Von Flusshexen und Meerjungfrauen. Jennifer Estep. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jennifer Estep
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959915564
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und blendete sie. Sie kniff die Augen zusammen und suchte die sanften Wellen nach Lebenszeichen ab. Flossen, Finnen, geschuppte Haut – die Monster kamen in allen Formen und Farben, Größen und Stärken vor.

      Das Schwert schien bleierner als zuvor, es kostete sie eine Menge Kraft, es aufzuheben. Getrocknetes Blut und Sandkörner verklebten die Klinge, bis zum nächsten Kampf musste sie gesäubert werden. Und verzaubert.

      Mit geschulterter Waffe und rasselndem Atem stieg sie den künstlich aufgeschütteten Deich hinauf. Dahinter lag ein Dorf, geschützt vor dem Meer und dessen Launen. Von der Spitze der Erhebung aus überblickte Ceto beides – den Ozean und die Siedlung. Das eine war eine mächtige Naturgewalt, endlos und schön. Das Dorf hingegen, mit seinen windschiefen roten Ziegelhäuschen, die sich dicht an dicht um leere Kanäle drängten, schien sich vor der Welt verstecken zu wollen. Die Gebäude waren niedrig und schlicht errichtet worden, die Menschen eilten nahezu geduckt durch die gepflasterten Gassen. Sie sehnten sich danach, beschützt zu werden. Vor dem, was auf der anderen Seite lauerte. Was hinter dem Deich lebte, sollte dort bleiben.

      Deswegen hatte man die Kanäle vor Jahren trockengelegt und die einst so prächtigen Boote und kleineren Schiffe verrotteten ihres Zweckes beraubt auf dem Grund. Vom salzigen Duft der See, der früher die Lunge der Siedlung beseelt hatte, war nicht viel übrig geblieben. Stattdessen roch es modrig und faul.

      Ceto rümpfte die Nase, als sie auf der anderen Seite des Deiches hinabstieg und sich auf den Heimweg machte. Sie liebte die Meerluft, den Wind in ihren Haaren und den knirschenden Sand unter ihren Füßen. In der Siedlung fühlte sie sich wie eine Gefangene, aber sie musste ruhen und Kräfte sammeln.

      »Hast du es getötet?« Ein Mädchen, vielleicht acht Sommer alt, sprang Ceto in den Weg. Sein Gesicht und die Kleidung waren dreckverschmiert, so wie bei den meisten der hier lebenden Kinder. Ceto trat missmutig einen Schritt zurück.

      »Natürlich. Siehst du das Blut nicht?«, fragte sie.

      Die Blicke des Mädchens huschten zu dem Schwert. Es streckte eine Hand aus, als wollte es die Waffe berühren. Ceto wandte sich ab und knurrte: »Finger weg.«

      »Warum hast du es umgebracht?«, wollte das Kind wissen. Ceto seufzte und lief wortlos weiter. Das Tapsen kleiner nackter Füße auf Pflastersteinen folgte ihr. »Lauf doch nicht weg«, beschwerte sich das Mädchen und holte zu ihr auf. Alle Einwohner hielten respektvollen Abstand zu Ceto, wenn sie ihr begegneten, besonders nach einem Kampf, wenn sie verschmutzt, stinkend und ausgebrannt war. Wieso störte sich das Kind nicht daran?

      Das Mädchen zupfte an ihrem Hemd. Ceto zischte und wirbelte herum. »Lass mich in Ruhe!« Ihre Stimme hallte durch die Gasse, das Kind zuckte zusammen und machte endlich kehrt. Schluchzend lief es in die Richtung, aus der es gekommen war.

      Zufrieden grunzend setzte Ceto ihren Weg fort.

      Sie unterdrückte einen Schrei, als sie an ihrem Haus ankam und das Mädchen dort auf sie wartete. Sein Gesicht war zornesrot und voll stolzer Sturheit.

      »Sag es mir«, verlangte es. »Wieso tötest du sie? Warum müssen sie hinter dem Deich bleiben?«

      Es war nicht Ceto, die dem Mädchen antwortete, sondern die Monster selbst. Als hätten sie die Frage vernommen, erklang vom Meer aus ein titanisches Brüllen, das die Häuser zum Erzittern brachte. Plötzlich stob der Geschmack von Salz, Blut und unendlicher Trauer durch die Kanäle. Ceto schluckte schwer und die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Das Mädchen stolperte nach hinten und ließ sich Halt suchend gegen die Hauswand fallen. Es sah in den Himmel, als würden die Monster von dort oben herunterstoßen und sie verschlingen.

