Die bekanntesten Kinder- & Jugendbücher. Magda Trott. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magda Trott
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027221226
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Heute abend, um zehn Uhr, wollte man nach dem Kreuzwege gehen, um den mächtigen Berggeist zu rufen.

      »Um zehn Uhr muß ich doch schlafen,« sagte Pommerle, »ich muß sogar schon um neun Uhr schlafen.«

      »Der Rübezahl kommt aber nicht bei Tageslicht.«

      »Was machen wir denn dann?«

      »Du schläft eben 'mal nicht.«

      »Das geht nicht, Jule, ich muß schlafen.«

      »Dummes Mädel,« sagte Jule, »dann bleibst du zu Hause, und wir anderen bekommen das viele Gold.«

      »Können wir nicht schon um acht zum Rübezahl gehen?«

      »Nein,« sagte Jule und lief rasch davon.

      Aber auch bei den anderen Kindern fand Jule wenig Entgegenkommen. Zehn Uhr erschien allen furchtbar spät, man fürchtete sich ein wenig vor der Dunkelheit.

      So wurde schließlich doch verabredet, daß man sich um neun Uhr traf, um zum Kreuzweg zu gehen. Auch Pommerle wurde davon benachrichtigt, und da Onkel und Tante, wie allwöchentlich, am Donnerstag abend zu Freunden gingen, beschloß die Kleine, an dieser Expedition teilzunehmen.

      So schlichen sich aus den verschiedensten Häusern die Kinder kurz vor neun Uhr heraus, um sich am letzten Hause zu treffen. Auch Jule kam. Er hatte sich einen ganz schlechten, schon schadhaften Anzug angezogen, sah unsauber und dürftig aus.

      »Der Rübezahl wird sich vor dir fürchten,« sagte eines der kleinen Mädchen.

      Jule lachte überlegen. »Im Gegenteil – wenn er sieht, was für ein armer Schlucker ich bin, beschenkt er mich doppelt.«

      »Laß nur,« meinte Pommerle, »es kommt ja gar nicht darauf an, ob der Mensch eine schlechte Hose anhat oder nicht, die Hauptsache ist doch, daß in der Hose ein gutes Herz schlägt. Und der Jule hat ein gutes Herz.«

      »Jeder von euch muß drei Hölzchen mitnehmen.«

      In scheuer Ehrfurcht nahmen die Kinder drei Stäbchen auf; dann befahl Jule, daß von nun an niemand mehr ein Wort sprechen dürfe, erst am Kreuzweg solle man den Rübezahl rufen.

      Die Dämmerung hatte sich herniedergesenkt, gespenstisch sahen die hohen Pappeln im Lichte des Vollmondes aus. Die kleinen Mädchen machten immer kleinere Schritte; und als jetzt der grell beleuchtete Wegweiser in Sicht kam, hielt Pommerle den Schritt an.

      »Wollen wir ihn nicht hier schon rufen?« flüsterte es seiner Gefährtin zu.

      Diese legte den Finger auf den Mund. Mit sehr kleinen Schritten ging die Schar weiter. Dort drüben der dunkle Wald – hu! Pommerle fürchtete sich. Immer wieder schaute es auf die hohen Pappeln, es bildete sich ein, daß hinter jedem Baume ein unheimlicher Geist versteckt stehe, der mit den Armen winkte.

      Jule ging beherzt als erster voran. Am Wegweiser angekommen, blieb er stehen und winkte den Kindern, die nur zögernd näherkamen. Dann steckte er seine drei Holzstäbchen in die Erde und rief mit dumpfer Stimme:

      »Rübezahl – erscheine uns!«

      Pommerle begann zu zittern. Auch das andere kleine Mädchen, an das sich Pommerle angeklammert hatte, wurde ängstlich, eine Dritte begann zu weinen.

      Jule machte eine gebieterische Handbewegung. Pommerle war es siedend heiß geworden. Es zog das blaue Strickjäckchen aus und hing es über den Arm. Auch die Schulkameradin Erika steckte die drei Hölzchen in die Erde, doch traute sie sich nicht, den Berggeist dabei zu rufen.

      »Ich glaube, es kommt jemand,« flüsterte Pommerle.

      »Ruhe!« gebot Jule mit dumpfer Stimme.

      Pommerle hielt noch immer unschlüssig die drei Holzstäbchen in der Hand, dann steckte es eines zitternd in die Erde.

