Kasperle-Spiele für große Leute. Max Kommerell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Kommerell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711448335
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      Kasperle. Brav, Biribi, und da hast du noch einen Schnaps! Horch, schon läuten die Kirchenglocken! Jetzt müssen wir beide schnell zur Hochzeit! Ab.

      Ende

      Erste szene

      Schlampampe, Kasperles Frau, auf ihn wartend.

      Schlampampe.

      Kasper ist nicht da, und es geht schon auf neun Uhr. Was das ein Wind ist. Den Kerl friert’s natürlich nicht, wenn er seine sieben Schnäpse im Leib hat, aber mir pfeift es an die Waden. Jegerl, da drunten geht einer, ganz arm, mit einem großen Schlapphut. Es wird ein Pfarr sein. Herr Pfarr, mögens Euch ein bissei wärmen?

      Der tod noch unsichtbar. Das schon.

      Schlampampe. Kommens nur herein.

      Der Tod tritt herein, das Gesicht mit einem Schlapphut verdeckt.

      Schlampampe. Grad hab’ ich einen Tee gemacht. Nehmens Platz. Wo wollens denn noch hin so spät?

      Tod. Habe heute noch zwei- bis dreihundert Visiten in Europa zu machen.

      Schlampampe. Europa? Hab’ ich gar nicht gewußt, daß das so in der Nähe ist. Sinds denn ein Doktor?

      Tod. Ich mache allen Krankheiten ein Ende.

      Schlampampe. Da werden die Patienten aber dankbar sein.

      Tod. Wie man’s nimmt.

      Er streift den Hut zurück, daß man ihn erkennt.

      Schlampampe. Jesus, Mar und Joseph, der Tod!

      Sie fällt in Ohnmacht. Man hört Kasperles Stimme.

      Kasperle singt, noch unsichtbar. Solang ich lebe, sauf’ ich ...

      Schlampampe aus ihrer Ohnmacht erwachend. Mein Mann kommt heim. Ich hab’ keine Zeit, in Ohnmacht zu fallen. Erhebt sich.

      Kasperle.

      Solang ich saufe, leb’ ich.

      Vor Frau Schlampampe lauf’ ich.

      An der Frau Wirtin kleb’ ich.

      Wenn ich nichts mehr zu saufen hab’,

      Leg’ ich mich in mein kühles Grab.

      Schlampampe. Die Stimm’! Dem seine Lumpenliedlein könnten mich als eine Tote zum Erwachen bringen. Und nicht wahr, guter Herr Tod, Sie werden mich doch nicht mißverstehen, daß ich Sie hereingerufen hab’ vorhin? Es war bloß, damit Sie nicht so frieren.

      Tod. Schon gut. Ich komme bloß ungerufen.

      Schlampampe. Aber einen G’fallen könnten Sie mir tun. Wenn Sie den Kasperle auch so erschrecken täten, wie Sie mich grad eben erschreckt haben.

      Tod. Wenn’s weiter nichts ist.

      Schlampampe. Treten Sie hinter mich!

      Der Tod tritt hinter Schlampampe. Kasperle stürmt betrunken herein.

      Kasperle. Du mein ehelicher Himmel! Laß mich an deinem Busen weinen.

      Schlampampe. Komm mir nicht zu nah mit deinen Schweinsborsten, du Igel, wenn du so nach Schnaps riechst.

      Kasperle will sie umarmen, sie entwischt ihm, so daß er den Tod in Armen hält.

      Kasperle. Sonst, wenn ich die Meinige umarmt hab’, war sie nix wie Haut und Knochen. Diesmal sind’s bloß Knochen, und nicht einmal eine Haut. Er fällt in Ohnmacht.

      Tod leise zu Schlampampe. Hab’ ich’s recht gemacht?

      Schlampampe. Ja, wenn er nicht hin ist. Wissen Sie, so viel Fehler er hat, es tät mir doch leid.

      Tod. Glaube mir, Schlampampe, er wird dir erhalten bleiben.

      Schlampampe. Dann ist’s schon recht. An Sie werd’ ich noch oft denken und an den G’fallen, den Sie mir getan haben.

      Tod. Es freut mich, wenn jemand freiwillig an mich denkt. Auf Kasperle deutend. Der da muß es, ob er will oder nicht. Ab.

      Schlampampe. So was ist mir in meiner ganzen Ehe noch nicht passiert.

