Mal ehrlich. Christina Hecke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Hecke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783843612340
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N°1 und N°2 bezeichne? Simpel: zuerst waren wir eins. Das ist Programm auf dem Sender N°1. Dann kam die Trennung und damit die Sendung auf Kanal N°2.

      Nur weil wir Erwachsenen schon »groß« sind, maßen wir uns an zu glauben, dass wir alles wissen, das Leben im Griff haben. Und dass die Kleinen nichts mitbekommen. Ein Glaubenssatz. Das Gegenteil ist der Fall. Das macht vielleicht die Angst aus, die uns immer wieder an der gemeinsamen Wahrheit zweifeln lässt. Die Kleinen sind die Kolumbusse und wir die Zweifler. Wir wollen alles erklärbar haben. Damit wir das Gefühl von Kontrolle und »Steuerbarkeit« oder wenigstens Kalkulierbarkeit aufrecht erhalten können. Die Angst davor, in unserer Reduktion auf das Erklärbare, Beweisbare, Nachvollziehbare entlarvt zu werden, ist zu groß. Wir wollen nicht dastehen und sagen müssen »Ich weiß es nicht. Da müsste ich mich mal zurücklehnen und zuhören, welche Antwort kommt.« Diese Blöße würden wir nicht verkraften. Die Blöße: das nackte Ehrlichsein, ist uns unangenehm, weil wir mit allem identifiziert sind. Mit unserem Wissen, unseren Emotionen, dem Ich. Dem identifizierten Geist, der seine Verantwortung innerhalb des großen Zusammenhangs ablehnt. Der manchmal eben schlicht keinen Bock hat. Der würde das nicht verkraften: das Zugeständnis, dass es da vielleicht mehr gibt, als der Verstand berechnen und erfassen kann. Nein! Wir haben doch schon so viel in diese Fähigkeit des Denkens investiert! Das würde sich nicht rechnen. Dann müssten wir ja mal anhalten und uns öffnen. Uns auf Empfangsbereitschaft für die Frequenz N° 1 bringen, statt immer nur selbst zu senden oder sich berieseln lassen zu wollen. Das ist nämlich das Versprechen, mit dem die meist gehörte Radiostation N°2 lockt: der Ruhm und die Identifikation. Auf dieser Frequenz bekommen wir das Gefühl vermittelt, dass wir selbst die Sender sind. Und das liebt der Geist. Die Seele hingegen ist losgelöst von alldem. Die braucht das nicht. Die weiß: Es gibt nur uns alle als großes Ganzes. Und bietet also ihren Beitrag dazu an.

      »Kindermund tut Weisheit kund.« Das ist ein Spruch, den wir nicht ernst nehmen. Nicht, weil wir nicht können, sondern weil wir nicht wollen. Denn diese Sensibilität, die Welt auf einer anderen als der rationalisierten Ebene zu sehen zu wollen, haben wir kollektiv als wenigstens »zweitrangig«, wenn nicht gar als »nicht wert« abgeschüttelt. Wir setzen stattdessen lieber auf studiertes Wissen und verdrängen, was uns einst gewahr war. Was hier sichtbar wird ist, dass das Leistungsprinzip als oberstes Gebot akzeptiert wurde. Genau da liegt der Finger auf einer der Wunden unseres Miteinanders: Wir identifizieren uns über das Tun, nicht das Sein. Denn: etwas wissen, ohne zuvor etwas dafür getan zu haben?! Eine Unmöglichkeit in unserer durch schulische und hierarchische Strukturen geprägten Pyramide an Wichtigkeit. Kein Zeugnis = kein Können. Eine Mühle, die wir alle durchlaufen mussten. »Beweis erstmal, dass du was gelernt hast!«

      Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe das Leben. Und ich scheue keine Taten. Mein Tagesablauf ist prall gefüllt. Und es liegt mir fern, hier irgendwas oder irgendwen zu verurteilen oder das Leben schlecht zu reden. Im Gegenteil. Ich frage nur nach den Motivationen. Ich spreche aus der Perspektive der Wertschätzung und vor allem einem tiefen Verständnis für all das im Leben, was auch ich erfahrbar machen konnte. Ja, auch für die scheinbar unschönen Dinge. Es ist der Respekt vor dem freien Willen eines jeden Menschen. Die Perspektive der Akzeptanz einer Ordnung, die mir zu durchdringen mit dem Verstand definitiv nicht möglich ist. Aber spürbar ist sie. Es gibt tausend Ereignisse, die ich nicht gut finde, die wehtun, die erschrecken und verletzen. Sollen sie ja auch. Damit wir ihn ja nicht machen: den ersten Schritt …

      Und auch das ist Teil von allem. Meine Aufgabe – oder unsere, wenn Sie sich schon jetzt anschließen möchten –, ist es, in dieser Ordnung unseren Platz zu finden. Immer wieder aufs Neue. Und dabei für die Werte einzustehen, die uns gewahr sind. So geht es mir eben auch schon in meinem winzig kleinen Leichtbau am 22. 02. 1979, als ich gegen 19 Uhr meinen ersten Schritt in dieses Leben gewagt habe. Mit all dem Wissen. Mit all der Verbundenheit. Und mit meiner Wahl der beiden Menschen, die ich mir für dieses Leben als Eltern ausgesucht habe. Ohne vorher jemanden dazu befragt zu haben, ohne Schulbildung, ohne Beweise, ohne Wissenschaft. Also ich jetzt. Zu diesem Zeitpunkt meiner Inkarnation. Meines Lebensbeginns als Christina Hecke. Einfach nur, weil ich bin. Und das für den Moment auch erstmal total erschöpft. Weil mir das alles um mich herum eben nicht entgangen ist. In diesem Gefühl bade ich, während ich mit meinen paartausend Gramm eingewickelt drauf warte, was meine nächsten Schritte – damals vielmehr noch Atemzüge – wohl bringen würden …

      Kindertage:

       Mädchen – joah.

