DAS DING AUS DEM SEE. Greig Beck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Greig Beck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958355361
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ungefähr anderthalb Kilometer entfernt, aber sie konnten schon jetzt den Sattel der Erdkruste erkennen.

      Sie beeilten sich, weil Marcus dort noch viel Zeit zum Umsehen haben und trotzdem noch vor Sonnenuntergang wieder bei der Mühle sein wollte.

      Es dauerte noch eine ganze Stunde, bis sie den Anfang des Miniberges erreichten. Er erhob sich über die Landschaft wie die Schnauze eines massiven Steinwals, die die Landoberfläche durchstieß. Der Aufstieg würde ziemlich einfach sein, nur an einigen Stellen, würden sie tatsächlich richtig klettern müssen, glaubte Marcus.

      Nikolai ging vor, und obwohl Marcus erst Mitte dreißig war, kam er sich neben dem jüngeren Mann wie einen Greis vor, so wie dieser den steilen Hang hinaufeilte.

      Marcus war eigentlich der Meinung gewesen, relativ fit zu sein, aber nach nur zwanzig Minuten keuchte er und war vollkommen erschöpft. Als er einen weiteren großen Felsen erklomm, fand er dort Nikolai, der auf ihn wartete.

      »Höhlen«, flüsterte er, während er darauf zeigte. Dann legte er einen Finger an die Lippen. »Still, vielleicht Bären.«

      »Mist«, antwortete Marcus leise. So wie es aussah, hatte Yuri womöglich doch recht gehabt. Russland beheimatete einige riesengroße Bären, wobei der Kamtschatka-Bär über zweieinhalb Meter groß werden konnte und so viel wog wie ein Grizzly. Plötzlich wünschte er sich, er hätte Yuris Angebot eine Schusswaffe mitzunehmen, doch angenommen.

      Marcus griff in seine Tasche und holte seine einzige Waffe heraus – ein schwarzes Schweizer Armeemesser, das er schon seit seiner Jugend besaß und auf dessen Seite sogar sein Name eingraviert war. Sein Vater hatte sowohl ihm als auch seinem Bruder eines geschenkt. Er klappte jetzt die sieben Zentimeter lange Klinge auf und wartete.

      Nikolai schob sich vorsichtig zur Höhle vor, sah hinein und zog sich schnell wieder zurück. Er wartete ein, zwei Sekunden lang und spähte dann erneut hinein. Dieses Mal blieb er kurz dort stehen; Marcus fand erst später heraus, dass er in Wirklichkeit gerochen und nicht geschaut hatte. Schließlich drehte er sich wieder um.

      »Okay … glaube ich zumindest.«

      Marcus kam daraufhin näher und spähte ebenfalls hinein, dann zog er eine kleine Taschenlampe aus seiner Beuteltasche und leuchtete damit in die Höhle, während er mit der anderen Hand weiterhin sein kleines Messer fest umklammerte. Die Höhle war recht klein und flach, und der Boden war mit unzähligen Pflanzenresten übersät, also war sie irgendwann in der Vergangenheit vielleicht mal als Nest oder Bau benutzt worden.

      »Komm«, sagte er jetzt zu Nikolai, als er sein Messer einklappte. »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

      Marcus sah nach oben und befürchtete, dass ihnen noch eine ziemliche Kletterei an der Felswand bevorstand. Die Felsnase bestand größtenteils aus einem soliden Stück Granit, aber es gab mehrere riesige Platten, die in der Vergangenheit herausgebrochen waren und wie Kartenspiele an der Felswand lehnten.

      Sie erreichten irgendwann eine besonders große Platte, die in einem flachen Bereich des kleinen Bergs lag. Sie sah nicht unbedingt passierbar aus, weshalb Marcus glaubte, dass sie zurückgehen und nachsehen müssten, ob es einen anderen Weg nach oben gab.

      »Ich schaue es mir mal schnell an«, meinte Nikolai.

      »Gute Idee.« Marcus trat zurück.

      »Ich bräuchte kurz Hilfe, bitte.« Nikolai hob einen Fuß.

      Marcus verschränkte seine Finger ineinander und ließ den jungen Mann den Fuß hineinsetzen. Dann hob er ihn hoch und Nikolai stieß sich mit Kraft ab, um sich nach oben zu katapultieren. Marcus machte einen Schritt zurück und schirmte seine Augen vor der Sonne ab, als Nikolai zu klettern begann. Kurz danach löste sich ein brotlaibgroßer Felsen unter seinen Füßen. Marcus trat hastig beiseite, aber auf seinem schwungvollen Weg nach unten traf der Stein einen größeren Felsbrocken, der daraufhin ebenfalls ins Rollen geriet und in eine der riesigen Platten krachte, die genau vor Marcus an der Felswand lehnte.