      »Sie stammen aus den dunkelsten Ecken des Meeres, Gnade ist ihnen fremd und sie würden dieses Dorf unter sich begraben, sollten sie es jemals über die Deiche schaffen. Willst du das?«, fragte Ceto. Endlich kamen keine Worte mehr aus dem Mund des Mädchens, es schüttelte nur den Kopf. »Dann verschwinde endlich, damit ich mich ausruhen und sie auch in Zukunft davon abhalten kann.«

      So schnell es konnte, rappelte sich das Kind auf, nahm die Beine in die Hand und flüchtete.

      Ceto genoss die Ruhe, die sie hinter ihrer Haustür erwartete. Sie lebte in einem alten Bau mit löchrigem Dach, schimmelnden Deckenbalken und knarzenden Türen.

      Das Schwert legte sie auf einen Tisch, dessen Holz dunkel verfärbt war. Blut von unzähligen Gefechten und toten Monstern war in die Holzfasern gesickert und erinnerte Ceto daran, was für ein Leben sie führte.

      Sie schälte sich die triefende Kleidung vom Körper und warf sie neben die Waffe auf den Tisch. Später würde sie nachsehen, was davon noch zu gebrauchen war und gewaschen werden konnte, und welche Teile sie entsorgen musste. Doch zunächst stieg sie selbst in den Waschzuber, der mit glasklarem Wasser gefüllt war. Sie spürte die Kälte nicht, als sie hineinglitt.

      Da war nichts. Nur ein Element an ihrer Haut, das sich langsam schwarz färbte wie das Meer nach einem Tod. Sand rieselte aus ihren Haaren und sammelte sich am Boden des hölzernen Zubers. Sie strich mit nackten Fußsohlen darüber und ein kleiner Seufzer entfuhr ihr. Kaum war er ihren Lippen entschlüpft, erhob sie sich und stieg aus dem Bottich.

      Das Wasser perlte langsam ihren Körper herab, als wollte es sie nicht ziehen lassen. Sie ließ die Tropfen, wo sie waren, und griff nach ihrem Schwert, das ihre Stelle in dem Waschzuber einnahm. Sie schob es hinein, bis auch der Griff vom Nass bedeckt war. Es dauerte einen Moment, bis das Wasser sich beruhigt hatte.

      Mit gespreizten Fingern fuhr sie über die stille Oberfläche.

      »Anagénnisi.« Regeneration.

      Der Schaft des Schwertes leuchtete silbern auf und das Blut im Wasser zog sich zu langsam kreisenden Wirbeln zusammen, der Sand am Boden tat es ihm gleich. Ceto wiederholte die magischen Worte wieder und wieder. Das Metall sog das Schwarz und den Sand gierig auf, bis nichts zurückblieb als eine klare Flüssigkeit.

      Die Waffe enthielt das Blut unzähliger getöteter Monster. Jedes von ihnen verlieh ihr mehr Macht. Jedes von ihnen half dabei, ein weiteres Monster zu töten.

      Der Sand schenkte der Klinge die Gabe, die zarte Haut des Meeres zu zerschneiden. Ceto hörte die Schreie der Monster und der See, wenn das Silber sie zerfetzte. Sie selbst sog diese Hilferufe auf wie das Schwert das Blut.

      Sie spürte nicht, ob sie das stärker oder schwächer machte.

      Sie hatte vor langer, langer Zeit aufgehört, sich das zu fragen.

      Weil sie nicht wusste, ob sie die Antwort ertragen konnte.

      Am nächsten Morgen weckte der Regen die Siedlung mit seinem Gesang. Feine Tropfen fielen aus dem Himmel und strichen federleicht über die Dächer, um ihnen eine Melodie zu entlocken.

      Ceto hörte es. Das Lied des Wassers trieb sie zum Aufbruch an.

      Auf dem unebenen Boden vor ihrer Haustür hatte sich eine große Pfütze gebildet, in der sich ihr Gesicht spiegelte.

      Rauchgraue Haare, dunkle Augen und eine durchscheinende blasse Haut auf einem Antlitz, das alterslos, aber schön war. Ohne hinzusehen, zerstörte sie das Bild mit ihrem Fuß, zog sich die Kapuze über den Kopf und eilte mit dem Schwert in der Hand los.

      Alles an diesem Tag war grau. Der Himmel, das Meer, der Strand. Am Horizont gab es kaum einen Unterschied zwischen dem Ende der Welt und dem Anfang des Firmaments. Die Sphären gingen ineinander über, küssten sich.

      In jenen Augenblicken wurde ein besonderes Schicksal geboren. Eines, das so farbenprächtig, so alles überstrahlend war, dass der Rest des Universums für einen Moment zu verblassen schien.

      Der Wind peitschte Regen in Cetos Gesicht wie tausend feine Nadelstiche, die in ihre Haut eindrangen. Ihre Nase war eisig und sie blinzelte mehrmals, um die Tropfen von ihren Wimpern zu vertreiben. Ihre Füße gruben sich in den Sand, als sie Schritt für Schritt auf das Meer zuging.

      Heute