       Bübchen – boah!

      Den ersten Schritt habe ich – so befinde ich – also zunächst ganz gut gemeistert. Aber einmal begonnen zu gehen, hört es ja nicht auf. Jedem Schritt folgt ein nächster. Einmal einge­atmet, geht das beständig weiter. Einatmen, Ausatmen, Ein­atmen, Ausatmen. Und mit jedem Atemzug werden wir aufgefordert zu entscheiden, welche Frequenz uns leiten soll. Dur oder Moll. Coole Hits oder konsequente Wahrheit. Und darunter schlägt unser Herz. Beständig und im Takt der ­Qualität unseres Lebens. Unserer Entscheidungen. Des Einatmens, also dem Tanken von Qualität, und dem Ausatmen, also dementsprechenden Handeln. Damit gehen wir unsere Schritte. Das ist das beständige Workout unseres freien Willens. Grundsätzlich verwenden wir den Begriff Workout für eine auf ein Ziel ausgerichtete Maßnahme. Also: was ist das Ziel dieses Trainings? Vielmehr die Frage: Wohin gehen wir denn? Das ist eine ziemlich gute Frage …

      »Wenn zwei Menschen an einem Punkt – nehmen wir den Alexanderplatz in Berlin – loslaufen. Und einer bis nach Potsdam und der andere bis nach Paris läuft. Wer ist weiter gekommen?« Wir würden sagen: »Naja, derjenige, der bis nach Paris gelaufen ist.« Korrekt. Das ist, in Kilometern ausgedrückt, richtig. Also in der Quantität. Aber selbst, wenn beide Personen einmal um den Globus rumlaufen – wo kommen sie denn an? …«Na, am Alex.« Dort, wo sie losgelaufen sind. Wenn sie glauben, dabei geradeaus gelaufen zu sein, ist das schon eine Illusion. Die Erde ist rund und dreht sich im Kreis. Wir bewegen uns im Kreis. Um den Globus herum, wenn Sie so wollen. Das Leben verläuft nicht linear. Es ist so simpel, und wir wollen es einfach nicht begreifen, weil das Wettbewerbsprinzip uns so fest am Wickel hat. Fakt ist: Wir gehen nirgends hin. Es ist so absurd, wie wir denken, dass es immer irgendwo hingeht. NO WAY. Wo wollen Sie denn auch hin? Wir kommen aus dem Diskurs Leben nicht raus. Weil wir aber in ein Flugzeug steigen können und dann an einen anderen Ort gelangen, glauben wir, wir wären raus aus dem Zusammenhang unseres Lebens. Befreit von den Problemen, die zu Hause stattfinden. Mit denen hängen wir aber zusammen, egal, wo wir uns aufhalten. Es ist eine Illusion, dass wir irgendwo hingehen, uns auf einer Geraden bewegen. Diese ­Illusion kennen wir nur, weil wir Geburt und Tod als Lebenslinie mit Anfangs- und Endpunkt denken statt als Kreislauf. Höher, schneller, besser – also Wettbewerb und Konkurrenz – alles, was sich darauf aufbaut, stößt irgendwann an ein Limit. Wie schnell soll ein Mensch noch laufen können? Wie hoch sollen Häuser, wie schnell sollen Autos noch werden? Es wird ein Limit geben. Aber solange das nicht erreicht ist, versuchen wir die Körper zu dominieren, alles aus ihnen rauszuquetschen, unsere Denkfähigkeit zu disziplinieren, um noch mehr erwirtschaften, noch mehr erfinden, noch mehr wissen zu können. Wir lieben Komplexität. Wir tun letztlich alles, um nicht akzeptieren zu müssen, dass wir uns im Kreis drehen. Dass es nur die Qualität zu vertiefen gilt, in der wir leben. Simplizität. Wir müssen nicht beständig Lösungen hinterherhecheln, die wir als Fixpunkte auf einer Geraden angenommen haben. Tiefer, weiser und gegen die Zentrifugalkraft dieses Leistungsprinzips, dass uns von unserem Bewusstsein im inneren Kern immer weiter hinaus in das Außen katapultiert, mit seiner Ausrichtung auf einen nimmer endenden Horizont des Höher & Schneller & Besser. Die Karotte Endlichkeit, die bedrohlich vor unserer Nase baumelt, wäre für immer passé. Aber das ist schon Schritt 48 vor Schritt 1. Denn die Dualität unseres Bewusstseins überhaupt erstmal anzunehmen, ist eine Hürde, vor der viele stehenbleiben. Ich höre in dem Zusammenhang oft den Satz: »Ja, schön, dass du das so sehen kannst. Ich kann das nicht.« Ich habe dann immer das Gefühl, es wäre ehrlicher von ihnen zu sagen »Ich will das nicht.« Denn an der herkömmlichen Sichtweise festzuhalten, schafft eine kurzfristige Befriedigung, weil es dem Spirit (oder Geist oder Ego) nützt. Weiterhin wirtschaftlich: weiterhin wettbewerbstauglich. Doch während alle die Ellenbogen ausfahren und auf Überholung im Außen drängen, atmet das Universum, dehnt sich ständig aus. Und offeriert uns damit ebenfalls