Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jurjen Albert Zeilstra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374063789
Скачать книгу
tieferen Hingabe an den Willen Gottes zu bringen, der sowohl Wahrheit als auch Einheit symbolisiert.«153

      Mit None Other Gods hatte er bereits etwas früher ein inhaltlich gut zugängliches Büchlein für Studenten veröffentlicht, insbesondere für die britischen und amerikanischen Studenten. Darin stellte er theologisch komplexe Themen vereinfacht dar.154 Für ihn war dies eine Fingerübung für das aus seiner Sicht wichtigere Buch The Church and its Function in Society, das er zusammen mit Joseph Oldham, dem schottischen Missionar und Pionier von Life and Work verfasste und das dann 1937 erschien. Es kam noch vor der Konferenz heraus und brachte ihm einen sehr guten Ruf bei den Teilnehmern ein, sofern sie ihn nicht bereits schon kannten.155 Inhaltlich baute Visser ’t Hooft in seinem Beitrag zu diesem Buch auf seiner Studie Le catholicisme non-romain von 1933 auf. Das Buch von Visser ’t Hooft und Oldham war der erste Band in der Reihe Church, Community and State und wurde als erster Teil zur Vorbereitung auf die Konferenz von Life and Work in Oxford veröffentlicht. Die anderen Bände erschienen später.156 Visser ’t Hooft schrieb unter dem Titel The Nature of the Church die ekklesiologischen Hauptkapitel, während Oldham für die Hauptkapitel über die Funktion der Kirche in Bezug auf die Gesellschaft verantwortlich war.

      In der Analyse von Oldham und Visser ’t Hooft stand die Kirche im Mittelpunkt des Kampfes gegen totalitäre Bewegungen, die mit ihrer absoluten Anziehungskraft auf den Menschen die gesamte Zivilisation unterminierten. In dieser Situation war die Kirche Christi die einzige Hoffnung für die Welt. Bei diesen Überlegungen zeigte sich der Einfluss von Karl Barth auf Visser ’t Hooft; Barths Kirchliche Dogmatik erschien seit 1932.157 Es war eine Glaubenswahrheit, an einer universellen Kirche, die sich in ganz verschiedenen Kirchen zeigte, festzuhalten. Zwar gab es Unterschiede, aber daneben doch die Realität der Einheit der Kirche, wie Gott sie als Geschenk gegeben hatte. Hieraus entsprangen das Gebet und die Fähigkeit, zu gemeinsamen Aussagen und Handlungen zu kommen.158 Die Kirchen mussten sich von nichts und niemandem funktionalisieren oder gleichsetzen lassen. Sie mussten sich einer anderen Mission bewusst sein, in erster Linie, um eine vollständige Kirche zu sein: »Lass die Kirche die Kirche sein.« Das waren geflügelte Worte, die oft zitiert wurden. Visser ’t Hooft gab vor, in seinem Beitrag »rein beschreibend« zu sein. Aber er brachte verschiedene theologische Stücke in seinen Text ein. Und zugleich stellte er die zentralen Fragen, die auch für die kommenden Jahre wichtig werden sollten: »Gibt es eine Kirche in den Kirchen?« und »Können die Kirchen miteinander sprechen und handeln?« Mit dem Neuen Testament betrachtete er die Kirche nicht quantitativ als eine Ansammlung unverbindlicher Gläubiger, sondern vor allem qualitativ als ein neues Schöpfungswerk von Gott als einer gegebenen Einheit.159 Diese Kirche war selbst Teil der Botschaft (Kerygma) des Neuen Testaments. Jesus wurde von Visser ’t Hooft historisch als der Gründer der Kirche, ekklesia, angesehen. Das letzte Abendmahl dieser Kirche war ihr Gründungsmoment schlechthin.

      Nachdem er die Besonderheiten der verschiedenen Typen von Kirchen skizziert und Hauptkirchentypen aufgelistet hatte, lehnte Visser ’t Hooft die sogenannte branch theory ab, die die bestehenden christlichen Kirchen als Zweige einer Art Urkirche ansah. Nach dieser Auffassung war jede Kirche mit ihren unterschiedlichen Erscheinungsbildern ein Teil der einen großen Weltkirche und es kam darauf an, dass sie einander wertschätzten und ergänzten. Er sah Gemeinsamkeiten zwischen der Verzweigungstheorie und dem neutestamentlichen Bild des Leibes Christi mit seinen vielen Mitgliedern, führte aber die Verzweigungstheorie nicht auf die Bibel, sondern auf den »modernen Humanitarismus« zurück: »Seine Schwäche ist, dass es die Frage der Einheit von der Frage der Wahrheit trennt.«160 Für Visser ’t Hooft blieb die Wahrheitsfrage von grundlegender Bedeutung, wenn es um die Einheit der Kirche ging. Die Ökumene könne nicht einfach ein Kompromiss oder ein überlassener Raum sein; überall lauerte der Relativismus als Gefahr. Er berief sich dabei auf den russisch-orthodoxen Priester George Florovsky aus Paris, der die Kirche, ähnlich einer Ikone, als lebendiges Bild der Ewigkeit in der Zeit bezeichnet hatte.161