      Zweite szene

      Der Einsiedlerwald. Die Höhle des Chinesen.

      Chinese.

      Dies ist weitaus der bedeutendste Wald, und ich bin weitaus der bedeutendste Weise darin. Heute nacht las ich in den Sternen, daß demnächst ein neuer Einsiedler sich hier niederlassen wird, einer, der noch bedeutender ist als ich. Obwohl ich allem Irdischen abgestorben bin, tut mir dies doch leid. Es ist nicht schön der Zeit Weisester zu sein. Jetzt muß ich auch das noch lernen. Er seufzt. Ja, wenn man einmal angefangen hat sich zu läutern, dann nimmt das kein Ende mehr. Man ist nicht ungestraft Chinese.

      Man hört Kasperle von weitem singen.

      Kasperle.

      Nix freut mich mehr, Sackerlot!

      Kein Schweins- und kein Kalbshaxl.

      Nix freut mich mehr. Der Tod

      Schaut mir alleweil über die Achsel.

      Chinese. An diesem Lied erkenne ich ihn. Es handelt von einem bedeutenden mystischen Erlebnis.

      Kasperle kommt in die Höhle.

      Chinese. Ich bin nicht wert, dir den Schuhriemen aufzulösen.

      Kasperle. Nur nicht gar so bescheiden! Aber wissen Sie was, Sie kommen mir grad recht, oder nicht? Sie sind doch ein g’lernter Einsiedler, Herr Chinese? Zeigen Sie mir doch, wie man das macht, das Einsiedeln!

      Chinese. Warum willst du denn Einsiedler werden? Für sich. Ich weiß nicht, ob er’s ist. Er sieht gar nicht so bedeutend aus.

      Kasperle. Hör, Chinese, was mir passiert ist. Als ich neulich nach Haus kam – im Vertrauen g’sagt, ich war ziemlich blau an dem Abend – und meiner Alten ein Busserl geben wollt’, da hab’ ich auf einmal den leibhaftigen Tod im Arm. Seither freut mich kein Bier und kein Schnaps mehr; immer, wenn ich’s Glaserl heben will, kommt dem sein klapperdürres Knocheng’sicht, wenn man das ein G’sicht nennen soll, zwischen mich und mein Glaserl. Wenn man so ein G’sicht hat, das gar kein G’sicht ist, sollt’ man nicht so aufdringlich sein mit seinem G’sicht. Und seit ich das G’sicht immer vor mir seh’, freut mich ’s Leben nimmer. Deswegen will ich jetzt so eine Leimsiedelei eröffnen. Leise. Daß ich der Meinigen davonlauf’, sag’ ich dem Chinesen nicht. Laut. Des G’sicht, immer des G’sicht!

      Chinese. Das Gesicht, das Gesicht! Er ist’s, wie könnte ich noch zweifeln. Das Gesicht, das andere Gesicht! Das Gesicht des Todes! O Abgrund des mystischen Erlebnisses! Nun höre wohl zu! Dies war die erste Stufe der Einweihung. Sie wurde dir geschenkt. Nun kommt die zweite Stufe, die mußt du erringen.

      Kasperle. Was ist denn das für eine zweite Treppe, die ich ’naufsteigen soll?

      Chinese. Du mußt dein Fleisch töten.

      Kasperle. Mein Fleisch? Das werden die Schinken und Würst’ sein, die ich mir allemal kauf’. Die gehören mir, die sind mein Fleisch. Aber wie soll ich die denn töten? Die sind doch schon tot. Man tut doch eine Sau vorher schlachten, eh man Würste aus ihr macht. Aber wahrscheinlich meinst du, ich soll tüchtig hineinbeißen. Das wird schon b’sorgt.

      Chinese. O peinliches Mißverständnis eines tiefen Gedankenganges! Er ist es nicht, ich habe mich in ihm getäuscht. Die dritte Stufe wirst du nie ersteigen.

      Kasperle. Sag mir’s doch für alle Fälle, vielleicht steig’ ich doch ’nauf.

      Chinese. Denke tief in dich hinab, denke dich selbst, denke die Dinge, denke das Wesen – dann denke das Nichts! Wenn du das Nichts zu denken gelernt hast, dann hast du die letzte Stufe der Weisheit erklommen.

      Kasperle. Nichts denken, haha! Wenn’s weiter nix ist!