      Die Platte schwang aufgrund dessen rückwärts und hing dann noch ungefähr zwei Sekunden lang vollkommen aufrecht da, bevor sie in Zeitlupe hintenüber kippte.

      Marcus sprang erschrocken aus dem Weg und fiel hin, als der riesige Felsen runterstürzte und den gesamten Boden neben ihm zum Beben brachte. Schneewolken wirbelten um ihn herum auf.

      »Mr. Stenson?« Nikolai kletterte hastig hinunter. »Mr. Stenson, geht es Ihnen gut?«

      Marcus rappelte sich hoch und spuckte schmutzigen Schnee und groben Sand aus. »Ja, ja, mir geht’s gut.« Er stand gerade auf, als Nikolai herabsprang und zu ihm rannte, um ihm aufzuhelfen.

      »Ich bin nur froh, dass ich nicht näher dran stand, denn sonst wäre ich jetzt ein menschlicher Pfannkuchen.« Marcus klopfte sich den Schmutz von der Kleidung.

      Nikolai ging näher an die Klippenwand heran. »Ich glaube, wir haben gerade noch eine Höhle entdeckt.«

      Marcus drehte sich um und folgte ihm. Da sich der Schneestaub mittlerweile gelegt hatte, konnte er tatsächlich eine Höhle erkennen, die hinter der riesigen Steinplatte verborgen gewesen war.

      »Ich glaube, sie ist sehr alt«, meinte Nikolai und reckte den Hals. »Sie war außerdem versiegelt, was bedeutet, dass es darin keine Bären geben kann.«

      Marcus betrachtete die zerbrochene Platte. Die freiliegenden Kanten waren verblichen und ziemlich geglättet, was bedeutete, dass sie den Elementen wahrscheinlich Zehntausende Jahre ausgesetzt gewesen waren, und angesichts des Zerfallsausmaßes der Kanten dieses eigentlich extrem harten Gesteins vermutete Marcus, dass es sogar noch wesentlich länger gewesen sein konnte.

      »Diese Höhle ist seit mindestens fünfzigtausend Jahren unberührt, womöglich sogar seit hunderttausend, oder noch länger.« Marcus hielt seine Lampe hinein. Er war in seiner Jugend ab und zu mal Höhlenwandern gewesen und obwohl sie nicht aus diesem Grund hier waren, war eine unendlich lang versiegelte Höhle einfach unwiderstehlich. »Wir werfen nur einen ganz kurzen Blick hinein.« Er duckte sich und betrat die Höhle.

      Staubpartikel wirbelten in dem leuchtenden Streifen seines Lichtstrahls hin und her, aber tiefer im Inneren war die Luft unbewegt und ruhig. Die Höhle war größer, als er erwartet hatte, vielleicht einen Meter achtzig bis zur Decke und an manchen Stellen etwa drei Meter breit.

      Nikolai ging dicht an der einen Wand entlang und Marcus an der anderen, wobei er seinen Lichtstrahl langsam hin und her gleiten ließ. Vor ihnen befand sich eine Nische und er ging davor in die Hocke. Diese führte offenbar in eine weitere Höhle, die allerdings wesentlich flacher war.

      »Das sind Knochen drin«, sagte er angewidert.

      »Von Menschen«, sagte Nikolai gedämpft.

      »Ja«, stimmte ihm Marcus zu.

      In der anderen Höhle befanden sich die sterblichen Überreste mehrerer Körper, und der Knochenverfärbung nach zu urteilen, waren diese schon sehr alt. Marcus schob sich vorsichtig hinein und hob einen der braunen Schädel auf. Dieser war klein, besaß aber nicht den ausgeprägten Überaugenwulst und das fliehende Kinn des Neandertalers, sondern sah moderner aus.

      Die Skelette waren alle ineinander verschlungen, so als hätten sie sich zusammengekauert.

      »Ich denke, sie sind bei einem Felsrutsch eingeschlossen worden«, sagte Nikolai.

      Marcus nickte. »Die armen Schweine. Sie saßen hier drin fest und konnten nichts anderes tun, als auf ihren Tod zu warten.«

      Marcus ließ seinen Lichtstrahl nun umherwandern und bemerkte dabei auch die Überreste von Tierhäuten, Werkzeugen und sah sogar einige glänzende Gegenstände, die vielleicht primitiver Schmuck waren. »All ihre irdischen Reichtümer«, flüsterte er.

      Sobald er zurück war, würde er diese Stelle den passenden Behörden melden, denn für die hiesigen Archäologen würde dies eine wahre Fundgrube sein. Während Marcus wieder hinauskrabbelte, richtete Nikolai seine Lampe auf die hintere Wand.

      »Sie haben etwas gemalt.«

      Marcus