      »Rrrrr – – –« die Stimme gehorchte der Kleinen nicht mehr. »Ich habe mächtige Angst, Jule. – Wenn er nun gerade neben mir aus der Erde 'rauskommt?«

      »So mach doch!«

      Pommerle warf die blaue Jacke auf die Erde, um mit beiden Händen die Hölzchen recht tief in den Boden stoßen zu können.

      »Rübezahl,« rief es kläglich, »bring mir doch die Wurzel für die arme Frau Schauder.«

      »Rübezahl – Rübezahl – –« rief Jule nochmals.

      Plötzlich knackte es im nahen Gehölz. Aller Augen richteten sich auf den nahen Wald.

      »Er kommt schon,« flüsterte Jule.

      Aber es war wohl nur flüchtiges Wild gewesen, das durch den Wald streifte.

      »Rübezahl – –« Pommerle fühlte Schweißtropfen auf der Stirn.

      »Da kommt er!« Eines der Kinder hatte es gerufen.

      Aus dem Walde trat eine Gestalt hervor. Sie erschien den Kindern riesengroß. Obwohl der Wanderer noch eine ganze Strecke bis zum Wegweiser zu gehen hatte, bemächtigte sich aller in diesem Augenblick wilder Schrecken. Einige Mädchen rannten in schnellem Laufe davon, Pommerle wollte ihnen folgen, griff nach der blauen Strickjacke, die an der Erde lag – – es zerrte, zerrte – –

      »Er hält mich fest!« Ein gellender Schrei kam aus dem Munde der Kleinen. Sie warf einen entsetzten Blick auf die näher kommende Gestalt. Oh, wie furchtbar groß war der Mann – fast so groß wie die Tannen. Er hatte ein schrecklich aussehendes, weißes Gesicht.

      »So komm doch, Pommerle!« rief es aus der Entfernung.

      Pommerle zerrte an dem Ärmel der Jacke, den anderen hielt anscheinend der Rübezahl fest, der aus der Erde kam.

      Da ließ Pommerle in seiner Angst die Jacke los und begann laut zu schreien, indem es den anderen Mädchen nachrannte:

      »Schenk mir – – die Wurzel – – Rübezahl – – ich will auch immer artig sein – – ja, wir haben das Rad – – kaputtgemacht. – Er hat mich festgehalten.«

      Erschöpft und totenblaß hatte das Kind seine Kameradinnen erreicht. Auch Jule stand plötzlich neben der kleinen Schar.

      »Was ist dir denn?« sagte er, indem er zu Pommerle herantrat und es an den Schultern faßte.

      »Er hat mich festgehalten,« murmelte Pommerle, die Zähne schlugen ihm vor Angst aufeinander.

      »Kommt schnell, sonst rennt er hinter uns her.«

      Jule nahm das zitternde Pommerle an der Hand, dann liefen die Kinder die Straße hinunter. Nach allen Seiten verstreuten sie sich, aber diesmal ließ Jule das Pommerle nicht im Stich. Es wäre heute am Benderschen Hause vorübergelaufen, wenn nicht Jule haltgemacht hätte. Er lief mit Pommerle geradeswegs in die Küche, in der Anna war.

      »Passen Sie mal gut auf sie auf, das Pommerle hat Angst.«

      »Aber, Hanna, ich denke, du schläfst schon lange. – Wie siehst du denn aus, Kind? – – Was habt ihr denn schon wieder gemacht?«

      »Der Rübezahl hat mich angepackt.«

      »Mach, daß du heimkommst!« herrschte Anna den Jule an, der unschlüssig in der Küche stand. »Du hast nichts als Dummheiten im Kopfe. – Aber, Pommerle, was ist dir denn?«

      Schließlich erfuhr Anna, was sich ereignet hatte. Sie schalt heftig auf den Jule und versuchte Pommerle ein wenig zu beruhigen.

      »Es hat dich ganz bestimmt niemand festgehalten, Pommerle, der Rübezahl kommt doch gar nicht.«

      Aber so leicht war die Kleine heute nicht zu beschwichtigen. Es dauerte eine volle Stunde, ehe es Anna gelang, das verängstigte Mädchen in Schlaf zu singen.

      Benders erfuhren natürlich davon.

      »Es wird hohe Zeit, daß der Jule in die Lehre kommt,« sagte Professor Bender ernst, »er macht nur Dummheiten.«

      Am Nachmittage ging der Onkel mit Pommerle hinaus an den Kreuzweg. Währenddessen berichtete