Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jurjen Albert Zeilstra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374063789
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Verständnis haben kann für die unoffizielle, aber nicht unnötige Arbeit, die wir in unserer Studentenbewegung nun seit Jahren zu tun versuchen? Denken Sie wirklich, dass es uns dabei ›um der Konferenzen als solcher Willen‹ geht? Dann kennen Sie uns schlecht und verstehen Sie nicht, wie es aussieht im Herzen eines Menschen, der viel lieber zu Hause sitzen möchte, aber dem nun einmal ein anderer Auftrag gegeben ist.«129

      Auch Calvin oder Athanasius hätten sich an der Basler Konferenz sicherlich nicht allzu unglücklich gefühlt, merkte er an. Doch Karl Barth war offensichtlich nicht klar gewesen, dass er mit seinem Urteil Visser ’t Hooft beleidigt hatte, denn er antwortete umgehend:

      »Halt, halt, halt! Das Leben ist viel zu kurz und schwierig und es ist auch gegenwärtig viel zu heiss, als dass wir uns unnötig Betrübnis, Sorge und Zorn bereiten dürften. Fassen Sie, was ich Ihnen geschrieben habe, bitte nicht so schrecklich prinzipiell auf!«130

      Er schrieb weiter, dass er damit gerechnet habe, dass es für ihn ein Zirkusereignis werden würde und bat Visser ’t Hooft, ihm nicht länger gram zu sein. Lieber würde er alle möglichen Konferenzen besuchen, als die Zuneigung von Visser ’t Hooft zu verlieren. Dieser scherzhafte, leicht ironische Unterton Barths prägte seitdem die schriftliche Kommunikation Barths mit Visser ’t Hooft. Es bleibt jedoch offen, ob Karl Barth Visser ’t Hooft wirklich verstanden hat. Umgekehrt berührte Barths Kritik die Achillesferse einer Konsensökumene, in der Visser ’t Hooft sehr viel von einem guten Gespräch und der gemeinsamen Erörterung weltweiter Herausforderungen erwartete. Er hatte mehr mit Barth als Barth mit ihm.131 Dieser Zusammenstoß sollte nicht der letzte sein.

      Auch Wims Frau Jetty machte in dieser Zeit ihre eigenen Erfahrungen mit Barth; und auch diese hatten mit dem absoluten Offenbarungscharakter zu tun, den Barth der Bibel als Gottes Wort zuschrieb. 1934 schrieb sie an Barth, den sie bis dahin noch nie persönlich getroffen hatte, und fragte ihn, wie er die Worte des Apostels Paulus in 1. Korinther 11,5–9 über das ungleiche Verhältnis zwischen Männern, Frauen und Gott erkläre.132 Barth antwortete, dass es keine Gleichheit gäbe, weil es im Wesentlichen nicht um das Verhältnis zwischen Mann und Frau gehe, sondern um das zwischen Gott und Mensch. Sie müsse lernen, deutlicher zwischen ihrer humanen und ihrer theologischen Argumentation zu unterscheiden.133 Das akzeptierte Jetty nicht und antwortete Barth mit einem Brief, in dem sie Barth einige kritische Erfahrungsfragen stellte.134 Was könne Gott damit vorhaben, wenn die Geschichte zeige, dass Männer den wahren Grund für ihre »Oberflächlichkeit« nie begriffen hatten? Wo war in dieser Theologie die Liebe, die nichts über Überlegenheit oder Unterlegenheit wissen wollte, geblieben? Sie selbst dachte an ein Dreieck. Genau dort, wo Gott das Ziel, der Punkt des Dreiecks war, waren Mann und Frau polarisiert. Der Glaube an Gott war die Voraussetzung für den Glauben aneinander; die Beziehung war ein dynamischer Dreifachbund. Ihre Überlegungen fasste Jetty zunächst in einem Artikel unter ihrem Mädchennamen in The Students World, unter dem Titel »Gibt es ein Frauenproblem?« zusammen.135 Beinahe entschuldigend argumentierte sie, dass es ihr nicht um Feminismus ging, sondern um ihr Verständnis eines geistlichen und religiösen Problems. Frauen hatten sich in ihre Fähigkeit verliebt, sich an Männer anzupassen. Pilatus war mehr von der Stimme der Massen beeindruckt als von der seiner Frau. So waren Führer und Staatsmänner wie ein moderner Pilatus und ignorierten die Stimmen von Frauen und Müttern. Aber die Frau existierte nicht um des Mannes willen. Es gab eine gegenseitige Verantwortung. 1936 veröffentlichte sie die Broschüre Eva, wo bist du?, in der sie von einem Gespräch mit Barth erzählte, das auf ihren Briefwechsel erfolgt war:

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      Porträt Jetty Visser ’t Hooft-Boddaert, ca. 1935

