»Die Kleine aus dem Pommerlande hat doch immer allerlei Schnurren im Kopfe!«
Endlich war die Villa des Onkels erreicht. Pommerle lief sogleich in die Küche, in der das Hausmädchen und Frau Bender mit dem Abendessen beschäftigt waren.
»Endlich bist du wieder da, Pommerle – aber was ist denn das?«
Behutsam stellte Pommerle den Schuh vor die Tante hin. »Ein kleines Vögelchen ist drin. Nun müssen wir es warm setzen, daß es sich nicht erkältet.«
Frau Bender wollte ein wenig schelten; aber als sie die Liebe sah, mit der die Kleine das nasse Tierchen betreute, schwieg sie. Pommerles gutes Herz, seine große Liebe zu den Tieren, zeigte sich heute wiederum. Außerdem war das kleine Mädchen das Barfußgehen von früher her gewöhnt. Der kleine Spaziergang ohne Schuh würde ihm nichts schaden.
»Jetzt bringe dich auch in Ordnung, Pommerle, inzwischen habe ich das Vöglein versorgt.«
Sehr rasch stellte sich das kleine Mädchen wieder in der Küche ein. Die gute Tante hatte inzwischen den Sperling in ein Körbchen gesetzt, mit einer Decke zugedeckt und meinte, es sei nun das richtigste, man lasse das Tierchen in Ruhe.
»Sobald er wieder trocken ist, lassen wir ihn fliegen.«
»Wollen wir ihm nicht etwas zu fressen geben?«
»Er ist viel zu verängstigt, Pommerle, jetzt frißt er nichts. Er fühlt sich jetzt schwach und braucht nur Ruhe.«
Pommerle eilte schon wieder davon, um wenige Augenblicke später mit einer Flasche Kölnischen Wassers wieder zu erscheinen.
»Nur mal riechen soll es dran. Wenn es schwach ist, tut es ihm gut.«
»Laß das Vöglein hübsch in Ruhe, mein Kind.«
»Aber die Frau Möller hat auch neulich dran riechen müssen, als sie schwach war.«
»Das ist etwas ganz anderes, der Vogel braucht nur Ruhe.«
Als Frau Bender nach einer Weile wieder in die Küche kam, saß Pommerle noch immer neben dem Körbchen.
»Wir wollen den Vogel jetzt zudecken, daß er nicht umherflattert; dann wollen wir Abendbrot essen. Morgen früh ist dann das Tierchen wieder gesund. – So, nun komm zu Tisch, der Onkel wartet schon.«
»Und ich habe noch so viel zu erzählen. – Tante, kennst du den Harfen-Karle?«
»Freilich kenne ich den alten Mann.«
Während des Essens berichtete Pommerle von seinen heutigen Erlebnissen.
»Und da mußt du mal hingehen, Onkel, der hat 'ne Menge giftige Wurzeln und Blätter. Dann kannst du wieder ein Buch darüber schreiben.«
»Das können wir mal machen, Pommerle. Zum alten Harfen-Karle wollte ich schon lange mal gehen, bin nur noch nicht dazugekommen. Aber wir wollen ihn später einmal gemeinsam besuchen.«
Als man gegessen hatte, griff Pommerle nach den Tellern und Messern, räumte sie zusammen, so daß alles schon schön geordnet stand, als das Mädchen das Zimmer betrat. Erstaunt schaute Frau Bender auf die kleine Fleißige.
»Nanu, Pommerle, heute gar so emsig?«
Pommerle nickte, und dann begann es, allerdings in recht falschen Tönen, aber doch nicht ohne musikalisches Verstehen zu singen:
»Zur Arbeit, nicht zum Müßiggang,
Hat mich der Herr geschaffen.«
Mit leiser Zärtlichkeit strich Frau Bender dem Kinde über das Haar.
Kindertränen
Unter fröhlichem Lachen und Lärmen strömten die Kinder aus dem Schulhaus. Wieder einmal Ferien! Herbst- oder Kartoffelferien! – Besonders Pommerle strahlte, war ihm doch vom Onkel für die Herbstferien wieder ein kleiner Ausflug ins Gebirge versprochen worden.
