Cees L. van Doorn und seine Frau engagierten sich besonders für eine javanische Studentenabteilung. Visser ’t Hooft war begeistert – das hier war der einzige Ort, an dem sich Christen aus allen »indonesischen Gruppen« treffen konnten. Der damalige Generalgouverneur war B. C. de Jonge, für Jetty Onkel Bonne, der sie im Palast von Batavia empfing. Visser ’t Hooft gewann dabei den Eindruck, dass die niederländischen Administratoren nicht wussten, wie weit sich der indonesische Nationalismus bereits entwickelt hatte. Er merkte, dass die meisten Niederländer, einschließlich des Generalgouverneurs, davon ausgingen, dass sie in dieser paternalistischen Atmosphäre noch sehr lange die Kontrolle über Indien ausüben würden. De Jonge sah zwar innenpolitische Probleme, führte sie jedoch hauptsächlich auf die Weltkrise zurück und nicht auf die niederländische Führung. In den Augen von Visser ’t Hooft vernachlässigten die Niederländer jedoch Indien. Große Chancen wurden verpasst. Geistliche Vertiefung und »aggressive Evangelisierung« waren nötig. Doch ein Machtkampf bahnte sich an. Davor konnten Regierung und Mission noch einiges für die Entwicklung in Indien tun. Allerdings blieben die Kirchen gespalten und die Jugendarbeit fragmentiert.121

      »Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich in Indien erschrocken bin über die große Unsicherheit, mit der sich die Niederländer und die Ureinwohner gegenüberstehen, und über die tiefe Kluft, die sie voneinander trennt. Mein Haupteindruck ist, dass Holland, nachdem es jahrelang versucht hat, bei der Stärkung der Macht der Ureinwohner fair zusammenzuarbeiten, plötzlich in Gefahr ist, seinen Kurs zu ändern und den Weg einer reinen Machtpolitik einzuschlagen.«122

      Obwohl die Niederlande seiner Ansicht nach gerade dabei waren, »ihre moralische Rechtfertigung als Kolonialmacht einzubüßen«, rechnete er nicht mit einem Aufstand, weil er in der nationalen Bewegung mehr Bestrebungen als Gewalt sah. Zurück in den Niederlanden hielt er 1934 beim niederländischen WSCF-Verbandstag einen Vortrag über Indien, in dem er seine Besorgnis den Studenten gegenüber äußerte.123 Der Jurist Frederik van Asbeck, ein enger Freund von Visser ’t Hooft, übernahm die Aufgabe, das Indien-Thema für den NCSV weiter auszuarbeiten.

      Visser ’t Hoofts Einstellung zur Politik Niederländisch-Ostindiens wurde immer negativer. Der niederländische Premierminister H. Colijn galt zu dieser Zeit als Autorität in der Kolonialfrage. In den späten 1930er Jahren musste er einmal vor dem Völkerbund in Genf sprechen. Gerade in diesem Moment wohnte der Missiologe Hendrik Kraemer bei Visser ’t Hooft. Kraemer (1888–1965) war ein Kenner der indischen Kirchen, der lange Zeit in der Kolonie blieb. Er war davon überzeugt, dass die Niederländer die Bevölkerung in Niederländisch-Indien aktiv auf die Unabhängigkeit vorbereiten sollten und dass in der Erziehung Raum für ihre eigene spirituelle indische Tradition sein müsse. Als Hendrik Kraemer Colijn in seinem Hotel in Genf besuchte und mit ihm über seine Einsichten sprechen wollte, hielt ihm der Ministerpräsident einen Kolonialismus-Vortrag. Colijn schien keinerlei Interesse an einem Rat von Kraemer zu haben. Für Visser ’t Hooft hatte Colijn im Hinblick auf Indien völlig versagt.124

      Die Missionen sollten aus der Sphäre der rein karitativen Organisationen befreit werden. Ohne falsche Romantik wollte er die Welt der Mission in »ihrer Armut und in ihren Verheißungen« darstellen.125 Visser ’t Hooft lehnte dabei jede Form von Synkretismus radikal ab, stattdessen solle das Evangelium Jesu Christi ungekürzt, mit Respekt für die lokale Kultur, verkündet werden. Was er dabei jedoch übersah, war, dass bei jeder Verkündigung von Geschichten aus dem Neuen Testament sprachliche Konzepte aus der empfangenden Kultur verwandt wurden; so, wie es auch früher in Europa geschehen war.126

      Im September 1935 fand in Basel unter der Schirmherrschaft des International Mission Council und des WSCF eine internationale Studentenmission statt, an der mehr als 250 Studenten aus zahlreichen Ländern teilnahmen. Visser ’t Hooft lud seinen Lieblingstheologen und Freund Karl Barth ein. Er erwartete von ihm einen begeisterten Beitrag. Dazu kam es jedoch nicht; Barth antwortete scharf:

      »Wie ich überhaupt glaube, dass diese Art von christlichen Cirkussen – könnten Sie sich Athanasius oder Calvin oder Kohlbrügge bei einem solchen Anlass vorstellen? – ihre Zeit gehabt, aber nun vielleicht endgültig gehabt hat. Was kommt eigentlich heraus bei dem vielen Zusammenlaufen? Wäre es nicht allmählich besser, Konferenzen nur noch zu veranstalten, wenn man wirklich etwas zusammenzutragen hat an wirklich brennenden Nöten, Fragen und Aufgaben, an gemeinsamen Einsichten und Ausblicken – und gar nicht um der Konferenzen als solcher Willen?«127

      Visser ’t Hooft war zutiefst verletzt und reagierte wie von einer Wespe gestochen:

      »Haben Sie wirklich so wenig Vertrauen in Ihre Freunde Eduard Thurneysen, Pierre Maury, Karl Hartenstein und mich, die ja alle daran beteiligt sind, dass Sie uns nicht besser als christliche Sarrasanis ansehen? Und auf welchem Grund kommen Sie eigentlich zu diesem schnellen Urteil?«128

      Während sich Visser ’t Hooft und seine Anhänger bemühten, die Mission von der Philanthropie zu befreien, beschimpfte sie Barth als christliche Clowns. Der Gelehrte, den er für seinen mächtigsten Verbündeten hielt, blickte auf genau die Bemühungen herab, die Visser ’t Hooft jahrelang als Kern seiner Arbeit angesehen hatte: die Organisation ökumenischer Konferenzen. Visser ’t Hooft reagierte ebenfalls mit Schärfe:

      »Schade, dass Sie die Sache so ansehen