      Im Juli 1937 trafen sich 425 Teilnehmer in Oxford, darunter dreihundert Delegierte aus 120 Kirchen in 40 Ländern, zur großen Universal Conference on Life and Work (Weltkonferenz für Praktisches Christentum). Einige sprachen sogar von einem Konzil, aber das war nach Visser ’t Hooft nicht zutreffend. Obwohl er einen objektiven Grund sah, sich im Namen der Kirchen zu treffen, war es keine Versammlung der Kirchen. Das Treffen in Oxford konnte nur wenig mehr sein als eine international humanitarian organization (internationale humanitäre Organisation). Er fasste die ökumenische Situation von 1937 in zwei Fakten zusammen:

      »[…] die Tatsache, dass alle beteiligten Kirchen an die Kirche als eine Realität glauben, die jenseits jedes historisch gebundenen kirchlichen Körpers liegt und nicht von Menschen, sondern von Gott geschaffen wurde; und die andere Tatsache, dass dieselben Kirchen zu dieser Zeit nicht in einer vereinten Kirche zusammengeführt werden können.«162

      Dies war noch nicht die Kirche Christi in ihrer vollen Form. Aber die Kirchen waren bereits Zeugen dieser Kirche, Visser ’t Hooft verwendete in diesem Zusammenhang den englischen Begriff earnest (aufrichtig).163 Auf der Konferenz war er Vorsitzender der Arbeitsgruppe »Die Kirche und der Krieg« und verfasste die Schlusserklärung mit. Die Deutsche Evangelische Kirche war in Oxford nicht vertreten; es gab auch keine kontroversen Diskussionen über die Situation in Deutschland. Das wichtigste Ergebnis von Oxford war die Absicht, die Bewegung Praktisches Christentum mit der Bewegung Glauben und Kirchenverfassung zu einem Ökumenischen Rat der Kirchen zu fusionieren. Beide Bewegungen nominierten dazu jeweils sieben Delegierte, um die Fusion vorzubereiten. Dieses 14-köpfige Komitee beschloss, 1938 dazu eine Sonderkonferenz einzuberufen. Auf ihr sollten dann die Verfassung erarbeitet und die erforderlichen Ernennungen vorgenommen werden. Visser ’t Hooft war zufrieden. Mit diesen Entschlüssen war der Weg für einen Ökumenischen Rat der Kirchen bereitet.

      Aber sein Lehrer Karl Barth funkte dazwischen. Barth ärgerte sich sehr über die »unmögliche Rede«, die der Erzbischof von Canterbury, Cosmo Gordon Lang, in Oxford gehalten hatte. Lang verteidigte im Hinblick auf Deutschland eine Hinhaltepolitik, so wie sie die britische Regierung in dieser Zeit pflegte. Auf die Oxford-Erklärung zur deutschen Kirche, in der unpolitisch Solidarität geäußert wurde, gab es selbst in Deutschland heftige Reaktionen: »Lassen Sie die Kirche die Kirche sein (Let the Church be the Church)« wurde von den Nazis als Aufruf zu kirchlicher Opposition verstanden.164 Doch Barth nannte die Erklärung »Limonade«, im Gegensatz zu dem Wein, der im Psalm 104,15 das Herz eines Menschen erfreut.165 Visser ’t Hooft fand, dass Barth jetzt die Ökumene karikierte. Der anglikanische Beitrag war vielleicht zu groß gewesen, doch hatte Oxford die Kirche als Kirche ernst genommen. Man hatte den deutschen Kontakten zugehört, wenn sie auch nicht in Oxford anwesend waren. Die Schlusserklärung formulierte das maximal Mögliche.166

      Visser ’t Hooft versicherte Barth feierlich, dass er schon vor langer Zeit seine frühere, natürliche Freude »an großen weltweiten Konstruktionen« gegen Nüchternheit eingetauscht habe. Solange er sich nicht selbst engagierte, habe Barth nicht das Recht, die ökumenische Bewegung auf diese Weise zu kritisieren. Er appellierte in seiner typischen Art an Barth:

      »Ich werde schon manchmal meine Hände schmutzig machen, aber wie kann man darüber klagen, wenn sich 99% der Christenheit in dieser Lage befinden? Ich erwarte nicht, dass Du mir ein größeres Vertrauen entgegenbringst, als ich verdiene, und ich hoffe, dass Du mir manchmal so deutlich wie möglich sagen wirst, dass ich danebengehauen habe oder auch feige gewesen bin. Aber ich werde Deine höchst notwendige Kritik nur ernst nehmen, wenn ich bemerke, dass Du versuchst, etwas von der Sache zu verstehen, und Dir die Sache nicht zu leicht machst.«167

      Jetzt hatte er Barth doch herausgefordert. In einer ausführlich dokumentierten Antwort erklärte Barth, dass die Argumentation aus Oxford nicht hilfreich sei. In Oxford seien die nicht geistigen Straßen begangen worden, entsprechend sei das Ergebnis. Barth verwies Visser ’t Hooft auf 1. Korinther 2,13: »Und davon reden wir, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern mit Worten, wie der Geist sie lehrt, indem wir für Geistliches geistliche Bilder brauchen.«168 Das waren seine Spielregeln, nach denen er selbst seine Dogmatik