Nur schade, daß der Spielgefährte, der Jule, diesmal nicht dabei sein konnte! Jule war seit dem ersten September bei Meister Reichardt in der Lehre, um das Tischlerhandwerk zu erlernen. Da konnte er nicht mehr fort. Er kam auch jetzt nicht mehr so häufig ins Haus des Professors, weil er tagsüber beschäftigt war. Seine Verpflegung erhielt er beim Meister, nur des Abends ging er heim.
Seit einigen Tagen war das aber auch anders geworden. Jules Mutter, die viel kränkelte, war wieder einmal ins Krankenhaus gekommen. Man sagte, es gehe ihr gar nicht gut, und Jule war daher vollständig zu Meister Reichardt übergesiedelt.
Ferien! – Pommerle packte die Schultasche an beiden Riemen und wirbelte sie in der Luft herum. Die fellbesetzte Klappe löste sich, und im nächsten Augenblick lagen Bücher, Hefte und Federkasten auf der Straße verstreut.
»O je!« sagte Pommerle erschrocken.
»Ist das eine Art, die Bücher herumzuwerfen?«
Ein vorübergehender Herr musterte das Kind vorwurfsvoll durch die Brillengläser. »Was stehst du müßig herum? Sammle die Sachen wenigstens auf!«
Schuldbewußt und niedergeschlagen machte sich Pommerle ans Werk. Es war doch zu schlimm, daß man immer, wenn man sich über etwas gar so sehr freute, gleich etwas Unangenehmes zu spüren bekam. Es war doch gewiß ein erfreuliches Ereignis, daß Ferien waren und daß man wieder ins schöne Riesengebirge wandern durfte.
Pommerle verzog das Gesichtchen wehleidig, als es sah, daß einige Hefte starke Spuren von Straßenschmutz trugen. Das war nun wieder einmal Kinderpech. Die Tante würde sehr ärgerlich darüber sein. In Zukunft wollte Pommerle ein wenig vorsichtiger mit seinen Schulsachen umgehen.
Nun ging es in schnellem Laufe heim. Pommerle öffnete die Gartenpforte und wollte schnell ins Haus huschen, als es seinen Namen hörte.
»Pommerle!«
Das kleine Mädchen blieb stehen. Hinter der großen Hecke drüben schaute der Kopf Jules hervor. Das Antlitz des kleinen Mädchens strahlte. Es freute sich immer, wenn es den älteren Gespielen sah.
»Jule!« rief es erfreut.
»Sei still, komm hierher, mich darf keiner sehen.«
Gehorsam huschte Pommerle hinter die Hecke und schaute fragend den Knaben an.
»Kannst du heute nachmittag mit mir in den Wald gehen? Oder zu den Bobersteinen? Wir können aber nicht zusammen hingehen, ich habe dir was zu sagen.«
»So sag es doch gleich, Jule.«
»Nein, das ist zu lang.«
»Warum stehst du denn hinter der Hecke?«
Jule scharrte mit dem Fuße im Kies herum. »Das erzähle ich dir alles später. Kommst du?«
»Ich muß zuerst die Tante fragen. Wenn ich darf, komme ich.«
»Nee, fragen darfst du nicht, sie brauchen es nicht zu wissen, daß ich da bin.«
»Warum sollen sie es nicht wissen, Jule?«
»Das erzähle ich dir später.«
Pommerle überlegte. »Wir haben heute Ferien bekommen, da darf ich vielleicht nachmittags weit spazierengehen.«
Ein langgezogener Seufzer kam über Jules Lippen. »Du hast Ferien, und ich muß immerzu arbeiten, immerzu, von früh bis abends. Dann zankt der Meister, und – und – nun kommt auch noch die andere, die wird auch immerfort aufpassen und – wenn ich doch nichts mehr recht mache – wenn ich doch kein richtiger Tischler werde – du, Pommerle, heute nacht ist mir der Rübezahl erschienen.«
»Der Rübezahl?«
»Er hat mir gesagt, ich würde mal ein reicher Mann werden. Dann hat er mich auf einen hohen Berg geführt und an ein großes