      »In einem Gespräch mit Karl Barth, der an der paulinischen Linie festhielt: Gott – Christus – Mann – Frau, wobei dann immer der erste das Haupt des nächsten ist, sagte ich ihm, dass ich immer weniger verstehen könne, wie selbst die meisten gläubigen Christen dieser Linie folgten. Er hielt einen Moment inne und antwortete dann ernsthaft: ›Aber glauben Sie denn nicht, dass das für uns (Männer) eine schwere Last bedeutet?‹ Das bewegte mich wirklich tief: Ist das nicht das erste Mal in der Geschichte der Kirche, dass ein Mann, ein Christ, so seine tragische Situation begreiflich macht? Aber einen Moment später dachte ich: Nein, nein; das ist nicht möglich. Gott, der sehr wohl weiß, was er an den Menschen hat, und zwar so gut, dass er ihnen seinen einziggeborenen Sohn angeboten hat, kann diesen nicht mit einem so schweren Auftrag nur an die eine Hälfte der Menschheit schicken, bei denen dann für einen Großteil das Heil von der anderen Hälfte der Menschheit abhängt.«136

      Jetty hatte viel über die »Frauenfrage« gelesen, unter anderem von Carl Gustav Jung und Emma Jung-Rauschenbach. Für sie waren Mann und Frau gleichberechtigt und komplementär; zusammen stellten sie die Menschheit dar. Sie war davon überzeugt, dass die Frau eine eigene Spiritualität besaß. Männer und Frauen hatten sich einander viel mehr zu bieten, als oft zugestanden wurde. Sie plädierte dafür anzuerkennen, dass jeder Mann und jede Frau eine weibliche und eine männliche Seite hätten. Davon erwartete sie eine Bereicherung des Ehelebens und einen wertvollen Beitrag von Frauen in der Gesellschaft, während sich auch Männer besser würden kennenlernen.

      »Neben den vielen Scheidungen kennen wir alle die zynischen Männer, die sich in ihrer Arbeit vergraben, und die Frauen, die sich schließlich resigniert dem Alltag ergeben.«137

      Mit Barth fand Jetty keine Übereinstimmung. Der Theologe fand ihre originellen Überlegungen keine einzige Zeile oder Fußnote wert in seiner weit über 9000 Seiten umfassenden Kirchlichen Dogmatik. Sehr zum Nachteil seiner Anthropologie, wie später der deutsche Theologe Jürgen Moltmann befand.138 Doch Jetty erwartete noch immer etwas von Barth und studierte seinen ganzen Band über die Lehre der Schöpfung. Als Barth auf der Gründungsversammlung des ÖRK 1948 den vorsichtigen Aufstieg der feministischen Theologie in einem Workshop, der extra auf ihr Drängen von Visser ’t Hooft ins Programm aufgenommen worden war, lächerlich machte, war Jetty tief verletzt und enttäuscht.139 Zu spät begriff Visser ’t Hooft, dass sie ein sehr wichtiges Thema auf die Tagesordnung gesetzt hatte, das der Theologe Barth, den beide verehrten, nicht verstand.140

      Ab 1935 hatte Visser ’t Hooft das Gefühl, in die Niederlande zurückkehren zu müssen, vielleicht in einer Funktion für die Mission, zum Beispiel als Sekretär der Niederländischen Bibelgesellschaft (NBG), wie es Herman Rutgers vorschlug.141 Es gab viele Gründe, die dafür sprachen, wie ein stabiles Arbeitsumfeld, bei dem er nicht mehr um die ganze Welt reisen müsste und mehr Zeit für die Familie und das Studium hätte. Die NBG hatte Kontakt mit der Mission und der Studentenwelt, und die NBG war die einzige Einrichtung, in der fast alle protestantischen Kirchen zusammenarbeiteten. Doch Visser ’t Hooft sagte nicht zu. Er gab zu, dass er von dem running round the world manchmal müde werde. Und doch sei es noch stets sein Ort.

      »Aus meiner Sicht ist die Angelegenheit jedoch nicht so dringend, da ich davon überzeugt bin, dass es äußerst schwierig sein wird, einen Arbeitsplatz zu finden, der tatsächlich befriedigende Elemente und größere Chancen böte als mein jetziger.«142

      Die niederländischen Freunde hielten noch eine Weile durch. Visser ’t Hooft überlegte, ob er nicht eine bezahlte Stelle bei der NBG annehmen und zusätzlich unbezahlter Vorstand des WSCF sein könne. Der Anwalt Paul Scholten, der Schatzmeister der NBG und ein Studienfreund von Visser ’t Hooft, hielt dagegen, dass er ab und an höre:

      »dass es Dr. Visser ’t Hooft leicht habe, allen auf der ganzen Welt zu sagen, was sie tun sollten, aber dass er keine Ahnung habe, welche Schwierigkeiten, Empfindlichkeiten, kleinen Dinge und Richtungsprobleme und was weiß ich noch mehr kommen können, wenn er nun in einem bestimmten Land etwas Konkretes tun will und man ihm international sagt, was getan werden solle.«143

      Scholten warnte Visser ’t Hooft, doch diesen überzeugte sein Argument nicht. Seit 1935 wurde um ihn für ein paar Jahre von verschiedenen Seiten geworben. Die Niederländische Missionsgesellschaft wollte ihn als Direktor. Doch John Mott wollte, dass er in Genf bleibe – und so